Die kleine Schwester feiert Geburtstag

Die kleine Schwester feiert Geburtstag

  • Die Christkatholis­che Kirchge­meinde Aarau feiert ihren 150. Geburt­stag.
  • «Es gibt viel mehr, was uns verbindet, als was uns tren­nt», sagt Pfar­rerin Antje Kirch­hofer über das Ver­hält­nis zur römisch-katholis­chen Kirche.
  • Wie in den Anfän­gen übt die christkatholis­che Kirche auf manche römisch-katholis­che Katho­likin­nen und Katho­liken eine anziehende Wirkung aus.

In Aarau wohnen Pfar­rerin Antje Kirch­hofer-Gri­asch und ihr Mann Lenz Kirch­hofer seit 2014 im alten denkmalgeschützten Pfar­rhaus der christkatholis­chen Kirche direkt neben dem Rathaus. Das 1784 erbaute Gebäude wurde 1876 zum ersten Pfar­rhaus der christkatholis­chen Kirche. Antje und Lenz Kirch­hofer teilen sich das Pfar­ramt, und mit den reformierten Kol­legin­nen und Kol­le­gen teilen sie sich die Kirche.

Ökumene in Aarau

Die drei Lan­deskirchen arbeit­en in Aarau öku­menisch zusam­men. Neben den gemein­samen Gottes­di­en­sten gehe es auch um prak­tis­che Fra­gen etwa zur Laut­sprecher­an­lage auf dem Fried­hof oder wie man als Kirchen in Krisen­zeit­en gemein­sam kom­mu­nizieren wolle, sagt Antje Kirch­hofer über die Zusam­me­nar­beit.

[esf_wordpressimage id=42316 width=half float=left][/esf_wordpressimage]

Burghard Förster ist Diakon und Leit­er der römisch-katholis­chen Pfar­rei Peter und Paul in Aarau. Er ist seinen christkatholis­chen Nach­barin­nen und Nach­barn dankbar für die Ökumene, die er mit ihnen leben dürfe.

Liturgischer Modus

The­ol­o­gis­che Stre­it­igkeit­en in Zusam­men­hang mit den öku­menis­chen Gottes­di­en­sten gebe es keine. Längst hät­ten sie einen Modus gefun­den, der für alle stim­mig sei, sagt Antje Kirch­hofer. «Das, was litur­gisch möglich ist, machen wir», sagt Burghard Förster, «und manch­mal gehen wir etwas darüber hin­aus.»

Ökumene war bere­its in der Grün­dungszeit der altkatholis­chen Kirche wichtig. Vor allem mit der anglikanis­chen und den ortho­dox­en Kirchen pflegten die altkatholis­chen Kirchen Kon­takt. Die Utrechter Union der Altkatholis­chen Kirchen waren denn auch Grün­dungsmit­glieder im Öku­menis­chen Rat der Kirchen.

Dialog ohne Entscheidungen

Antje Kirch­hofer arbeit­et in der nationalen Christkatholisch-römisch-katholis­chen Dialogkom­mis­sion mit. Auf den Aus­tausch mit der römisch-katholis­chen Kirche ange­sprochen, sagt sie: «Der Dia­log mit der römisch-katholis­chen Kirche befind­et sich auf ein­er Ebene, auf der keine Entschei­dun­gen getrof­fen wer­den. Sie erwarte nicht, dass sich zu ihren Lebzeit­en in der katholis­chen Kirche etwas ändern werde.

«Wir haben viele Entschei­dun­gen getrof­fen, die von der römisch-katholis­chen Kirche nicht mit­ge­tra­gen wer­den.» Damit meint die Pfar­rerin die Abschaf­fung des Pflichtzöli­bates, die Ordi­na­tion der Frauen zur Pries­terin oder seit ver­gan­genem Jahr die Ehe für alle. Dem gegenüber ste­he aber die alltägliche Prax­is, in der die Kon­fes­sio­nen immer weniger eine Rolle spiele.

[esf_wordpressimage id=42304 width=half float=right][/esf_wordpressimage]

Burghard Förster stellte sich im Pfar­reiblatt im ver­gan­genen Dezem­ber die Frage, wie er sich 1875 wohl entsch­ieden hätte, wäre er an der his­torischen Abstim­mung über die Annahme der altkatholis­chen Kirchen­ver­fas­sung dabei gewe­sen.

Anfänge der christkatholischen Kirche

Damals, am Oster­mon­tag 1875, beschloss die katholis­che Kirchge­mein­de­v­er­samm­lung die altkatholis­che Kirchen­ver­fas­sung anzunehmen. Wie viele der 900 Katho­likin­nen und Katho­liken in Aarau damals Rom den Rück­en gekehrt hat­ten, ist nicht bekan­nt.

