Ein Katholik in der Calvinstadt

Ein Katholik in der Calvinstadt

  • Der Besuch von Papst Franzikus beim Öku­menis­chen Rat der Kirchen ist ein Zeichen für die Offen­heit des neuzeitlichen Denkens, sagt Markus Ries, Kirchen­his­torik­er an der Uni­ver­sität Luzern.
  • Als Beispiel für vol­lkom­men anderes Denken kann die Klei­der­kette C&A dienen.
  • Franziskus Besuch ist ein Zeichen für die Offen­heit des öku­menis­chen Aus­tausches.
 Ein Papst in der Calvin­stadt – und sofort ist die Frage da: Wie wäre es eigentlich einem Papst ergan­gen, der zu Zeit­en Johannes Calvins nach Genf gekom­men wäre?  Der Refor­ma­tor lebte und wirk­te von 1536 bis 1538 und von 1541 bis zu seinem Tod im Jahr 1564 in Genf. Während dieser Zeit sah die römisch-katholis­che Kirche fünf Päp­ste.

Andere Denkweise

Nach­frage bei Markus Ries, Pro­fes­sor für Kirchengeschichte an der Uni­ver­sität Luzern. Der sagt zweier­lei. Zunächst, dass es wohl eine unglaubliche Pro­voka­tion dargestellt hätte, wäre ein Papst zu Calvins Zeit­en nach Genf gekom­men. Als Katho­lik wäre er in den Augen der reformierten Gläu­bi­gen ein Irrgläu­biger gewe­sen und nicht emp­fan­gen wor­den, so Markus Ries. Als zweites gibt der Kirchengeschichtler einen inter­es­san­ten Hin­weis: «Dass Papst Franziskus im Jahr 2018 nach Genf fahren und den Öku­menis­chen Wel­trat der Kirchen besuchen kann, ist ein Abbild unser­er Weltan­schau­ung, zu der religiöse Tol­er­anz und kon­fes­sioneller Respekt ganz wesentlich dazuge­hören». Man müsse ver­suchen, sich in die vor­mod­erne Denkwelt zu ver­set­zen, und sich bewusst machen, dass es diese Art Tol­er­anz schlicht nicht gab. Gott zu belei­di­gen, habe für die Zeit Calvins geheis­sen, das zu belei­di­gen, was die Gesellschaft im Inneren zusam­men­hält – das sei nicht tolerier­bar gewe­sen; wed­er für die eine, wie die andere Kon­fes­sion. Auch die Tat­sache, dass wir das ein­gangs erwäh­nte Gedanken­spiel über­legen, sei Aus­druck unser­er Denkweise, der die Tol­er­anz innewohnt – eine Tol­er­anz, die in über fünfhun­dert Jahren durch blutige Kon­flik­te erkämpft wurde.

Zum Beispiel: C&A

Um ansatzweise zu ver­ste­hen, wie es mit dem Denken gewe­sen sein muss, hil­ft ein (hink­endes) Beispiel. Ein Blick auf das 1841 gegrün­dete Klei­der- und Mode­un­ternehmen C&A, welch­es auch in der Schweiz Ableger hat, zeigt, wie Grenzziehung auf­grund der Überzeu­gung funk­tion­ieren kann. Hin­ter dem Unternehmen ste­ht der extrem tra­di­tions­be­wusste Fam­i­lien­clan Bren­ninkmei­jer, der sich das Mot­to «Ein­tra­cht macht stark» auf die Fah­nen geschrieben hat und strenge Regeln sowohl inner­halb der Fam­i­lie, als auch im Unternehmen pflegt. Prak­tisch jed­er Mitar­beit­er ist katholisch und gemäss Regel­w­erk kann nur der­jenige Teil des entschei­dungs­befugten Gesellschafter­auss­chuss’ sein, der katholisch ist, die nieder­ländis­che Staats­bürg­er­schaft besitzt und sich als Teil der über 1000 Köpfe zäh­len­den Fam­i­lie über mehrere Jahre im Unternehmen von unten hochgear­beit­et hat. Sog­ar der Nach­name muss bis auf den let­zten Buch­staben stim­men: Bren­ninkmei­jer. Der Fam­i­lien­clan ist, salopp gesprochen, eine Art «Überzeu­gungs­blase»; wer der Gesin­nung nicht entspricht, hat in diesem Clan und dem Unternehmen kaum einen Platz.

Hart erkämpfter Religionsfrieden

Ein­er­seits stiftet feste Überzeu­gung Iden­tität, ander­er­seits führt sie dazu, dass Unternehmen, Grup­pierun­gen und Natio­nen starr und unflex­i­bel wer­den und sich Wider­stand gegen das Beste­hende regt. Es kommt zur Ref­or­ma­tion: So unter­schiedlich Luther, Zwingli und Calvin waren – sie waren der Überzeu­gung, dass die römisch-katholis­che Kirche sich in ihrer Struk­tur und The­olo­gie zu weit vom bib­lis­chen Ursprung ent­fer­nt hat­te und reformiert wer­den musste. Die Folge der neuen The­olo­gie und ihrer Umset­zung waren blutige Kriege – der let­zte auf Schweiz­er Boden war der Son­der­bund­skrieg, in dem sich kon­ser­v­a­tiv regierte katholis­che und lib­er­al regierte, mehrheitlich reformierte Kan­tone gegenüber­standen. Die Auseinan­der­set­zung mün­dete schliesslich in die Bun­desver­fas­sung von 1848. Nicht umson­st ste­ht in der Ver­fas­sung in Artikel 72 Absatz 2, dass «Bund und Kan­tone [] im Rah­men ihrer Zuständigkeit Mass­nah­men tre­f­fen [kön­nen] zur Wahrung des öffentlichen Friedens zwis­chen den Ange­höri­gen der ver­schiede­nen Reli­gion­s­ge­mein­schaften».

Fragile Balance

Wenn Papst Franziskus am 21. Juni den Öku­menis­chen Rat der Kirchen in Genf zu dessen 70 jähri­gen Beste­hen besucht, ist das deut­lich­es Zeichen dafür, wie gut der Aus­tausch zwis­chen den ver­schiede­nen Kon­fes­sio­nen heute auch weltweit funk­tion­iert. Gle­ichzeit­ig zeu­gen die aktuellen Diskus­sio­nen um religiöse und kon­fes­sionelle Zeichen in Amts­ge­bäu­den oder das Argu­ment der «christlichen Werte» in Abgren­zung zum Islam, wie frag­il die Bal­ance des religiösen Friedens nach wie vor ist. Die neuzeitliche Denkweise, und das zeigt auch der Besuch von Franziskus in Genf, ermöglicht es allerd­ings, dass der­ar­tige Auseinan­der­set­zun­gen mit anderen Überzeu­gun­gen im dif­feren­zierten Gespräch und nicht durch (ver­bale) Tätlichkeit­en geführt wer­den kön­nen. 
Anne Burgmer
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