Der Got­tes­dienst­kri­ti­ker

Dass man sich mit Got­tes­dienst­kri­ti­ken gehö­rig in die Nes­seln set­zen kann, muss­te das  Inner­schwei­zer News­por­tal zen­tral­plus erle­ben. Tho­mas Wehr­li, Res­sort­lei­ter Frick­tal bei der Aar­gau­er Zei­tung, ist sich die­ser Her­aus­for­de­rung bewusst. Sein dop­pel­ter Heim­vor­teil als gebür­ti­ger Frick­ta­ler und Katho­lik dürf­te ihm bei sei­nem Vor­ha­ben zum Vor­teil gereichen. Herr Wehr­li, was hat Sie bewo­gen, für die Aar­gau­er Zei­tung Got­tes­dien­ste zu bespre­chen? Tho­mas Wehr­li: Im Grun­de hat Bischof Felix Gmür mit sei­ner Ankün­di­gung den Aus­schlag gege­ben, «sei­ne» Seel­sor­gen­den in die Pre­digt-Wei­ter­bil­dung zu schicken. Der Bischof wünscht sich mehr All­tags­be­zug.Was macht denn eine span­nen­de Pre­digt aus? Das ist eine gute Fra­ge. Ich beob­ach­te ja bei mir selbst auch bei Pre­dig­ten, dass ich ent­we­der auf­merk­sam bei der Sache bin oder abschwei­fe. Letzt­lich ist es sehr indi­vi­du­ell, ob eine Pre­digt ankommt oder nicht. Jemand, der in Trau­er ist, braucht gewiss etwas ande­res als jemand, der sich glück­lich fühlt.Und gene­rell? Aus mei­ner Sicht gibt es zwei Punk­te: Erstens muss ich mit einem guten Gefühl aus dem Got­tes­dienst kom­men. Damit mei­ne ich, dass ich etwas für mich mit­neh­men kann. Und zwei­tens muss eine Pre­digt auch Feu­er haben. Wenn es wie das Ver­le­sen eines Pro­to­kolls klingt, dann fes­selt es mich nicht. Über Gestik und Mimik soll­te ein gewis­ser Dia­log mit der Zuhö­rer­schaft ent­ste­hen.In der heu­ti­gen Zeit bie­ten sich ja auch tech­ni­sche Hilfs­mit­tel für ein gelun­ge­nes Pre­dig­t­er­leb­nis an. Ein Head­set-Mikro­fon ist sicher eine gute Sache und kann dazu bei­tra­gen, mehr Leben­dig­keit zu schaf­fen. Wich­tig ist mei­ner Ansicht nach Authen­ti­zi­tät, sonst kann es schnell zu einem schlech­ten Kino wer­den. Spe­zi­el­les soll­te man gezielt ein­set­zen. Eine Her­aus­for­de­rung ist mit Sicher­heit auch die Viel­schich­tig­keit der Got­tes­dienst­be­su­che­rin­nen und Got­tes­dienst­be­su­cher. Ein 70-Jäh­ri­ger braucht viel­leicht das Weih­rauch­fass, ein Jun­ger nicht. In die­sem Spa­nungs­feld bewegt sich die katho­li­sche Kir­che heu­te.Sie haben frü­her mini­striert, heu­te stu­die­ren Sie berufs­be­glei­tend Theo­lo­gie und lesen als Lek­tor selbst in der Kir­che. Wodurch füh­len Sie sich am mei­sten ange­spro­chen? Als Kind und spä­ter als Mini­strant lieb­te ich die Hoch­fe­ste mit Weih­rauch und dem gan­zen Brim­bo­ri­um. Heu­te ist mir wich­tig, dass ich erfüllt aus dem Got­tes­dienst raus­ge­hen und etwas mit­neh­men kann. Dann kann die Fei­er auch ganz schlicht sein. Per­sön­lich schät­ze ich die Kon­stanz, mag Lie­der, die ich ken­ne. Dann kann ich auch mit­sin­gen. Der bekann­te Ablauf des Got­tes­dien­stes ermög­licht es mir über­dies, zur Ruhe zu kom­men.Nun schrei­ben Sie für die Aar­gau­er-Zei­tung Got­tes­dienst­kri­ti­ken. Wie gehen Sie das an? Mir geht es um mei­ne sub­jek­ti­ve Wahr­neh­mung, die Seel­sor­gen­den beur­tei­len will ich nicht. Viel­mehr dar­le­gen, war­um mir etwas gefällt oder nicht. Und zei­gen, wie etwas mei­ner Ansicht nach in den Gesamt­rah­men eines Got­tes­dien­stes passt.Wie ein Bei­spiel aus der Zen­tral­schweiz zeigt, kön­nen Got­tes­dienst­kri­ti­ken schnell ein­mal har­sche Reak­tio­nen aus­lö­sen. Aus wel­chem Grund? Das Ent­schei­den­de ist sicher­lich, dass man nicht auf die Per­son zielt. Ich den­ke, man muss sei­ne Kri­tik den Leu­ten als Moment­auf­nah­me begreif­lich machen kön­nen und dar­le­gen, war­um man zu einem bestimm­ten Ein­druck kommt. Natür­lich ist man inhalt­lich nicht vor Fett­näpf­chen gefeit, doch ach­te ich mit Sicher­heit dar­auf, dass ich nicht unnö­ti­ge Akzen­tu­ie­run­gen mache, die pro­vo­zie­ren könn­ten oder den Ein­druck erwecken, dass ich für die «Tra­di­tio­na­li­sten» oder «Moder­ni­sten» Posi­ti­on bezie­he. Kir­che soll aber auch Mei­nun­gen zulas­sen kön­nen…In die­sem Sin­ne, so argu­men­tie­ren Sie, sind Got­tes­dienst­kri­ti­ken sinn­voll? Ja, denn der Got­tes­dienst war lan­ge ein geschütz­ter Raum. Da soll­te man hin­neh­men, was gebo­ten wur­de. Aber die Kir­che will und muss sich heu­te ja öff­nen. Für mich heisst das, dass sie in Dia­log tre­ten muss mit den Gläu­bi­gen und auf deren Wahr­neh­mun­gen und Bedürf­nis­se eingeht.
Andreas C. Müller
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