«Das Pilgern hilft mir, nicht an Dingen festzuhalten»

«Das Pilgern hilft mir, nicht an Dingen festzuhalten»

  • Er gilt als der «Pil­ger­papst» des Kan­tons Aar­gau: Bern­hard Lind­ner von der Fach­stelle Bil­dung und Prop­stei der Römisch-Katholis­chen Kirche im Aar­gau.
  • Seit eini­gen Jahren schon organ­isiert Lind­ner Pil­ger­reisen für erfahrene Pil­ger aber auch für Ein­steiger auf dem Weg mit dem Weg zum Ich.
  • Im Inter­view mit Hor­i­zonte erzählt er, wie er zum Pil­ger wurde und worauf es beim Pil­gern ankommt.

Pil­gern liegt im Trend. Das weiss kein­er bess­er als Bern­hard Lind­ner, bei der Fach­stelle Bil­dung und Prop­stei der Römisch-Katholis­chen Kirche im Aar­gau zuständig für die Bere­iche The­olo­giekurse, Pil­gern und Organ­i­sa­tions­ber­atung. Der The­ologe ist selb­st ein lei­den­schaftlich­er Pil­ger. Er führt auch regelmäs­sige Pil­ger­reisen auf dem Jakob­sweg durch. Dieses Inter­view, gar­niert mit weit­eren Bildern und Pil­gerempfehlun­gen, lesen Sie auf www.horizonte-aargau.ch.

Herr Lind­ner, Sie sind Mitte Mai von ein­er Pil­ger­reise in Frankre­ich zurück­gekom­men. Wie war’s?
Bern­hard Lind­ner: Die Pil­ger­reise führte uns auf dem franzö­sis­chen Jakob­sweg von Limo­ges nach Périgueux. Der 117 Kilo­me­ter lange Teil des Jakob­swegs Via Lemovi­cen­sis, südlich des franzö­sis­chen Zen­tral­mas­sivs, ist unter anderem bekan­nt durch sein mildes Kli­ma und die gute regionale Küche. Ich startete bere­its 2018 auf diesem Weg von Véze­lay aus, kon­nte ihn dann aber 2020 wegen Coro­na nicht fort­set­zen. Der Weg ist eine von vier Haup­trouten des Jakob­swegs durch Frankre­ich und wurde bere­its im Mit­te­lal­ter genutzt. Wir waren im Mai mit acht Teil­nehmenden unter­wegs und haben nur drei Pil­ger auf unser­er Route getrof­fen. Die Gegend ist ein­sam und besticht durch ihre unberührte Natur. Und natür­lich haben wir her­vor­ra­gend gegessen.

Sie gel­ten im Kan­ton als «der Aar­gauer Pil­ger­papst». Wie sind Sie über­haupt zum Pil­ger gewor­den?
Ich habe mich immer gerne bewegt und wan­dere häu­fig, auch mit mein­er Fam­i­lie oder früher als junger Men­sch. 2000 habe ich mich erst­mals mit ein­er Gruppe erwach­sen­er Firm­linge auf den Jakob­sweg gemacht, von Ein­siedeln nach Burgdorf. Das hat mich fasziniert. Pil­gern ist ein ganz anderes Auf-dem-Weg-Sein. Speziell dieser Weg ist wie ein Gang durch die «Kirchen­land­schaft» der Schweiz, vom Kloster Ein­siedeln über das Kloster Ingen­bohl, das Priestersem­i­nar in Luzern bis ins reformierte Burgdorf. Als ich 2003 meine Stelle bei der Fach­stelle Bil­dung und Prop­stei antrat, begann ich, meine Lei­den­schaft fürs Pil­gern in Form eines öffentlichen Ange­botes aufzubauen – zum Beispiel mit Schnup­perta­gen auf dem Jakob­sweg. Ich möchte die Men­schen für das Pil­gern und den Jakob­sweg begeis­tern. So war ich ab 2008 mit ein­er Gruppe auf dem spanis­chen Jakob­sweg unter­wegs. In drei Etap­pen haben wir den Weg inner­halb von drei Jahren bis nach San­ti­a­go de Com­postela gemeis­tert. Seit­dem bin ich jedes Jahr auf den spanis­chen Pil­ger­we­gen anzutr­e­f­fen.

