Ein Haus für Lit­ur­gie und Kirchenmusik

Ein Haus für Lit­ur­gie und Kirchenmusik

  • Die­ter Wag­ner ent­wickel­te zusam­men mit Andre­as Hau­ser­mann die Idee, ein «Haus für Lit­ur­gie und Kir­chen­mu­sik» zu schaf­fen – wenn mög­lich öku­me­nisch und für die gesam­te Deutschschweiz.
  • Die refor­mier­te Lit­ur­gie- und Gesang­buch­kon­fe­renz hat eine Mach­bar­keits­stu­die zu die­sem Vor­ha­ben in Auf­trag gege­ben. Im Früh­ling 2020 soll ein Ergeb­nis vorliegen.
 Gut gelaunt kommt Die­ter Wag­ner um die Ecke und steu­ert gera­de­wegs zur Kaf­fee­ma­schi­ne. Er strahlt den Besuch an und drückt den Knopf.Nach weni­gen Minu­ten Gespräch fällt einem unwei­ger­lich der Song «MfG – mit freund­li­chen Grüs­sen» der «Fan­ta­sti­schen Vier» ein. Die­ter Wag­ner reiht mun­ter Abkür­zung an Abkür­zung: «In der LGBK gibt es die FKP. Als Lei­ter der KMSA…» Die­ter Wag­ner muss lachen: «Ich mag ja die­se Abkür­zun­gen.»

Frag das «HALM»

Des­halb hat er für sein Her­zens­pro­jekt eben­falls schon eine ein­präg­sa­me Abkür­zung parat: HALM. Das bedeu­tet «Haus für Lit­ur­gie und Kir­chen­mu­sik». Noch ist das Haus erst eine Idee. Doch Die­ter Wag­ner, ein Tau­send­sas­sa in Sachen Kir­chen­mu­sik und bestens ver­netzt, will die­ser Idee zum Durch­bruch ver­hel­fen. Er umreisst, wor­um es geht:

Öku­me­nisch und für die gan­ze Deutschschweiz

«Ein Haus, öku­me­nisch und für die gesam­te Deutsch­schweiz, in dem sich alles um Kir­chen­mu­sik dreht. Dar­in könn­ten Unter­richt, Work­shops, Tagun­gen oder Aus­bil­dungs­se­quen­zen abge­hal­ten wer­den.» Dabei will Die­ter Wag­ner Kir­chen­mu­sik in ihrer gan­zen Band­brei­te ver­stan­den wis­sen: Von Gos­pel bis Gre­go­ria­nik, von Bach bis Blues hat alles Platz. Denk­bar sei, für das HALM eine Kir­che umzu­nut­zen oder ein leer­ste­hen­des Pfarr­haus wie­der­zu­be­le­ben, erklärt Die­ter Wag­ner. Dann könn­te das Kon­zept so auf­ge­hen, dass sich das Haus sel­ber trägt – etwa durch die tage- und stun­den­wei­se Ver­mie­tung ein­zel­ner Räu­me. Wo das Haus der­einst ste­hen soll, ist noch völ­lig offen. Auch der Stand­ort­kan­ton ist nicht fest­ge­legt.

Allein auf der Empore

Das L im HALM steht für Lit­ur­gie. Die­se soll im Haus eben­falls einen wich­ti­gen Platz ein­neh­men. «Im Ide­al­fall gibt es im geplan­ten Haus ein Mit­ein­an­der von Lit­ur­gie und Musik», sagt Die­ter Wag­ner. Der Kon­takt zwi­schen Lit­ur­gie­ver­ant­wort­li­chen und Musi­kern in der Aus­bil­dung exi­stie­re heu­te noch kaum: An den Uni­ver­si­tä­ten wird die Lit­ur­gie gelehrt, an den Musik­hoch­schu­len und Kir­chen­mu­sik­schu­len die Musik. In den Got­tes­dien­sten sit­zen die Kir­chen­mu­si­ker meist allei­ne auf der Empo­re.» Weil im Stu­di­um der refor­mier­ten Theo­lo­gie die Kir­chen­mu­sik einen ver­schwin­dend klei­nen Platz ein­nimmt, fehlt oft das Wis­sen für die­se wich­ti­ge Kom­po­nen­te einer lit­ur­gi­schen Fei­er.

