Ein Ehepaar stellt die Gretchenfrage

Ein Ehepaar stellt die Gretchenfrage

Das Ehep­aar Boss bringt gemein­sam Büch­er her­aus. Christi­na Boss führt Inter­views mit bekan­nten Zeitgenossen, Chris­t­ian Boss formt aus den Noti­zen lebendi­ge Texte. Bei­de lieben den Stoff, aus dem ihre Geschicht­en sind: das ganz nor­male Leben. Jedem Gesprächspart­ner stellen die Autoren auch die Frage nach Glauben und Rit­ualen. Die Antworten zeigen, wie die Kirche Men­schen heute abholen kön­nte. «Das schreibe ich nicht auf!», sagte Christi­na Boss einem ihrer Inter­view­part­ner direkt ins Gesicht. Nein, erk­lärte sie, sie könne nicht ver­ant­worten, dass eine solch per­sön­liche, während Jahren geheim gehal­tene Fam­i­lien­sache ans Licht der Öffentlichkeit komme.

Freimütige Auskunft

Doch der Inter­view­part­ner bestand darauf, ihr die Geschichte zu erzählen. Er sei jet­zt bere­it, seine Biogra­phie offen­zule­gen. Auf diese Weise erfuhr Christi­na Boss, dass Stephan Anlik­er, Unternehmer und Präsi­dent des Grasshop­pers-Club Zürich sowie des Schlittschuh­clubs Lan­gen­thal, gle­ich nach sein­er Geburt zur Adop­tion freigegeben wor­den war und seine leib­liche Herkun­ft nicht ken­nt. Ein Umstand, der bis dahin nur engen Ange­höri­gen bekan­nt war.

Ein Menschenfreund am Werk

Christi­nas Ehe­mann, Chris­t­ian Boss, nahm die Gespräch­sno­ti­zen sein­er Frau ent­ge­gen. Dann zog er sich an seinen Büro­tisch zurück und begann die Geschichte von Stephan Anlik­er aufzuschreiben. Seit Herb­st 2016 ist diese Geschichte nachzule­sen im Buch «Der steile Weg ins Ram­p­en­licht». Im Buch wer­den Per­so­n­en, die uns aus den Medi­en bestens bekan­nt scheinen, von ein­er unbekan­nten Seite gezeigt. In ein­er lebendi­gen Sprache, mit einem gewis­sen Schalk und liebevoller Anteil­nahme, zeich­net Chris­t­ian Boss die Lebenswege der Porträtierten nach. Wer die Texte liest, spürt, dass ein Men­schen­fre­und am Werk ist, der seine Pro­tag­o­nis­ten nie verurteilt, son­dern manchen Buben­stre­ich und einige Jugend­sün­den mit mil­dem Schmun­zeln beschreibt.

Schiedsrichter, Sportler und Politiker

Zusam­men haben Christi­na und Chris­t­ian Boss schon acht Büch­er ver­fasst. Davon so genan­nte «Schwinger-Guides» mit Kurz­porträts aller Teil­nehmer von vier der let­zten fünf eid­genös­sis­chen Anlässe, erar­beit­et im Auf­trag des Schweiz­er Fernse­hens. Auch die anderen vier Büch­er enthal­ten Porträts. Schied­srichter, Sportler, Poli­tik­er: Men­schen und ihre Geschicht­en faszinieren das Autoren­paar. Die Arbeit an einem Buch teilt sich das pen­sion­ierte Ehep­aar Boss auf ungewöhn­liche Weise: Sie führt die Inter­views ohne ihren Mann. Später tippt er aus ihren hand­schriftlichen Noti­zen einen Text. Zwei, drei Rück­fra­gen an die Gat­tin, dann ist das Porträt ver­fasst.

