Gabriele Tietze Roos — Abschied nach 30 Jahren
- Während drei Jahrzehnten arbeitete Gabriele Tietze Roos im Bistum Basel und vertrat es in den letzten über sieben Jahren gegenüber dem Aargau in der Bistumsregionalleitung. Nun geht sie in Pension. Ihre Stelle wird nicht wiederbesetzt.
- Im Interview blickt Gabriele Tietze Roos auf ihre Arbeit und die damit verbundenen Herausforderungen — insbesondere die Pastoralraumbildungen — zurück. Ihren Abschied feiert sie am Freitag, 7. Juni, um 16 Uhr in der Herz Jesu Kirche in Lenzburg.
Frau Tietze Roos, 30 Jahre standen Sie im Dienst des Bistums. Jetzt gehen Sie in Pension. Auf was freuen Sie sich am meisten?
Gabriele Tietze-Roos:
Darauf, dass ich mehr Zeit für Freundinnen und Freunde und für meine Verwandten habe. Und darauf, nicht mehr so eng getaktet zu sein. Ruhestand heisst nicht, dass ich nichts mehr mache – aber ich kann alles mit mehr Ruhe angehen.
Was haben Sie gemacht, bevor Sie begonnen haben, für die Bistumsregionalleitung (siehe Zusatztext) zu arbeiten?
Ich habe in Trier und in Freiburg (Breisgau) studiert und bin seit 1981 in der Seelsorge. Zunächst zwei Jahre im Pastoralkurs in einer Gemeinde in D‑Koblenz. Dann war ich sieben Jahre in einem Pfarrverband mit Schwerpunktbereich Jugend. Im August 1989 kam ich in die Schweiz und war dann 14 Jahre in der Pfarrei Frenkendorf-Füllinsdorf im Kanton Basel-Landschaft. Dann folgten achteinhalb Jahre Leitung eines Seelsorgeverbands mit vier Pfarreien im Laufental und vor siebeneinhalb Jahren hat mich Bischof Felix für die Bistumsregionalleitung der Bistumsregion St. Urs angefragt.
Das ist sicherlich keine nur einfache Aufgabe. Was war das Herausforderndste?
Anspruchsvoll waren sicherlich die Prozesse der Pastoralraumbildung. Es gab welche, die zügig gingen, aber es gab auch Pastoralräume, wo der Prozess drei Schritte vor ging und dann einen Schritt zurück. Andere Prozesse wurden unterbrochen und wieder andere beinhalteten Vernehmlassungen, bei denen ausgehandelt werden musste, welche Kirchgemeinden oder Pfarreien letztlich zusammengehen. Es waren dann fast glückliche Momente, wenn der Errichtungstermin feststand und gefeiert wurde. Da dachte ich dann: Ok – wir haben es geschafft.
Wie viele Pastoralraumprozesse haben Sie begleitet und erfolgreich zum Errichtungstermin gebracht?
Zwölf, wobei zwei Errichtungstermine noch anstehen: Ende September dieses Jahres der Pastoralraum Region Mellingen und im März 2020 die Errichtung des Pastoralraums Erusbach-Hallwilersee mit den Pfarreien Bettwil, Sarmensdorf, Meisterschwanden/
Fahrwangen/Seengen und Villmergen.
Werden Sie zu den Errichtungsfeiern gehen?
Das hängt von den Einladenden ab. Schön in Erinnerung habe ich auch die Besetzungsprozesse für Leitungsstellen in Pfarreien oder Pastoralräumen — wenn vom ersten Kontakt bis zur liturgischen Einsetzung einfach alles glatt verläuft. Da ist die Bistumsregionalleitung ja involviert. Bei eben diesen beiden Dingen ist mir wichtig zu sagen, dass ich auf der Bistumsregionalleitung gesehen und gelernt habe, was für eine Vielfalt in der Seelsorge vor Ort existiert. Wenn ich zum Beispiel das Programm der «Langen Nacht der Kirchen» im Aargau sehe, staune ich über die verschiedenen Angebote; auch bei der genauen Lektüre der Pfarrblätter Kirche heute und Horizonte. Das andere ist die Arbeit in der Landeskirche Aargau. Ich bin bei jeder Kirchenratssitzung dabei und fühle mich da sehr integriert, aufgenommen und akzeptiert. Es ist ein gutes Miteinander — das ist mir wichtig zu sagen.
Gibt es noch etwas, was in den dreissig Jahren Dienst für die Kirche besonders war?