Um 1800 hat­te es die reformierte Stadt Aarau kurzzeit­ig zur Haupt­stadt der Hel­vetik gebracht und blieb nach dem Ende der Repub­lik und der Kan­ton­s­grün­dung 1803 Kan­ton­shaupt­stadt. Darum lebten in Aarau viele Beamten und Behör­den­mit­glieder aus dem ganzen Kan­ton. Unter ihnen auch Katho­likin­nen und Katho­liken.

Katholische Gottesdienste

Der Grosse Rat beschloss deshalb die Errich­tung ein­er katholis­chen Pfar­rei in Aarau, um den Katho­likin­nen und Katho­liken ihre freie und uneingeschränk­te Ausübung der Gottes­di­en­ste zu ermöglichen. So wollte es auch die kurz davor ent­standene napoleonis­che Medi­a­tion­sak­te.

In den darauf­fol­gen­den Jahren wuchs die katholis­che Gemeinde in Aarau vor allem durch den Zuzug von Dien­st­per­son­al, Handw­erk­ern und Gewer­be­treiben­den. 1870 zählte sie rund 900 Ange­hörige gegenüber 4500 reformierten Gläu­bi­gen.

Liberale Katholiken gegen Romtreue

In der katholis­chen Gemeinde verkehrten promi­nente Mit­glieder. Etwa der Poli­tik­er und Bil­dungsre­former Augustin Keller oder der Luzern­er Pfar­rer und Schuldirek­tor Franz-Xaver Fis­ch­er. Dieser wurde der erste und langjährige Pfar­rer der christkatholis­chen Pfar­rei Aarau. Die Gemein­demit­glieder ver­trat­en eine lib­er­al-katholis­che Gesin­nung und dis­tanzierten sich von den Romtreuen. Darum lehnte die Mehrheit der Gemeinde das 1870 beschlossene Unfehlbarkeits-Dog­ma des Pap­stes ab und trat­en der altkatholis­chen Kirche bei.

Mar­tin Mösch-Gassler aus Frick war Staatskan­zleisekretär und lebte in Aarau. Schon seit langer Zeit blieb er der reform-katholis­chen Gemeinde in Aarau fern. Mit anderen Romtreuen fand er in den Gottes­di­en­sten in Erlins­bach oder Schö­nen­werd Zuflucht. Er set­zte er sich für das Wieder­erstarken der katholis­chen Gemeinde in Aarau ein.

Aarau bekommt eine römisch-katholische Kirche

1879 wurde unter Mar­tin Möschs Leitung eine Liegen­schaft an der Kasi­nos­trasse in Aarau gekauft – allerd­ings über einen Mit­tels­mann. In Zeit­en des Kul­turkampfes war dieses Vorge­hen nötig. Die Sche­une sollte für Gottes­di­en­ste umge­baut wer­den. Der Umbau wurde aber vom Stad­trat abgelehnt.

Die Wan­der­ausstel­lung unter­wegs zur Geschichte der christkatholis­chen Kirche in der Schweiz ist noch bis am 19. Feb­ru­ar im Stadt­mu­se­um Aarau zu sehen, dann geht sie weit­er nach Grenchen.

Ein neu gegrün­detes Komi­tee nahm 1880 die Pla­nungsar­beit­en für einen Kirchen-Neubau auf. Am 12. Sep­tem­ber 1886 wei­hte der Basler Bischof Friedrich Fiala die Kirche gemein­sam mit 600 Mit­gliedern feier­lich ein.

Heute zählt die römisch-katholis­che Pfar­rei Aarau rund 4700 Mit­glieder. Viele Kri­tikpunk­te der reformkatholis­chen Pio­niere bewe­gen Men­schen noch heute dazu, die römisch-katholis­che Kirche zu ver­lassen. Kon­ver­sio­nen in die christkatholis­che Kirche gibt es vor allem von kirch­lichen Mitar­bei­t­en­den der römisch-katholis­chen Kirche, denen etwa die Mis­sion ent­zo­gen wurde wegen ihrer sex­uellen Ori­en­tierung oder ihrem Zivil­stand.

Damals hätte er ver­mut­lich die altkatholis­che Kirchen­ver­fas­sung angenom­men, schreibt Burghard Förster im besagten Pfar­reiblatt-Artikel. Aber das sind Hypothe­sen. Es sei von der römisch-katholis­chen Kirche geprägt, erk­lärt der Diakon seine gegen­wär­tige Posi­tion. Es bestün­den viele Möglichkeit­en, Kirche offen, men­schen­nah und öku­menisch zu leben. Neben all den kri­tis­chen Punk­ten, die Her­aus­forderun­gen bleiben wür­den.

Eva Meienberg
mehr zum Autor
nach
soben