Bohnenzählen macht glücklich
Bild: © Sam Lion/Pexels

Bohnenzählen macht glücklich

Stopp. Halten Sie kurz inne. Schliessen Sie die Augen und überlegen Sie: Wofür bin ich heute dankbar? ­Studien ­zeigen: Menschen, die achtsam durchs Leben gehen ​und für die kleinen Dinge dankbar sind, leben insgesamt ­glücklicher.

Vielle­icht ist Ihnen spon­tan nichts in den Sinn gekom­men, wofür Sie heute dankbar sind. Das ist nicht weit­er schlimm. Wahrschein­lich geht es den meis­ten Men­schen so, denen nichts Aussergewöhn­lich­es passiert ist. Die gute Nachricht: Dankbarkeit kann man ler­nen, indem man die kleinen Dinge des All­t­ags acht­sam wahrn­immt. Und da dür­fen Sie ganz radikal bei den ein­fach­sten Din­gen anfan­gen.

Ein Beispiel
Wenn Sie sich das näch­ste Mal das Gesicht waschen, wenn Sie den Wasser­hahn auf­drehen, kön­nen Sie sich daran freuen, dass das Wass­er ein­fach so aus dem Hahn sprudelt. Mit einem ein­fachen Hand­griff fliesst das küh­le Wass­er. Sie kön­nen sich der Reise des Wassers gewahr wer­den, des lan­gen Weges, den es von sein­er Quelle bis zu Ihrem Waschbeck­en zurück­gelegt hat. Und: Nehmen Sie sich Zeit. Ver­suchen Sie, Ihre Gedanken im Hier und Jet­zt zu behal­ten, in dem Moment, in dem Sie Ihre Hände zu ein­er Schale for­men und Ihr Gesicht in das angenehme, erfrischende Wass­er tauchen. Die acht­same Wahrnehmung hil­ft, das Leben nicht als Selb­stver­ständlichkeit aufz­u­fassen, son­dern als Geschenk.

Die alte Frau und das kleine Glück

Die alte Frau ver­liess nie das Haus, ohne zuvor eine Hand­voll Bohnen einzusteck­en. Sie tat dies nicht etwa, um die Bohnen zu kaufen, schon gar nicht, um sie irgend­wo einzupflanzen, son­dern um so die schö­nen Momente des Tages bewusster wahrzunehmen und sie bess­er in Erin­nerung behal­ten zu kön­nen. Für jede pos­i­tive Kleinigkeit, die sie tagsüber erlebte, liess sie eine Bohne von der recht­en in die linke Jack­en­tasche wan­dern. Zum Beispiel für einen fröh­lichen Klatsch auf der Strasse, das Lachen eines Kindes, ein köstlich­es Mahl, eine fan­tasievoll gek­lei­dete Frau, einen schat­ti­gen Platz in der Mit­tagshitze, einen rück­sichtvollen Mit­men­schen, für alles, was ihre Sinne erfreute. Manch­mal waren es gle­ich zwei oder drei Bohnen.

Abends sass sie dann zu Hause und zählte die Bohnen aus der linken Tasche. Sie zählte die Bohnen sorgfältig, lauschte dabei inniger Musik und führte sich so vor Augen, wie viel Schönes ihr an diesem Tag wider­fahren war und freute sich. Und selb­st an den Aben­den, an denen sie bloss eine Bohne zählte, waren ihre Tage gelun­gen – und es hat­te sich zu leben gelohnt.

Autor/in unbekan­nt

Falls Sie keine Bohnen zuhause haben…

…führen Sie doch ein Dankbarkeit­stage­buch. Notieren Sie jeden Tag eine angenehme Erfahrung, für die Sie dankbar sind, und welche Gefüh­le und Gedanken damit ver­bun­den waren.

Tipps für mehr ​Licht­blicke

Um mehr Freude, Licht und Dankbarkeit ins Leben zu lassen, ist für mich die Hal­tung von Vik­tor Fran­kl zen­tral. Der 1997 ver­stor­bene Neu­rologe, Psy­chi­ater und KZ-Über­lebende schrieb in seinem Werk «… trotz­dem Ja zum Leben sagen», dass der Men­sch frei sei, sich zu den gegebe­nen ­Ver­hält­nis­sen so oder so einzustellen. Er kann sich entschei­den, dankbar zu sein oder zu jam­mern.

Meine Tipps für mehr Lichtblicke im Alltag

Langeweile gibt Zeit zum Wahrnehmen, Beobacht­en und schult den Blick, der son­st häu­fig auf den Bild­schirm fix­iert ist. Wenn ich jeden Abend drei Dinge auf­schreibe, für die ich dankbar bin, nehme ich Glücksmo­mente mit der Zeit bewusster wahr. Ich for­muliere möglichst konkret: «Die Prise Zimt in dieser Kür­bis­suppe hat mir sehr gut geschmeckt.» Ich sage oft «Danke», zum Beispiel dem Buschauf­feur beim Aussteigen. Das tut mir und anderen gut und schafft eine Kul­tur der Wertschätzung und Dankbarkeit. Die christliche Tra­di­tion bietet eine Fülle an Gebeten und Rit­ualen, um den Moment zu seg­nen und zu danken. Warum nicht vor dem Essen ein kurzes Tis­chge­bet hal­ten?​

Thomas Jenel­ten
The­ologe, Acht­samkeit­strain­er und Präsi­dent ​von Alzheimer Aar­gau

Tipps für mehr Lichtblicke
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Leonie Wollensack
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