Eher kirchenunabhängig hat mich die ganze Digitalisierung erstaunt. Das war 1981 nicht abzusehen. Ich habe meine Arbeiten im Studium auf der Schreibmaschine getippt. Dann kam irgendwann die elektrische Schreibmaschine, dann das Korrekturband und dann irgendwann der PC und dann das Internet. Das hat die Arbeit sehr verändert.
Verändert ist sehr ein neutraler Begriff. Können Sie das näher erläutern?
Verändert im Sinne von vereinfacht einerseits. Andererseits ist es auch herausfordernder, weil man ständig mit Informationen beliefert wird und man erst filtern muss, was wichtig ist und was ich nicht direkt brauche und erst mal beiseitelegen kann. Es ist also eine Vereinfachung, kann aber auch Druck machen. So à la: «Wenn du das doch jetzt bekommen hast, wieso hast du noch nicht geantwortet?»
Sie haben von der Vielfalt gesprochen, die Sie durch die Arbeit auf der Bistumsregionalleitung gesehen haben. Ist der je andere Blickwinkel von Basispfarrei und Bistumsregionalleitung ein möglicher Grund für Konflikte?
Ja, das hat was und das ist überhaupt kein Vorwurf an die Pfarreien oder Kirchgemeinden. Wenn jemand in seiner Pfarrei gut arbeitet und einen guten Job macht, dann kann beispielsweise bei einer Vakanz die Frage entstehen, warum die Vakanz nicht schneller beendet wird, wenn doch alles vor Ort gut läuft. Es ist aber effektiv so, dass entweder tatsächlich niemand da ist, der passt oder dass bei passenden Personen noch administrative Dinge geklärt werden müssen.
Würde es helfen, Verzögerungen und deren Gründe transparenter zu kommunizieren?
Das machen wir ja bereits so. Wir machen aber die Erfahrung, dass es einfacher ist, Stellen zu besetzen, wenn ein Pastoralraum bereits errichtet ist. Dann wissen Interessierte, dass sie nicht mehr den strukturellen Prozess mittragen müssen.
Braucht es nicht vor allem Zeit, bis sich die Leute an die Pastoralräume gewöhnt haben?
Ja –aber es hängt auch mit den einzelnen kirchlichen und theologischen Standpunkten sowie Mentalitäten der Mitarbeitenden vor Ort zusammen und auch das will ich nicht als Wertung im Sinne von gut oder schlecht verstanden wissen. Es ist einfach eine Tatsache.
Hat Ihnen ihr eigener Charakter denn schon mal irgendwo bei der Arbeit im Weg gestanden, so dass Sie sagen mussten, hoppla Gabriele, so geht es nicht?
Ich kann sagen, dass ich, seit ich im Beruf bin und auch schon früher ein sehr stabiles Netzwerk habe. Sowohl beruflich wie privat. Und das macht viel aus. Ich bin nie alleine unterwegs gewesen. Hier in Liestal erlebe ich ein sehr gutes Team, auch vorher in den Pfarreien. Es waren immer sehr tragfähige und verlässliche Beziehungen bis heute.
Das heisst, Sie wirft ein starker Wind nicht direkt um.
Ja. Die Beziehungen sind welche, die bis heute bestehen. Und ich habe Weiterbildungen gemacht, auch über das Obligatorische hinaus, habe mir Supervision gegönnt, Zusatzausbildungen gemacht. Das spielt alles eine Rolle. Auch meine 10-jährige Mitarbeit im Landeskirchenrat Baselland hat mich weitergebracht, weil ich dadurch das duale System gut kennengelernt und viele Leute getroffen habe.
Sie haben von der grossen Veränderung durch die Digitalisierung erzählt. Welche theologischen oder pastorale Veränderungen, haben Sie in dieser Zeit erlebt?
In der Kolumne, «Was mich bewegt», schrieb ich schon, dass ich 1975 in einer Zeit angefangen habe zu studieren, in der eine grosse Aufbruchsstimmung in der Kirche erfahrbar war. Es gab viel Hoffnung, Öffnung und Bewegung. Und das wurde nach und nach wieder zurückgenommen. Zum Beispiel die Predigt durch Laien in der Eucharistiefeier. Dann kam Johannes Paul II mit seinem Schreiben zur Unmöglichkeit der Weihe von Frauen. Das alles hat mich traurig gemacht. An Kirchentagen, die ich besuche, sind die Hallen zu entsprechenden Themen nur noch halb voll und ich verstehe das so, dass sich viele Frauen resigniert zurückgezogen haben und innerlich vielleicht sogar schon ausgetreten sind, weil sich doch eh nichts tut.
