Tex­te aus der Innenwelt

«Mei­ne Arbeit soll Freu­de und Inter­es­se wecken, Men­schen mit einer Demenz zu begeg­nen.» Den Ver­such, die­sen Anspruch ein­zu­lö­sen, unter­nimmt der Seel­sor­ger und Lyri­ker Tho­mas Jen­el­ten mit sei­nem neue­sten Buch «zimt­mar­le­ne». Seit drei Jah­ren arbei­tet Tho­mas Jen­el­ten im Regio­na­len Pfle­ge­zen­trum Baden. Begeg­nun­gen mit demen­ti­ell erkrank­ten Men­schen gehö­ren zu sei­nem Berufs­all­tag: «Die­se Begeg­nun­gen sind ab und zu fas­zi­nie­rend. Hie und da ver­stö­rend», so der Seel­sor­ger. Um sich in der The­ma­tik kom­pe­ten­ter zu füh­len, absol­vier­te der 57-Jäh­ri­ge am Insti­tut Alter der Ber­ner Fach­hoch­schu­le eine Wei­ter­bil­dung zum The­ma Demenz.In die­sem Zusam­men­hang ist ein Buch ent­stan­den – inspi­riert von einer Aus­sa­ge des Lite­ra­tur-Nobel­preis­trä­gers Mari­on Var­gas Llosa: «Kul­tur ist ein Motor mensch­li­chen Fort­schritts». Tho­mas Jen­el­ten: «Das Nega­tiv­bild der Demenz hat zur Fol­ge, dass Men­schen mit einer Demenz an den Rand der Gesell­schaft gedrängt wer­den. Hier gilt es Gegen­steu­er zu geben. Sowohl von­sei­ten der Fach­leu­te, als auch zum Bei­spiel von­sei­ten der Kul­tur­schaf­fen­den.»

Theo­rie als Poesie 

«zimt­mar­le­ne» soll ein Ver­such sein, der Welt der Demenz mög­lichst nahe zu kom­men. Auf die Fra­ge, wie die Gedich­te bei­spiels­wei­se einem Mann, der sei­ne demen­ti­ell erkrank­te Frau pflegt, ganz kon­kret hel­fen sol­len, meint Tho­mas Jen­el­ten: «Die Tex­te geben ein Gefühl für das Erle­ben in der Demenz. Das ist ja oft sehr chao­tisch, kommt zumin­dest so ent­ge­gen. Die Tex­te, ver­bun­den mit der gra­fi­schen Dar­stel­lung, brin­gen ein biss­chen Ruhe und Ord­nung – so hof­fe ich.»  Ganz so ordent­lich geht es im Buch jedoch nicht zu und her. So sind die Sei­ten­zah­len bewusst durch­ein­an­der­ge­ra­ten und das Schrift­bild erzeugt eine leich­te, opti­sche Vibra­ti­on.

Erwach­se­nen­bild­ne­risch unterwegs

Tho­mas Jen­el­ten will mit sei­nem neu­en Buch zum The­ma Demenz erwach­se­nen­bild­ne­risch unter­wegs sein. «Ich ver­ste­he mei­nen Ansatz als Ergän­zung zu ande­ren Ange­bo­ten. Kla­re Sach­in­for­ma­tio­nen sind beim The­ma Demenz sehr wich­tig. Bei Ver­an­stal­tun­gen habe ich die Mög­lich­keit, die­se Sach­in­for­ma­tio­nen zu den Tex­ten hin­zu­zu­fü­gen. Aber die Tex­te spre­chen auch für sich.»

Doch eine Logik

Eini­ge Tex­te im Buch ent­stan­den auf der Basis erzähl­ter Erfah­run­gen. Eini­ge Tex­te ent­stan­den, weil Tho­mas Jen­el­ten einen bestimm­ten theo­re­ti­schen Sach­ver­halt in einen Innen­welt-Text ver­packen woll­te. In sei­ner Abschluss­ar­beit zur erwähn­ten Wei­ter­bil­dung illu­striert er die kon­kre­te Arbeit am Bei­spiel des Buch­ti­tels bezie­hungs­wei­se Gedichts «zimt­mar­le­ne». «Ich erle­be oft, wie mir Men­schen mit einer Demenz mit viel Anstren­gung einen Sach­ver­halt erklä­ren. Sie gehen ver­schlun­ge­ne Wege, die ich in vie­len Fäl­len nicht mit­voll­zie­hen kann. Und doch habe ich die Hypo­the­se, dass die­sen Erklä­rungs­ver­su­chen letzt­lich eine Logik zugrun­de liegt. Etwas von die­ser Logik schim­mert im fol­gen­den Text durch.» Die­ser Text ist von der Ent­ste­hung her einer der letz­ten des Buches. «Er zeigt auf, dass ich mir mit der Zeit immer mehr poe­ti­sche Frei­heit genom­men habe, Doku­men­ta­ri­sches und Poe­ti­sches flies­sen inein­an­der», bestä­tigt der Lyri­ker.so wie hän­sel und gre­tel und da das dings auf dem boden mai­län­der­li mar­le­ne singt schön oder so wie der milan wie ein flug­dings irgend­wie zimt­mar­le­ne oder so