Hoher Stel­len­wert der Musik bei den refor­mier­ten Landeskirchen

Bei der refor­mier­ten Lan­des­kir­che des Kan­tons Aar­gau lei­tet Die­ter Wag­ner das Pro­jekt «Musik in der Kir­che». In die­ser Funk­ti­on för­dert er die Viel­falt und die Expe­ri­men­tier­freu­de in den refor­mier­ten Pfar­rei­en des Kan­tons. Eine Ansprech­per­son für Kir­chen­mu­sik gebe es bei jeder grös­se­ren, refor­mier­ten Lan­des­kir­che, weiss Die­ter Wag­ner. Die katho­li­sche Sei­te ist in die­sem Bereich anders struk­tu­riert: Es gibt zwei Regio­nal­kir­chen­mu­si­ker im Bis­tum. Die­se decken in einem 10- bezie­hungs­wei­se 15-Pro­zent-Pen­sum vier bis fünf Bis­tums­kan­to­ne ab. Das ergibt nur eini­ge Minu­ten Arbeits­zeit für eine ein­zel­ne Pfar­rei.

Rei­se nach Mann­heim als Auslöser

Seit 2015, also seit Die­ter Wag­ner bei der Refor­mier­ten Lan­des­kir­che Aar­gau arbei­tet, ist er auch in einer Unter­grup­pie­rung der Lit­ur­gie-Gesang­buch-Kon­fe­renz (LGBK). Dort arbei­tet er in der Fach­kom­mis­si­on für Popu­lar­mu­sik (FKP) mit, die auch das Sing­buch «Rise up PLUS» her­aus­gibt.  Vor­sit­zen­der die­ser FKP ist Andre­as Hau­ser­mann, wie Die­ter Wag­ner sagt, der «Mister Popu­lar­mu­sik» der Schweiz. Zusam­men mit ihm besuch­te Die­ter Wag­ner die Pop-Aka­de­mie in Mann­heim. Dort hör­ten die bei­den vom Kon­zept der «kri­ti­schen Mas­se», das ihnen sofort ein­leuch­te­te. Eine kri­ti­sche Mas­se bezeich­net im Rah­men der Spiel­theo­rie den Schwel­len­wert an Anzahl Per­so­nen, der erreicht wer­den muss, damit ein System selbst­tra­gend wird.

Kri­ti­sche Masse

Über­tra­gen auf die Pop-Aka­de­mie bedeu­tet das, dass ab einer gewis­sen Anzahl Stu­den­ten die Krea­ti­vi­tät und die Qua­li­tät inner­halb der Insti­tu­ti­on zuneh­men und die­se wei­te­re Stu­den­ten anzieht.Die­ter Wag­ner macht ein Bei­spiel: Meist erreicht heut­zu­ta­ge ein klas­si­scher Chor allein die kri­ti­sche Mas­se nicht, um kon­zer­tant auf­tre­ten zu kön­nen. Span­nen aber zwei Chö­re für ein Kon­zert zusam­men, so haben sie zwei Auf­füh­rungs­or­te und dop­pelt so vie­le poten­zi­el­le Zuhö­rer. Gemein­sam ist man stark.Auf der Heim­fahrt von Mann­heim sag­ten sich Die­ter Wag­ner und Andre­as Hau­ser­mann: «Mensch, hät­ten wir doch auch so ein Haus!»

Ehe­ma­li­ges Klo­ster in Hil­des­heim als Vorbild

Ein Bei­spiel für ein sol­ches Haus für Lit­ur­gie und Kir­chen­mu­sik steht im deut­schen Hil­des­heim. Dort ist im ehe­ma­li­gen Michae­lis­klo­ster das «Evan­ge­li­sche Zen­trum für Got­tes­dienst und Kir­chen­mu­sik» untergebracht.Kirchliche und welt­li­che Tagun­gen, Grup­pen­auf­ent­hal­te und Ein­zel­be­su­cher sind will­kom­men. Das Insti­tut ver­steht sich auch als Kom­pe­tenz- und Inno­va­ti­ons­zen­trum, das neu­en Grup­pen den Zugang zu Kir­chen­mu­sik ermög­li­chen will. Es wird von der Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Lan­des­kir­che Han­no­ver finan­ziert.

