Die Benediktinergemeinschaft pflegt ein offenes Haus
Erhaben thront das Kloster auf einer Anhöhe inmitten von Hügeln und Wäldern am südlichen Dorfausgang von Fischingen. Wer sich ihm auf der Hauptstrasse nähert, sieht zuerst den Kirchturm aus dem 16. Jahrhundert, der später zweimal erhöht wurde, und die an die Klosterkirche angebaute Idda-Kapelle.In Weiss und Altrosa gehalten, wirken die Barockbauten hell und freundlich. Beim Näherkommen erschliessen sich einem auch die beeindruckenden Konventbauten aus dem 16. und 18. Jahrhundert. Das Kloster Fischingen ist das einzige bewohnte im Kanton Thurgau. Pilger, Seminargäste und Touristen sind hier gleichermassen willkommen. Sie finden Unterkunft und Verpflegung, können am Chorgebet der Benediktiner teilnehmen, in die Stille der prächtigen Barockkirche eintauchen oder auf den Spuren der heiligen Idda wandern. Bischof Ulrich II. von Konstanz gründete das Benediktinerstift St. Johann auf Anregung der Herren von Toggenburg um das Jahr 1135. Mönche aus Petershausen bei Konstanz besiedelten es; später kamen Nonnen dazu. Das Doppelkloster wurde im Jahr 1410 durch die Zürcher niedergebrannt. Beim Wiederaufbau erstand der Frauenkonvent nicht mehr. Seine Blütezeit erlebte das Kloster im 18. Jahrhundert. Aus dieser Zeit stammt seine hervorragende barocke Ausstattung. Orgel und Empore im Mönchschor der Klosterkirche zählen zu den bedeutendsten barocken Anlagen der Schweiz. Zwar teilte die Abtei das Schicksal der Thurgauer Klöster, die mit einer Ausnahme 1848 säkularisiert wurden. Doch seit 1977 leben in Fischingen wieder Mönche – Benediktiner aus Engelberg. Die Gemeinschaft besteht aus zurzeit neun Mitgliedern. Sie suchen im Rhythmus von Gebet und Arbeit Gott und setzen den alten Auftrag des Benedikt von Nursia neu um.
Meditation und Achtsamkeit
Heute finden in der prächtigen Kirche neben den Gottesdiensten auch von den Benediktinern geleitete Meditationen statt, die auf gute Resonanz stossen. Die Mönche, denen die Seelsorge in der Region obliegt, bieten zudem Achtsamkeitskurse an. Und Männer können sich hier während drei bis acht Tagen zurückziehen. Zu den täglichen Chorgebeten in der Katharina-Kapelle laden die Benediktiner alle ein, die gern gemeinsam beten. Der Verein Kloster Fischingen betreibt in den Klostergebäuden ein Seminarhotel, ein Restaurant, eine Schreinerei, einen Kulturbetrieb und eine Schule. Das Kloster ist ein wichtiges Etappenziel auf dem Pilgerweg zwischen Konstanz und Einsiedeln, der auf diesem Abschnitt «Schwabenweg» heisst. Während ihres Aufenthalts im Kloster – es stehen Mehrbett‑, Doppel- und Einzelzimmer zur Verfügung – können die Pilger am spirituellen Leben der Gemeinschaft teilnehmen.
Auf dem Jakobsweg
1‘950 Kilometer lang ist der Jakobsweg zwischen Konstanz und Santiago de Compostela. Dort soll sich die Grabstätte des Apostels Jakobus des Älteren befinden, der in Nordspanien gepredigt und Menschen zum Christentum bekehrt hatte. Die Stadt entwickelte sich im Mittelalter neben Rom und Jerusalem zum dritten Hauptziel der christlichen Pilgerfahrt. In den letzten Jahrzehnten hat der Jakobsweg eine erstaunliche Renaissance erfahren. In Fischingen angekommen, haben die Pilger 44 Kilometer hinter sich gebracht. Bevor sie ihren Weg fortsetzen, spenden die Benediktiner ihnen am frühen Morgen den Pilgersegen. Dies tun sie in der Idda-Kapelle, die 1704-08 erstellt wurde und als eine der wohlgeformtesten Zentralbauten des schweizerischen Hochbarocks gilt.
Die verstossene Gräfin
Kultisches Zentrum der Kapelle bildet das Grabmal der heiligen Idda. Sie lebte als Gräfin auf der nahen Toggenburg. Nach der Legende bezichtigte ihr Gatte sie zu Unrecht der Untreue mit einem Jäger und stiess sie von der Burgzinne. Idda überlebte den Sturz unversehrt und widmete ihr Leben fortan als Einsiedlerin Gott. In Begleitung eines Hirsches, der zwölf Lichter auf seinem Geweih trug, ging sie jede Nacht von ihrer Höhle zum Benediktinerkloster, um der Messe der Mönche beizuwohnen. Nach ihrem Tod um das Jahr 1226 wurde sie neben der Klosterkirche in einer Kapelle begraben, die später mehrfach erweitert wurde. Die Heilige wurde schon zu Lebzeiten vom Volk verehrt, und noch heute wenden sich die Menschen an sie. Im Fuss ihres Sandstein-Sarkophags aus dem Jahr 1496 befindet sich ein Loch, in das die Pilger zur Heilung ihre wundgelaufenen Füsse stecken.Katrin Zürcher