Wie nehmen Sie vor diesem Hintergrund die verschiedenen Frauenbewegungen hier oder in Deutschland wahr?
Ich finde wirklich gut, dass es diese Aktionen gab und gibt. Das Schlimme ist allerdings, dass die Motivation dafür etwas sehr Negatives ist, nämlich die Missbrauchsfälle. Die Bewegung, die ich erlebte am Anfang des Studiums, war positiv konnotiert. Andererseits sagen mittlerweile auch deutsche Bischöfe offen, dass sie den Pflichtzölibat nicht für notwendig halten oder sich die Diakoninnenweihe vorstellen könnten. Das wäre unter Johannes Paul II nicht möglich gewesen. Das heisst, es gibt unter Papst Franziskus einen Wechsel, aber auch er ist vorsichtiger geworden. Jetzt werden viele Hoffnungen auf die Amazonassynode gesetzt — auch in Bezug auf Weihevoraussetzungen.
Hat sich im Bistum Basel in den 30 Jahren etwas geändert?
Ja. Einerseits ist die Personalsituation eine andere. Früher gab es viel mehr Bewerbungen auf eine Stelle. Dann hat sich die gesamte Struktur verändert: Von 10 Regionaldekanaten auf drei Bistumsregionen und die Dekanate wurden in die Pastoralräume überführt. Jetzt ist die Struktur neu: Diözesankurie – Pastoralraum – Pfarrei.
Haben Sie einen Wunsch für das Bistum, den Bischof oder auch die Kolleginnen und Kollegen?
Die Offenheit und das Selbstbewusstsein, das Bistum Basel zu bewahren. Der Hintergrund für den Wunsch ist ein Artikel in der NZZ von Niklaus Herzog, der schrieb, dass das Bistum Chur in der deutschsprachigen Schweiz als konservatives Gegengewicht zu den Bistümern St. Gallen und Basel wichtig sei. Ich wünsche allen im Bistum einen langen Atem, der Diözesankurie und besonders Bischof Felix, der nun auch noch Präsident der SBK ist, dass sie für ihren Weg das Selbstbewusstsein behalten, dass der eingeschlagene Weg gut ist. Und ich wünsche Ihnen Unterstützung dabei.
Das heisst Bestärkung der Bistumsleitung auch durch die Mitarbeitenden?
Ja – ich habe das ja selber erlebt. Der Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort ist ein bestärkendes Moment. Man ist immer schnell dabei, Forderungen zu stellen, und manchmal ist das auch notwendig. Doch es ist doch so, dass Bischof Felix und andere nicht immer alles kommunizieren können. Es geht schon sehr vieles im Bistum Basel. Und das im Bewusstsein zu haben, so sind wir und dazu stehen wir und gehen so weiter, das finde ich wichtig.
Könne Sie von sich behaupten, in jeder Pfarrei im Aargau gewesen zu sein?
Nein, aber das liegt allein schon daran, dass ich nicht für alle Pfarreien zuständig bin. Da wo ich zuständig bin – früher die Dekanate Baden-Wettingen und das Freiamt – da bin ich nicht in jeder politischen Gemeinde, aber doch wohl in jeder Pfarrei gewesen. Durch die Pastoralraumerrichtungsprozesse bin ich viel herumgekommen.
Sind die Mitglieder der Bistumsregionalleitung St. Urs in jedem Kanton irgendwie aktiv?
Ja – aber unterschiedlich gewichtet. Es gibt kategoriale Schwerpunkte – ich war zum Beispiel für die gesamte Spitalseelsorge und Jugendarbeit in allen drei Kantonen zuständig und dann gab es eine Verteilung der Pastoralräume auf die drei Personen der Regionalleitung. Ich sage bewusst «gab», weil es für mich ab dem 1. August keine Nachfolgerin geben wird. Da 100 Prozent Aufgaben nicht auf meine beiden Kollegen, die bereits 100 Prozent arbeiten, umverteilt werden können, wird es eine Reduktion in der Präsenz vor Ort geben und eine neue Schwerpunktsetzung der Aufgaben.
Glauben Sie, dass Sie das noch erleben – eine Frau Kaplanin?
Nein – das glaube ich nicht. Gleichzeitig muss man sich bewusst machen: In Deutschland wird im Bistum Osnabrück erst jetzt die erste Frau in einer Gemeindeleitung eingesetzt. Wenn man das mit dem Bistum Basel vergleicht, sind wir zumindest in dem Punkt hier viel weiter.