Was fasziniert Sie denn so beson­ders am Pil­gern?
Ich verbinde unter­schiedliche Aspek­te mit dem Pil­gern. Ich ver­ste­he Pil­gern als Leben­shal­tung. Die Hal­tung, mit der ein Men­sch auf dem Pil­ger­weg unter­wegs ist, ist auch hil­fre­ich für das alltägliche Leben. Ich schätze, was mir im Leben geschenkt wird. Gle­ichzeit­ig bin ich mir bewusst, dass ich vieles, was ich als «Gepäck» mit mir herum­trage, nicht mit­nehmen kann, wenn meine Zeit auf der Erde abge­laufen ist. Das Pil­gern hil­ft mir, nicht an Din­gen festzuhal­ten und loszu­lassen. Weit­er erlebe ich die Pil­ger­wege als wan­dern­des Zelt­lager, wo man vie­len Pil­gern immer wieder begeg­net und mit ihnen ins Gespräch kommt. In diesem Sinne ste­ht ger­ade der Jakob­sweg mit sein­er grossen Anziehungskraft auch für Völk­erver­ständi­gung. Ich bin Men­schen aus Kana­da, Brasilien, Japan und natür­lich ganz Europa begeg­net. Am Abend isst man dann zusam­men an einem Tisch. So stelle ich mir das himm­lis­che Hochzeits­mahl bei Gott vor.

Gab es unter diesen Pil­gerkon­tak­ten auch solche, die sie noch weit­er pflegten?
Ja, die gibt es. Schliesslich ist man län­gere Zeit miteinan­der unter­wegs und teilt Freud und Leid miteinan­der. Auch mit den Teil­nehmenden mein­er Pil­ger­reisen habe ich regelmäs­si­gen Kon­takt. Wenn man gemein­sam pil­gert, lernt man sich bess­er ken­nen. Als Pil­ger­leit­er ver­suche ich stets, Räume für Gespräche zu öff­nen oder den Aus­tausch zu einem bes­timmten spir­ituellen The­ma anzure­gen. Solche Begeg­nun­gen schweis­sen einen zusam­men.

Welche Wirkung geht vom Pil­gern aus?
Kör­per­lich wird man fit­ter und erhält beim Wan­dern immer mehr Aus­dauer. Nach jed­er Pil­ger­reise füh­le ich mich recht gut. Das Kör­per­fett wird in Muskel­masse umge­wan­delt. Zudem stärkt der acht bis zehn Kilo­gramm schwere Ruck­sack die Rück­en­musku­latur spür­bar. Auf der seel­isch-geisti­gen Ebene kehrt eine gewisse Gelassen­heit ein. Manch­mal läuft es beim Pil­gern nicht immer rund; auf der let­zten Reise musste jemand wegen eines Blind­dar­m­durch­bruchs ins Spi­tal. Doch ich ver­traue darauf, dass es weit­erge­ht. Diese innere Hal­tung im Glauben, dass Gott mit uns geht, ist sehr wertvoll. Man lernt auch sich sel­ber bess­er ken­nen. Mich fasziniert es immer wieder, wie sich meine Gedanken durch das Wan­dern in der Natur verän­dern. Dieses Kom­men und Gehen hil­ft mir, Gedanken zu ver­ar­beit­en und loszu­lassen. Gle­ichzeit­ig erhalte ich neue Impulse und Ideen.

Wie bere­it­et man sich am besten auf eine Pil­ger­wan­derung vor?
Die Streck­e­nauswahl hängt von der per­sön­lichen Fit­ness ab. In der Gruppe kommt man in der Regel etwas langsamer vor­wärts, als wenn man alleine wan­dert. Auf unseren Pil­ger­reisen leg­en wir zwis­chen 22 und 25 Kilo­me­ter pro Tag zurück. Beim Pack­en gilt es, auf gutes Schuh­w­erk zu acht­en. So ver­hin­dert man Blasen an den Füssen. Ich empfehle, das Tra­gen des Ruck­sacks vorher zu üben, eben­so das län­gere Wan­dern. Das Gewicht des Ruck­sacks sollte in etwa zehn Prozen­ten des Kör­pergewichts entsprechen. Am besten packt man nur das ein, was man auch wirk­lich braucht.