Christina bringt Menschen zum Reden

Christi­na ver­ste­he es, die Geschicht­en aus ihren Gesprächspart­nern her­auszu­lock­en, erzählt Chris­t­ian Boss. Er erin­nert sich an eine Schlüs­sel­szene, die ein paar Jahre zurück­liegt: «Christi­na musste einen Schwinger inter­viewen, dessen Schweigsamkeit leg­endär war. Sog­ar seine Kol­le­gen bracht­en kaum einen Satz aus ihm her­aus. Aber als er Christi­na gegenüber sass, begann er zu sprechen wie ein Buch.» Seine Frau bestätigt lachend: «Ich kam fast nicht nach mit Schreiben! Und rund um uns standen seine Kol­le­gen und staunten nur noch.» Sie erin­nert sich auch gerne an die Begeg­nung mit Vladimir Petkovic, dem Fuss­ball-Nation­al­train­er. Auch er galt unter Jour­nal­is­ten als «Knack­nuss», weil er nichts Per­sön­lich­es preis­gab. Mit Christi­na Boss aber sprach er mehr als zwei Stun­den frei und offen über sein Leben. «Der steile Weg ins Ram­p­en­licht» lebt von Geschicht­en, die Promi­nente teil­weise zum ersten Mal öffentlich erzählen. Christi­na Boss ist immer wieder erstaunt darüber, was die Leute ihr anver­trauen: «Es sind unglaubliche Geschenke!»

Negative Erlebnisse prägen fürs Leben

Die Gespräche führt Christi­na Boss nach einem fes­ten Leit­faden. Wer porträtiert wird, bekommt im Voraus die Stich­worte, damit er sich Gedanken machen kann. Fest zum Fra­genkat­a­log gehört auch die Frage nach dem Glauben und fes­ten Rit­ualen. «Weil wir sel­ber jeden Abend gemein­sam beten, frage ich die Leute auch danach», erzählt Christi­na Boss. Die Antworten zeigen, dass die aller­meis­ten an etwas glauben. Viele Inter­viewte bericht­en vom «Glauben an eine höhere Macht». Über­raschend viele beten regelmäs­sig, wie Christi­na Boss weiss. «Es ist schön, wie die Leute über ihren Glauben sprechen kön­nen», freut sie sich. Ihr Mann beobachtet, dass einige sich zwar als gläu­big beze­ich­nen, jedoch angeben, ein Prob­lem mit dem «göt­tlichen Boden­per­son­al» zu haben. Die Wurzeln dieser Vor­be­halte lägen häu­fig in neg­a­tiv­en Erleb­nis­sen mit der Insti­tu­tion Kirche. Der Komik­er Peach Weber etwa wollte als Bub Pfar­rer wer­den. Auf­grund eines schock­ieren­den Erleb­niss­es in der Kirche wen­dete er sich jedoch von dieser ab. Ein bekan­nter Eishock­ey-Schied­srichter wollte seine Kinder auf spezielle Art taufen lassen. Er blitzte mit seinem Wun­sch beim Pfar­rer ab. Darum hat auch er sich von der Kirche dis­tanziert.

Gute Erfahrungen tragen durchs Leben

Einige Per­sön­lichkeit­en bericht­en auch über pos­i­tive Kirch­en­er­fahrun­gen. Meis­tens sind es Erleb­nisse aus der Kind­heit. Wei­h­nachts­feste im Kreis der Fam­i­lie etwa oder das Gebet mit den Grossel­tern. Ste­fan Werlen, heute bekan­nt als Pater Mar­tin, ehe­ma­liger Abt des Klosters Ein­siedeln, sagt über seine Kind­heit im Ober­goms: «Unsere Fam­i­lie war in die grosse Fam­i­lie der Gemeinde und der Pfar­rei einge­bun­den. Wie alle Leute in unserem Dorf. Die Erfahrung der Gemein­schaft trug uns und die Kirche gehörte selb­stver­ständlich dazu.» Eine tra­gende Basis für ein langes, inten­sives Glaubensleben.

