Igna­ti­us Oko­li: «Ist die Moti­va­ti­on da, sind Distan­zen kein Pro­blem, wie in Nigeria.»

  • Seit Anfang August ist Igna­ti­us Oko­li Lei­ten­der Pfar­rer im Pasto­ral­raum Unte­res Freiamt.
  • Die ver­gan­ge­nen sie­ben Jah­re hat er im Ber­ner Ober­land als Lei­ten­der Pfar­rer verbracht.
  • Sei­ne Fröh­lich­keit und sein Humor kom­men bei den Men­schen an.

Das Inter­view ist zuerst im Ber­ner «pfarr­blatt» erschienen.

Sie haben sie­ben Jah­ren im Ber­ner Ober­land gear­bei­tet. Ist Inter­la­ken zu einer Hei­mat für Sie geworden?

Igna­ti­us Oko­li: Sicher, ich füh­le mich hier zu Hau­se. Als ich 2010 fürs Theo­lo­gie­stu­di­um in Rom ankam, war das wirk­lich ein Schock, vor allem von der Spra­che und vom Essen her. Als ich 2016 in Inter­la­ken anfing, war die­ser Schock schon klei­ner. Ich gehe auf die Leu­te zu und war­te nicht, dass sie zu mir kom­men. Dabei merk­te ich: Bern­deutsch ist eine eige­ne Spra­che. Vie­le hier spre­chen mit Mühe Hoch­deutsch. So beleg­te ich wäh­rend zwei Jah­ren einen Kurs – weni­ger um den Dia­lekt zu spre­chen, als um ihn zu ver­ste­hen. Das hat sich gelohnt und mir vie­le Türen geöff­net. Die Leu­te hier schlies­sen lang­sam Kon­takt, doch wenn sie es tun, dann rich­tig. So ging auch mei­ne Inte­gra­ti­on lang­sam, aber tief voran.

Sind Sie in die­sen Jah­ren zu einem Bünz­li gewor­den?
Noch nicht. Aber ich mer­ke, dass es in die­se Rich­tung geht. Ich bin hier zu Hau­se, inte­griert und ver­ste­he die Kul­tur und die Leu­te bes­ser. So fra­ge ich mich in Anbe­tracht mei­ner Wur­zeln manch­mal: Wer und wo bin ich jetzt? – In der Mit­te zwi­schen Nige­ria und dem Ber­ner Ober­land, und die­se Mischung gefällt mir. Wenn ich in Nige­ria bin, mer­ke ich, wo ich Schwei­ze­ri­scher gewor­den bin. Heu­te ner­ve ich mich dort über Ver­kehrs­chaos oder Unpünkt­lich­keit. Hier ist es umge­kehrt: Wenn ein Mikro­fon nicht funk­tio­niert, ist das für man­che eine Kata­stro­phe. Ich fin­de, man kann damit leben. So kann ich das Gute, das ich an einem Ort fin­de, auch woan­ders einbringen.

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Wel­che Ihrer Eigen­ar­ten pfle­gen Sie noch?
Mei­ne Fröh­lich­keit und mei­nen Humor – bei mir viel gelacht! Und mor­gens sin­ge ich. Bei mei­ner Pre­digt an der gest­ri­gen Hoch­zeit fiel mir plötz­lich ein nige­ria­ni­scher Reg­gae ein. Weil es pass­te, habe ich das Lied gleich ein­ge­baut (singt lei­se «Still sear­ching»). Ich möch­te im All­tag und im Got­tes­dienst die­sel­be Per­son sein. Bei allem, was ich tue, habe ich mei­nen Stil. Das kommt an.

Wie wird der Glau­be im Ber­ner Ober­land anders gelebt als in Nige­ria?
Die Schweiz ist säku­lar geprägt, und Reli­gi­on ist für die mei­sten Pri­vat­sa­che. Die Men­schen hier dan­ken Gott auch für all­täg­li­che, klei­ne, ein­fa­che Sachen, etwa fürs Wet­ter. In Afri­ka habe ich nie ans Wet­ter gedacht. Nige­ria ist reli­gi­ös geprägt, Gott spielt eine gros­se Rol­le. Man betet für fast alles, für Gesund­heit, für die Fami­lie, für Erfolg. Die Men­schen sind mehr in der Kir­che, es hat auch mehr Frei­kir­chen. Es sind zwei unter­schied­li­che Syste­me. Schön­heit hat ver­schie­de­ne Gesichter.