Mehr Leu­te, mehr Krea­ti­vi­tät, ein grös­se­re Netzwerk

Um die kri­ti­sche Mas­se zu errei­chen, muss Die­ter Wag­ner die Katho­li­ken und die ande­ren Lan­des­kir­chen der Deutsch­schweiz für die Idee begei­stern. «Wir haben uns mit ver­schie­de­nen Play­ern getrof­fen, um abzu­klä­ren, wie gross das Inter­es­se ist. Wir waren über­all will­kom­men und unse­re Idee stiess auf brei­te Zustim­mung.» Die bereits bestehen­den Aus­bil­dungs­stät­ten für Kir­chen­mu­sik könn­ten, so Die­ter Wag­ners Plan, in das HALM inte­griert wer­den. Heu­te gibt es kir­chen­mu­si­ka­li­sche Aus­bil­dun­gen an der Kir­chen­mu­sik­schu­le Aar­gau, in St. Gal­len, Solo­thurn und in Chur sowie an den Hoch­schu­len in Luzern und Zürich. «Die Zusam­men­ar­beit der ein­zel­nen Kir­chen­mu­sik­schu­len wür­de sich auch finan­zi­ell loh­nen. Aber sie hät­te auch ganz ande­re Vor­tei­le: Man lernt mehr Leu­te ken­nen, es ent­ste­hen mehr Ideen, mehr Ver­bin­dun­gen, ein grös­se­res Netz­werk.

Katho­li­sche Zurückhaltung

Die Visi­on der Initi­an­ten ist, dass das Haus für die gesam­te Deutsch­schweiz ist – und nach Mög­lich­keit öku­me­nisch. Von katho­li­scher Sei­te sei bis jetzt häu­fig die Rück­fra­ge gekom­men: «Was heisst Lit­ur­gie?» «Doch die Unter­schie­de bestehen vor allem im Kopf», fin­det Die­ter Wag­ner. Eben­so die Vor­ur­tei­le: «Das geht nicht, das ist katho­lisch…!» oder: «Das ist ja refor­miert…!» Sol­che Abwehr­re­fle­xe beob­ach­tet Die­ter Wag­ner immer wie­der.Auf katho­li­scher Sei­te stel­le er Zögern fest, und es feh­le ein Ansprech­part­ner, sagt Die­ter Wag­ner. Er habe eini­gen katho­li­schen Kol­le­gen gegen­über das Pro­jekt münd­lich erwähnt. Wirk­lich Inter­es­se bekun­det habe bis jetzt noch nie­mand. Doch er sei über­zeugt, dass es nun am besten sei, ein­fach mal zu «machen»: «Wenn das Pro­jekt dann Form annimmt, sprin­gen wei­te­re Orga­ni­sa­tio­nen auf.»

«Kei­ne Kennt­nis von die­sem Projekt»

Erste Schrit­te sind jeden­falls ein­ge­lei­tet: Die refor­mier­te Lit­ur­gie- und Gesang­buch­kon­fe­renz hat von ihrer Abge­ord­ne­ten­ver­samm­lung den Auf­trag für eine Mach­bar­keits­stu­die für das «Haus für Lit­ur­gie und Kir­chen­mu­sik» bekom­men. Im Früh­ling 2020 soll das Ergeb­nis der Stu­die vor­lie­gen. Auf der katho­li­schen Sei­te ist es schwie­rig, jeman­den zum Pro­jekt zu befra­gen. Weder der Kir­chen­mu­sik­ver­band des Bis­tums Basel noch der Schwei­ze­ri­sche Katho­li­sche Dach­ver­band für Kir­chen­mu­sik wis­sen auf Anfra­ge etwas davon.

Ein Ort, wo vie­les wach­sen kann

Die­ter Wag­ner gerät ins Schwär­men, wenn er dar­an denkt, was in die­sem Haus alles mög­lich wäre. Er hält Dau­men und Zei­ge­fin­ger fünf Zen­ti­me­ter aus­ein­an­der: «Hil­des­heim hat ein Pro­gramm, das ist so dick. Lit­ur­gie und Hym­no­lo­gie, ein Gos­pel­chor­work­shop, Kin­der­sin­gen… Es gäbe einen Ort, wo das wach­sen kann. Ganz nach dem Mot­to: Gemein­sam sind wir stark!»Im Früh­ling 2020 wird die Stu­die zur Mach­bar­keit vor­lie­gen. Die­ter Wag­ner sagt über­zeugt: «Ich bin sicher: das kommt!» 
Marie-Christine Andres Schürch
mehr zum Autor
nach
soben