 Neues Projekt für Kleinkinder und ihre Familien

Möglichst vie­len Men­schen eine tra­gende Basis zu ver­mit­teln, ist also eine wichtige Auf­gabe der Kirche. Auf der Fach­stelle Kat­e­ch­ese-Medi­en der Römisch-Katholis­chen Kirche im Aar­gau ist die Auf­gabe erkan­nt. Im kom­menden Som­mer startet die Fach­stelle das Pro­jekt «Kat­e­ch­ese für Kleinkinder und ihre Fam­i­lien». Fach­stel­len­lei­t­erin Moni Egger sagt dazu: «Es gibt in den Pfar­reien viele punk­tuelle Ange­bote, aber keine gemein­same Struk­tur.» In enger Zusam­me­nar­beit mit den Pfar­reien soll eine über­ge­ord­nete Ebene entste­hen. Bere­its heute unter­stützt aber die Fach­stelle inter­essierte Eltern bei der Weit­er­gabe des Glaubens an die Kinder: «Die Medi­en der Fach­stelle kön­nen von allen Inter­essierten im Aar­gau aus­geliehen wer­den. Es gibt darunter vieles, das bei Glauben­s­the­men im Fam­i­lien­all­t­ag helfen kann. Wir berat­en gerne.», betont Moni Egger.

Katechetinnen prägen das Bild von Kirche

Beim Lesen in «Der steile Weg ins Ram­p­en­licht» wird bewusst, dass Kirchen­leute mit päd­a­gogis­chem Geschick wichtige Iden­ti­fika­tions­fig­uren sein kön­nen. Moni Egger sieht deshalb eine grosse Ver­ant­wor­tung auf den kat­e­chetisch Täti­gen las­ten: «Viele Men­schen haben mit der Kirche gar nichts mehr zu tun. Sie hören allen­falls in den Medi­en Berichte über die Kirche – meis­tens neg­a­tive. Der einzige Kon­takt beste­ht häu­fig über die Lehrper­so­n­en der eige­nen Kinder. Ihr Ver­hal­ten prägt wesentlich das Kirchen­bild der Men­schen, die mit ihnen zu tun haben.» Grund­sät­zlich sei jed­er Men­sch, der mit Kindern arbeite, zu Gerechtigkeit, Näch­sten­liebe und Sol­i­dar­ität verpflichtet, find­et Moni Egger. Sie bestre­it­et jedoch nicht, dass diese christlichen Werte vielle­icht für kat­e­chetisch Tätige eine noch grössere Rolle spie­len kön­nten: «Bei den Kindern und Jugendlichen ist vor allem die per­sön­liche Beziehung zur kat­e­chetis­chen Kon­tak­t­per­son wichtig. Stimmt diese, bleibt der Reli­gion­sun­ter­richt pos­i­tiv in Erin­nerung, Kirche ist dann eher pos­i­tiv kon­notiert. Lang­weilen sich die Kinder oder fühlen sich nicht ernst genom­men, wird ten­den­ziell die ganze Kirche und Reli­gion neg­a­tiv wahrgenom­men.»

Die eigene Biografie einbeziehen

Clau­dia Rüegseg­ger, die Aus­bil­dungslei­t­erin der kat­e­chetis­chen Aus­bil­dung «Mod­u­lAar» im Aar­gau, erk­lärt, dass die Ler­nen­den in der kat­e­chetis­chen Aus­bil­dung auf ihre Ver­ant­wor­tung aufmerk­sam gemacht wer­den. In der Aus­bil­dung spielt die Reflex­ion des per­sön­lichen Lern­prozess­es eine grosse Rolle. Clau­dia Rüegseg­ger nen­nt ein paar Aus­bil­dungs­the­men: «Die per­sön­liche Biografiear­beit geschieht zum Beispiel in Form eines Lebenspanora­mas im Lern­port­fo­lio, in Stan­dort­ge­sprächen mit den Aus­bil­dungslei­t­en­den, in Inter­vi­sions- und Super­vi­sion­s­grup­pen.» Und sie betont einen weit­eren wichti­gen Umstand: «Die meis­ten unser­er Kat­e­chetinnen in der Aus­bil­dung sind sel­ber Müt­ter oder Väter und alle sind Töchter und Söhne. Deshalb spricht immer auch diese per­sön­liche Erfahrungswelt mit.»

