Ein Drittel mehr Kirchenaustritte im Aargau

Ein Drittel mehr Kirchenaustritte im Aargau

  • Die Sta­tis­tik der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche zeigt, dass im ver­gan­genen Jahr 4’093 Aar­gauer Katho­likin­nen und Katho­liken ihre Kirche ver­lassen haben. Das sind 1’000 Aus­tritte mehr als im Vor­jahr.
  • Rel­a­tiv gese­hen trat­en 33 Prozent mehr Men­schen aus der Kirche aus als 2017.
  • Die Römisch-Katholis­che Kirche im Aar­gau will etwas gegen die Aus­tritte tun und den dis­tanzierten Kirchen­mit­gliedern mehr Wertschätzung ent­ge­gen­brin­gen.
 Kirchen­rat­spräsi­dent Luc Hum­bel sieht den Tat­sachen ins Auge: «Es lässt sich nicht wegdisku­tieren, dass die anhal­tenden Neg­a­tivschlagzeilen im ver­gan­genen Jahr die Kirchenaus­tritte haben ansteigen lassen.» Obwohl die rel­a­tive Abnahme der Mit­glieder im Aar­gau weniger als 1 Prozent beträgt und die Gesamt­mit­gliederzahl daher als rel­a­tiv sta­bil beze­ich­net wer­den kann, will sich die Aar­gauer Lan­deskirche dem Prob­lem des Mit­glieder­schwunds stellen. «Zwar kann man nicht die hier und heute agieren­den Per­so­n­en für die Skan­dale inner­halb der katholis­chen Kirche ver­ant­wortlich machen, doch wir müssen und wollen unsere Ver­ant­wor­tung wahrnehmen und die Missstände inner­halb unser­er Kirche ange­hen, um wieder glaub­würdig zu sein», sagt Luc Hum­bel. Die Mit­gliederzahl der römisch-katholis­chen Kirche im Aar­gau betrug per Ende 2018 215’984 Per­so­n­en, ein Jahr vorher waren es noch 217’800 Mit­glieder.

133 bewusste Entscheidungen für die Kirche

Ein klein­er Trost ist, dass gegenüber dem Vor­jahr nicht nur die Aus‑, son­dern auch die Ein­tritte zunah­men. 133 Gläu­bige sind der Römisch-Katholis­chen Kirche im Aar­gau 2018 beige­treten, auch hier zeigt sich ein Plus von etwa 30 Prozent. Bei den Einge­trete­nen han­delt es sich nicht um Zuzüger oder getaufte Kleinkinder, son­dern um Erwach­sene, die sich bewusst für die Kirche entschei­den.

Stellung der Frauen und Missbrauchsfälle als Austrittsgrund

Ob es Monate mit beson­ders vie­len Aus­trit­ten gab, lässt sich aus der Sta­tis­tik der Lan­deskirche nicht her­ausle­sen. Der direk­te Zusam­men­hang zwis­chen dem Bekan­ntwer­den von Miss­brauchs­fällen und den Aus­trit­ten lässt sich deshalb nur ver­muten. Allerd­ings zeigt eine Umfrage bei den Pfar­reisekre­tari­at­en, dass die Neg­a­tivschlagzeilen dur­chaus Grund für Aus­tritte sind. Im Pas­toral­raum Region Brugg-Windisch zum Beispiel gab es mehrere Per­so­n­en, welche die schwache Stel­lung der Frauen, die Äusserun­gen gewiss­er Bis­chöfe und eben auch die vie­len Fälle sex­uellen Miss­brauchs inner­halb der Kirche als auss­chlaggebend für ihren Aus­trittsentscheid beze­ich­neten.

Am meisten Austritte wegen der Kirchensteuern

Die Erfahrung auf den Pfar­rämtern zeigt aber auch: Die über­wiegende Mehrheit der Aus­tre­tenden schickt ein Stan­dard­for­mu­lar aus dem Inter­net, ohne per­sön­lichen Kom­men­tar. «Diejeni­gen, die sich die Mühe machen, einen Brief zu schreiben, treten meist wegen Missstän­den inner­halb der Kirche aus. Alle anderen wegen der Kirchen­s­teuern», ver­mutet eine Pfar­reisekretärin.

