
Chance oder Show?
In der brasilianischen Stadt Belém startet heute die UN-Klimakonferenz. Auch die Kirchen haben ein Interesse daran. Der Kommentar von Reporterin Christine Wollowski
Zum ersten Mal kommt die KliÂmakonÂferenz ins AmaÂzonasÂgeÂbiÂet nach Brasilien. Die COP30, die Anfang NovemÂber in Belém statÂtfindÂet, mag die letÂzte sein, bei der es noch ChanÂcen gibt, die ErderÂwärÂmung in GrenÂzen zu halÂten. Eine HerÂausÂforderung, deren GelinÂgen über die ZukunÂft der MenÂschheit entscheiÂdet. Die AusÂgangslage ist denkbar schwierig: Die Welt ist diploÂmaÂtisch zerÂrissen wie selÂten zuvor.
Die USA werÂden gelenkt von einem KliÂmakrisenÂleugnÂer, und es fehlen jährlich 300 MilÂliarÂden DolÂlar für die Finanzierung bereÂits beschlossenÂer MassÂnahÂmen. In Brasilien sieht es kaum bessÂer aus: PräsiÂdent Lula will sich einÂerÂseits als VorÂreÂitÂer in Sachen KlimapoliÂtik proÂfilÂieren, hat aber erst vor weniÂgen MoÂnaten ErdölaukÂtioÂnen für VorkomÂmen im AmaÂzonasÂmünÂdungsÂgeÂbiÂet in extrem senÂsiÂblen ÖkosysÂteÂmen möglich gemacht. Ein Gesetz zur ErlaubÂnis von BergÂbau in indiÂgeÂnen GebiÂeten wurde ebenÂfalls erst kürÂzlich verÂabÂschiedet. Beim DrahtÂseilakt zwisÂchen KliÂmaschutzzieÂlen und verÂheerenÂden MassÂnahÂmen zur WirtschaftsÂförderung droÂht der PoliÂtikÂer seine GlaubÂwürdigkeit einzubüssen.
Lulas EntscheiÂdung für Belém als AusÂtraÂgungÂsort brachte ihm bei den BrasilÂianÂern immerÂhin PlusÂpunkÂte. Eine Stadt aufzuwÂerten, die sonÂst nicht im RamÂpÂenÂlicht steÂht, und die Welt zum AmaÂzonas zu brinÂgen, macht für viele Sinn. Belém mag nahe am RegenÂwald liegen, eine RefÂerenz für gelunÂgene KlimapoliÂtik ist die Stadt nicht – sie ist eine der am wenigÂsten begrünÂten des LanÂdes und umgeben von Palmöl- und Orangen-MonokulÂturen. Geschätzte 20 Prozent der Haushalte sollen an die KanalÂiÂsaÂtion angeschlossen sein, in vieÂlen Slums fliessen AbwässÂer direkt in die Flüsse, und die Präsenz von PlasÂtikÂbechÂern und ‑tüten in der Stadt ist erschreckÂend.
Schlagzeilen machte die COP30 bishÂer vor allem wegen des BetÂtenÂmanÂgels in Belém: die erwarteten 50 000 BesuchÂer sollen teils auf KreuzÂfahrtschifÂfÂen nächtiÂgen, weil es nicht genüÂgend Hotels gibt, und die verÂfügÂbaren ZimÂmer kosten weit mehr als das von der UNO definierte TagesÂbudÂget. Im SepÂtemÂber hatÂten erst 60 LänÂder von möglichen 198 ihre TeilÂnahme zugeÂsagt. Wer nicht zahlen kann, ist nicht dabei? Die Frage, wessen Stimme bei der COP gehört wird, stellt sich auch innerÂhalb Brasiliens.
Die katholisÂche Kirche, UniÂverÂsitäten, KleinÂbauernÂverÂbände und GemeinÂden halÂten seit MonatÂen vorÂbereÂiÂtÂende KonÂferenÂzen ab, um ihre ForderunÂgen den MächtiÂgen zu übergeben. Ein wichtiges TheÂma ist dabei der Kampf gegen UmwelÂtrassisÂmus: die TatÂsache, dass genau die MenÂschenÂgrupÂpen, die am meisÂten unter UmweltÂsünÂden leiÂden, am wenigÂsten an EntscheiÂdunÂgen beteiligt sind. Der emerÂiÂtierte Bischof von AltamiÂra, Erwin KräutÂler, mahÂnte ausserÂdem bei einem der TreÂfÂfen, das AmaÂzonasÂgeÂbiÂet sei nicht dazu da, um Gewinn aus ihm zu schlaÂgen, es diene vielmehr dem Leben und ÜberÂleben. EntscheiÂdend ist, welchÂes Gewicht solche AusÂsagen bei den VerÂhandÂlunÂgen haben werÂden. IndiÂgene VölkÂer fordern desweÂgen, dass ihre leiÂtÂenÂden Kaziken ebenÂso mit verÂhanÂdeln sollen wie die interÂnaÂtionalen Staatschefs.
TatÂsächÂlich werÂden für die COP30 rekoÂrdÂverdächtige 3000 indiÂgene TeilÂnehmerinÂnen und TeilÂnehmer erwartet. Ein DritÂtel davon soll Zugang zum von der UNO konÂtrolÂlierten «blauen BereÂich» erhalÂten, in dem sich die Staatschefs beweÂgen – womÂöglich eine Chance für echtÂen AusÂtausch. Falls allerdÂings tatÂsächÂlich nur ein Bruchteil der MitÂgliedsstaatÂen erscheint und die ärmeren LänÂder grösstenÂteils fernÂbleiben, könÂnte die Chance verÂtan und die COP30 zur reinen ShowverÂanstalÂtung werÂden.
Der Text erschien zuerst im Forum. MagÂaÂzin der KatholisÂchen Kirche im KanÂton Zürich. Die Recherche wurde unterÂstützt von der CIR (Christliche IniÂtiaÂtive Romero).