Und wie sieht es mit der men­tal­en Vor­bere­itung aus?
Dazu gehören Fra­gen wie: Was erwarte ich von der Pil­ger­reise? Was wün­sche ich mir? Der Auf­bruch zu ein­er mehrtägi­gen Pil­ger­reise fällt manchen Men­schen schw­er. Und manch­mal sprin­gen Leute, die sich für eine Reise angemeldet haben, im let­zten Moment wieder ab. Gründe dafür gibt es genug. Wichtig erscheint mir auch, sich zu über­legen, wie man nach der Pil­ger­reise wieder in den All­t­ag zurück­kehrt. Schliesslich sollte das Pil­gern ja einen gewis­sen nach­halti­gen Effekt haben.

Allein oder in ein­er Gruppe – wie pil­gert man bess­er?
Das ist ganz von der eige­nen Per­sön­lichkeitsstruk­tur abhängig. Wer alleine pil­gert, ist auf sich gestellt. Das kann heil­sam sein. Andere hinge­gen suchen vielle­icht Begeg­nun­gen und Gespräche. Es gibt Pil­ger­wege, die sind nur schwach fre­quen­tiert. Da kann es dann für einen allein sehr ein­sam wer­den. In der Gruppe trägt man sich gegen­seit­ig. Das ist von Vorteil.

Wohin geht Ihre näch­ste Pil­ger­reise?
Vom 1. bis 16. Okto­ber bin ich mit ein­er Gruppe auf dem Jakob­sweg «Cam­in­ho Por­tugés» von Por­to nach San­ti­a­go de Com­postela unter­wegs. Von Süden nach Nor­den führt der Weg ent­lang der por­tugiesisch-spanis­chen Atlantikküste, zunächst sechs Tage in Por­tu­gal und dann, ab Tui, fünf Tage in Spanien. Nach ins­ge­samt 248 Kilo­me­tern erre­ichen wir San­ti­a­go de Com­postela. Dort wer­den wir vom heili­gen Jakobus emp­fan­gen, der auf­grund der Pan­demie auch 2022 sein «Heiliges Jahr» feiern wird. Wir haben bere­its Anmel­dun­gen für diese Gruppe. Für zwei bis drei weit­ere Teil­nehmende hat es aber noch Platz.

Vorschläge zum Pilgern

Schnup­pertage Schweiz­er Jakob­sweg
Von Pfäf­fikon (ZH) nach Ein­siedeln führt diese spir­ituell geführte Wan­derung unter der Leitung des The­olo­gen und Leben­spilgers Bern­hard Lind­ner. Reine Wan­derzeit: 5 Stun­den. Mit­tagessen aus dem Ruck­sack. Fre­itag, 9. Sep­tem­ber, 6.50 bis 19.17 Uhr. Tre­ff­punkt: Bahn­hof Frick. Anmel­dung bis 5. Sep­tem­ber unter oder Tel. 079 259 14 30.

Jakob­sweg ent­lang des Hochrheins
Wer die Fasz­i­na­tion Jakob­sweg ein­mal in Ruhe während eines Tages­marschs erleben will, dem sei der Gang über den «Hochrhein­weg» emp­fohlen. Diese spir­ituell geprägte Wan­derung auf dem Schweiz­er Jakob­sweg ent­lang des Hochrheins führt vom Bad Säckinger Mün­ster durch die Rhein-Aue zur Zähringer­stadt Rhe­in­felden. Infor­ma­tio­nen zu diesem Pil­ger­weg find­en sich auf der Web­site des Vere­ins jakobsweg.ch.

Kolum­ban­sweg durch den Aar­gau
Der Kolum­ban­sweg durch die Schweiz ist Teil des europäis­chen Kul­tur­weges Via Colum­bani. Mit der Via Colum­bani soll der 8000 Kilo­me­ter lange Weg nachge­bildet wer­den, den der irische Mönch Kolum­ban mit seinen zwölf Gefährten am Ende des sech­sten Jahrhun­derts von Ban­gor in Nordir­land nach Bob­bio in Nordi­tal­ien gewan­dert ist. Der Schweiz­er Weg begin­nt in Basel und führt in mehreren Etap­pen durch Rhe­in­felden, Laufen­burg, Koblenz, Baden, Zürich bis nach Chi­aven­na in der Lom­bardei. Infor­ma­tio­nen unter: www.kolumbansweg.ch.


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Christian Breitschmid
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