Mit dem Pfarrer ins Kino

Das Autoren­paar Christi­na und Chris­t­ian Boss ist sel­ber sta­bil im Glauben ver­ankert und fühlt sich «direkt mit dem lieben Gott ver­bun­den», wie Christi­na sagt. Als ehe­ma­liger Finanzver­wal­ter und aktueller Geschäfts­führer der Pen­sion­skasse der Reformierten Lan­deskirche Aar­gau hat Chris­t­ian Boss auch in weltlich­er Hin­sicht mit der Kirche zu tun. Wie wichtig pos­i­tiv prä­gende Erleb­nisse mit der Kirche sind, zeigt auch ihre eigene Geschichte. Christi­na und Chris­t­ian Boss sind bei­de in Meirin­gen aufgewach­sen und haben seit der 3. Pri­mark­lasse alle Schul­stufen inklu­sive der kaufmän­nis­chen Beruf­ss­chule in der gle­ichen Klasse besucht. Ihre Liebes­beziehung begann in der 7. Klasse. Als Christi­nas Mut­ter von der Beziehung erfuhr, plagte sie die Sorge, ihre 14-jährige Tochter kön­nte unge­wollt schwanger wer­den. So ver­traute sich die Mut­ter dem Dorf­p­far­rer an. Chris­t­ian Boss erin­nert sich: «Der Pfar­rer zitierte mich zu sich. Er hiess mich in sein Auto ein­steigen und fuhr mit mir über den Brünig­pass nach Luzern. Dort schaut­en wir im Kino einen hap­pi­gen Kriegs­film. Dann fuhren wir zurück. Ich wartete die ganze Zeit auf seine Stand­pauke. Doch als wir zurück in Meirin­gen waren, klopfte er mir nur auf die Schul­ter und meinte: ‚Du machst das schon richtig.’ Das waren Worte, die mir sehr gut tat­en.»

47-jährige Liebesbeziehung

Nach der Lehre zog das junge Paar vom Bern­er Ober­land in den Aar­gau, weil hier das unver­heiratete Zusam­men­leben erlaubt war. Mit zwanzig heirateten Christi­na und Chris­t­ian Boss. «Der liebe Gott schenk­te uns zwei gesunde Kinder und inzwis­chen auch vier wun­der­bare Enkelkinder – wofür wir sehr dankbar sind!» Sei­ther haben die bei­den immer wieder gemeisame Pro­jek­te angepackt, während zwanzig Jahren zum Beispiel betreuten sie zusam­men Fuss­ball­teams, er als Train­er, sie als Ther­a­peutin. Zum gemein­samen Büch­er­schreiben sagt Chris­t­ian Boss abschliessend: «Nach 47 Ehe­jahren ist es für mich kein Prob­lem mehr zu merken, was Christi­na mit ihren Noti­zen meint.»

Aktion für Horizonte-Leserinnen und –leser

Bis am 28. Feb­ru­ar 2017 erhal­ten Hor­i­zonte-Leserin­nen und ‑leser das Buch «Der steile Weg ins Ram­p­en­licht» für 25.- statt 36.80.- Franken. Sie kön­nen das Buch per Tele­fon, Fax oder E‑Mail bestellen.T 061 264 64 64 / Fax 061 264 64 86 / Ver­wen­den Sie für die Bestel­lung das Stich­wort «Hor­i­zonte-Aktion». Hier gehts zum Rein­hardt-Ver­lagNeben dem aktuellen Buch sind im Rein­hardt-Ver­lag fol­gende Büch­er von Christi­na und Chris­t­ian Boss erschienen:«Schied­srichter sind auch nur Men­schen» — Schied­srichter erzählen span­nende Geschicht­en. ISBN-Nr.: 978–3‑7245–2100‑6, erschienen 2015.«Gold­enes Eichen­laub» — Die Geschicht­en der Schwinger mit 100 und mehr Kranzgewin­nen. ISBN-Nr.: 978–3‑7245–2116‑7, erschienen 2016.Im Laufe dieses Jahres wird, eben­falls im Rein­hardt-Ver­lag, das neueste Buch von Christi­na und Chris­t­ian Boss erscheinen mit dem Titel: «Poli­tik­er und ihr anderes Ich».
Marie-Christine Andres Schürch
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