Inwie­fern ist die katho­li­sche Kir­che in den bei­den Län­dern unter­schied­lich orga­ni­siert?
Das lässt sich nicht immer ver­glei­chen. Ich neh­me jedes System so, wie es ist und neh­me Gutes dar­aus, um es wei­ter­zu­ge­ben. Im dua­len System hier sagt die staats­kir­chen­recht­li­che Sei­te vor einer Anstel­lung ja oder nein zu einer pasto­ra­len Kan­di­da­tur. In Nige­ria schickt der Bischof einen Prie­ster in eine Pfar­rei, und vor Ort sagt man Amen. Hier tra­gen die Frau­en viel zur Kir­che bei und arbei­ten auch als Gemein­de- oder Regio­nal­ver­ant­wort­li­che. In Nige­ria gibt es kei­nen Prie­ster­man­gel, und es sind aus­schliess­lich Män­ner in Lei­tungs­po­si­tio­nen. Frau­en, Jugend­li­che und Ordens­schwe­stern füh­len sich dadurch nicht aus­ge­schlos­sen. Die Mög­lich­kei­ten mit­zu­ma­chen sind gross, es gibt genug zu tun. Sie ver­lan­gen dazu kei­ne Lei­tungs­funk­tio­nen, son­dern schät­zen ihre Teil­ha­be an der Kir­che anders.

Wo ist das Katho­li­sche ähn­lich?
Im Glau­ben, in den Got­tes­dien­sten, die unter­schied­lich gefei­ert wer­den, und in der kari­ta­ti­ven Arbeit. In Nige­ria ist die Not wesent­lich grös­ser als hier. Die Kir­che springt auch über­all dort ein, wo die Regie­rung ver­sagt. Zudem läuft die syn­oda­le Dis­kus­si­on hier und dort, doch zu unter­schied­li­chen Fragen.

Brücken­bau­er zwi­schen katho­li­schen Welten

Igna­ti­us Oko­li, 47, wur­de nach sei­nem Latein‑, Phi­lo­so­phie- und Theo­lo­gie­stu­di­um in Awka, Nige­ria, zum Prie­ster geweiht. Von 2010 bis 2016 stu­dier­te und dok­to­rier­te er in Rom. Von 2016 bis Juli 2023 war er Lei­ten­der Prie­ster im Ber­ner Ober­land und enga­gier­te sich u. a. auch mit den «Swiss Fri­ends of Nige­ria». Sein Lebens­mot­to «Omnia face­re in Deo Pos­sum» (Mit Got­tes Hil­fe kann ich alles) moti­viert ihn, kei­ne Angst zu haben und im Leben etwas zu wagen. Das gilt auch für sei­ne neue Stel­le im Pasto­ral­raum Unte­res Frei­amt AG ab August 2023.

Wie sieht es in der Seel­sor­ge aus?
Die ist in bei­den Län­dern gleich. Ich mache Haus­be­su­che und spen­de die Kran­ken­sal­bung immer so bald wie mög­lich. Für Gesprä­che und Beich­ten sind Tür und Ohr stets offen. In der ita­lie­ni­schen Pfar­rei Lugo hel­fe ich vor Ostern und Weih­nach­ten jeweils eine Woche beim Beicht­hö­ren aus. Die Leu­te ste­hen dort dafür Schlan­ge – manch­mal sit­ze ich den gan­zen Tag lang ohne Pau­se im Beichtstuhl.

Sie sind Lei­ten­der Prie­ster im gröss­ten Pasto­ral­raum des Bis­tums Basel. Funk­tio­niert die Zusam­men­ar­beit trotz der Distan­zen?
Mei­rin­gen und Gstaad tren­nen zwei Stun­den Auto­fahrt. Wenn das Pasto­ral­raum­team regel­mäs­sig an die gemein­sa­men Ver­samm­lun­gen und Ver­an­stal­tun­gen kommt, zeigt das, dass die Men­schen bereit sind mit­zu­ma­chen. Alle kom­men – trotz der lan­gen Wege. Dass die pasto­ra­le Zusam­men­ar­beit funk­tio­niert, ist für mich ein Zei­chen gros­ser Moti­va­ti­on. Die­ses Bei­spiel möch­te ich an mei­nen neu­en Wir­kungs­ort mit­neh­men. Ist die Moti­va­ti­on da, sind Distan­zen kein Pro­blem, wie in Nigeria.

War­um wech­seln Sie in den Kan­ton Aar­gau?
Ursprüng­lich war vor­ge­se­hen, dass ich nach Nige­ria zurück­keh­re, doch Bischof Felix hat bei mei­nem Bischof in Nige­ria bean­tragt, mich län­ger im Bis­tum Basel behal­ten zu kön­nen. Weil mein Ver­trag im Ber­ner Ober­land schon drei­mal ver­län­gert wur­de, habe ich es gewagt, inner­halb des Bis­tums zu wech­seln. Auf den Vor­schlag des Bischofs, dem Pasto­ral­raum Unte­res Frei­amt, bin ich hin­ge­fah­ren und habe mir mei­nen zukünf­ti­gen Arbeits­ort dort angeschaut.

Was wer­den Sie ver­mis­sen?
Alles! Die Jung­frau­re­gi­on, die wöchent­li­chen Wan­de­run­gen auf den Har­der, das Wet­ter, unser tol­les Team, die leben­di­ge Pfar­rei und den öku­me­ni­schen Arbeits­kreis. Ich bin trau­rig, zu gehen. Gleich­zei­tig bin ich bereit und offen für Neu­es. Schön­heit hat ver­schie­de­ne Gesichter.

Eva Meienberg
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