Wertschätzung gegenüber distanzierten Mitgliedern

Aus mehreren Pfar­reien ist zu vernehmen, dass vor allem jün­gere Leute im Alter zwis­chen 25 und 45 Jahren der Kirche den Rück­en kehren. Dies mit der Begrün­dung, sie hät­ten keinen Bezug mehr zur Insti­tu­tion und zum Glauben. Diese dis­tanzierten Mit­glieder sollen die Kirchge­mein­den ver­suchen, an Bord zu behal­ten. An den Kirchenpflege­ta­gun­gen bemüht sich die Lan­deskirche deshalb, den Ver­ant­wortlichen in den Kirchge­mein­den den wertschätzen­den Umgang mit den so genan­nten Dis­tanzierten zu ver­mit­teln (Hor­i­zonte berichtete). Ein sicht­bares Zeichen für die Anstren­gun­gen der Römisch-Katholis­chen und der reformierten Lan­deskirche ist die Osterkarte­nak­tion. Die bei­den Lan­deskirchen wer­den dieses Jahr erst­mals eine öku­menis­che Osterkarte gestal­ten, die kan­ton­sweit an die Kirchge­mein­den verteilt und von dort an alle Kirchen­mit­glieder ver­schickt wird.

Auch Italiener und Portugiesen treten aus

Dass im let­zten Jahr im ganzen Aar­gau 1’000 Leute mehr als im Vor­jahr aus der Kirche aus­ge­treten sind, weckt auch in den Pfar­reien Besorg­nis. Eine Pfar­reisekretärin aus dem Wes­t­aar­gau sagt: «In meinen 18 Jahren auf dem Pfar­ramt habe ich noch nie so viele Aus­tritte erlebt.» Aufge­fall­en sei ihr, dass neuerd­ings auch Ange­hörige der ander­ssprachi­gen Mis­sio­nen wie Ital­iener und Por­tugiesen, die tra­di­tionell stärk­er im Glauben ver­ankert sind, aus­trat­en. Ein Ende der Aus­tritte sei momen­tan nicht in Sicht: «Was mich erschreckt: seit dem ersten Jan­u­ar 2019 sind bei uns bere­its wieder 48 Mit­glieder aus­ge­treten», sagt die Pfar­reisekretärin. Sie ver­mutet, dass die meis­ten gehen, um Kirchen­s­teuern zu sparen.

Bei Austritten leidet die Kirchgemeinde

Das Geld, welch­es die Aus­ge­trete­nen dank weg­fal­l­en­der Kirchen­s­teuern sparen, fehlt dann aber nicht dem Papst in Rom, son­dern der Kirchge­meinde vor Ort. 86 Prozent der Kirchen­s­teuern bleiben näm­lich in der eige­nen Kirchge­meinde. Ver­liert eine Kirchge­meinde Mit­glieder, spürt sie das finanziell. Die Kirchenpflege Wet­tin­gen musste aus diesem Grund bere­its mehreren Vere­inen das Bud­get kürzen, wie Vizepräsi­dent Bern­hard Lang erk­lärt. Doch nicht nur das Geld fehlt, son­dern die Men­schen an und für sich. Die Kirchen wer­den leer­er. Grund zur Freude und Hoff­nung geben sowohl in Wet­tin­gen wie auch in anderen Pfar­reien die Jung­wacht Blau­r­ing-Scharen. Diese freuen sich über hohe Mit­gliederzahlen. In diesem Rah­men machen Buben und Mäd­chen pos­i­tive Erfahrun­gen, die sie im besten Fall auch im Erwach­se­nenal­ter in der Kirche zu hal­ten ver­mö­gen.

Christkatholiken verzeichnen keine Austritte

Im Gegen­satz zu den Katho­liken haben die Christkatho­liken im Aar­gau keine Aus­tritte zu verze­ich­nen. Wie der kan­tonale Präsi­dent der Christkatho­liken, Ernst Blust, bekan­nt­gibt, zählten die ins­ge­samt sieben christkatholis­chen Kirchge­mein­den im Aar­gau per Ende 2018 2‘943 Mit­glieder. Das sind knapp 60 Per­so­n­en mehr als ein Jahr zuvor. Die reformierte Kirche im Aar­gau veröf­fentlicht die aktuell­sten Mit­gliederzahlen voraus­sichtlich im April.www.kircheneintritt.ch 
Marie-Christine Andres Schürch
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