Posi­ti­ve, erste Reaktionen

Am 27. Sep­tem­ber fand die Ver­nis­sa­ge zur «zimt­mar­le­ne» statt. Der Autor nennt erste Reak­tio­nen: «Zwei Demenz­fach­leu­te sag­ten mir, dass sie die lie­be­vol­le und kla­re Sicht­wei­se auf die Demenz sehr schät­zen. Men­schen mit Demenz wür­den ernst genom­men als erwach­se­ne Per­so­nen mit einer eige­nen Per­sön­lich­keit. Ande­re sag­ten, dass ihnen die Tex­te hel­fen, ein Emp­fin­den für die Innen­welt zu gewin­nen und irgend­wie auch Mut machen für Begeg­nun­gen.»

Sein im Jetzt

Rück­blickend auf die Arbeit an sei­nem neu­en Buch stell­te Tho­mas Jen­el­ten fest, dass sich sei­ne Arbeit als Seel­sor­ger und sein Schrei­ben ver­än­der­ten: «Begeg­nun­gen mit Men­schen mit einer Demenz ver­lan­gen Acht­sam­keit und viel ‚Sein im Jetzt’. Denn sie machen in ihren Aus­sa­gen Sprün­ge und nicht nach­voll­zieh­ba­re The­men­wech­sel. Sie holen auch mein Schrei­ben in die Gegen­wart. Ich ver­su­che weni­ger, Brü­che und Ris­se zu über­tün­chen.»

Alter­na­ti­ve Suizid

Bei der Dia­gno­se Demenz sehen mitt­ler­wei­le ins­be­son­de­re Män­ner nur den Alters­sui­zid als Aus­weg, um der Nach­welt ihrer Ansicht nach wür­dig in Erin­ne­rung zu blei­ben. Wie wür­de Tho­mas Jen­el­ten aus heu­ti­ger Sicht mit einer sol­chen Dia­gno­se umge­hen?: «Ich beob­ach­te im Leben der Men­schen mit Demenz sehr viel Bedrücken­des – aber auch sehr viel Reich­tum. Da ist nicht nur das Schwe­re – da ist auch viel Leich­tig­keit. Da gibt es auch Glücks­mo­men­te. Und oft auch mehr Emo­tio­na­li­tät. Dar­um ist für mich Alters­sui­zid kein The­ma. Ich hof­fe ein­fach, dass ich im Fal­le einer Demenz­er­kran­kung Men­schen neben mir habe, die mich lie­be­voll betreu­en und beglei­ten. Das ist ent­schei­dend. Aber das ist es ja eigent­lich in jeder Lebens­si­tua­ti­on.»

Lese­tour

Tho­mas Jen­el­ten geht mit «zimt­mar­le­ne» (Bezug zum Preis von 20 Fran­ken über www.rpb.ch) auf Lese­tour­nee. Öffent­li­che Daten sind:

2016

28. Okto­ber Lesung anläss­lich einer Ver­nis­sa­ge mit Bil­dern von Ger­hard Schürch in Worb15. Novem­ber Lesung in der Pfle­ge­wohn­grup­pe Bad Zurz­ach20. Novem­ber Mati­née im Schluss Wald­egg in Feld­brun­nen

2017

17. Janu­ar Lesung und Ein­füh­rung für Mit­ar­bei­ten­de in Besuchs­dien­sten im Bul­lin­ger­haus Aar­au18.Januar Lesung und Ein­füh­rung im Alters- und Pfle­ge­zen­trum Sonn­hal­den in Arbon24.März Lesung im Gefäss «Kul­tur im Gewöl­be­kel­ler» in Wis­li­kofen mit ver­ges­se­nen Spei­senwww.thomasjenelten.ch  
Redaktion Lichtblick
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