«Jetzt wird es spannend»

Die Jour­na­li­stin und Geron­to­lo­gin Car­men Frei plä­diert im Inter­view für krea­ti­ve Ideen im Zusam­men­le­ben von Alt und Jung und ver­rät, wie die Gene­ra­ti­on der Baby­boo­mer das Bild des Alterns ver­än­dern könnte.Dos­sier: Die Gesprä­che mit hoch­be­tag­ten Men­schen in die­sem Dos­sier zei­gen, dass Reli­gi­on und Kon­fes­si­on im hohen Alter unwich­ti­ger wer­den. Was tritt Ihrer Erfah­rung nach an deren Stelle? Car­men Frei: Im hohen Alter bekommt die Spi­ri­tua­li­tät Raum. Die abseh­ba­re End­lich­keit wirft Fra­gen auf. Irgend­wann ist alles Prak­ti­sche erle­digt und man hat Zeit zum Nach­den­ken. Das Bedürf­nis nach Spi­ri­tua­li­tät ist stark ver­bun­den mit der inne­ren Aus­rich­tung des altern­den Men­schen, es ent­springt dem Wunsch, die­se Erde auf­ge­räumt zu ver­las­sen.Könn­te die Kir­che die Men­schen da abholen? Die Kir­che hat ihre Chan­ce in der Suche nach Gemein­schaft und Sinn. Es geht doch dar­um, sinn­erfüllt alt zu wer­den und dazu sind vor allem Begeg­nun­gen wich­tig. Lei­der hat sie das enor­me Poten­zi­al noch nicht erkannt, das die demo­gra­fi­sche Ent­wick­lung bie­tet: Die Baby­boo­mer – die gebur­ten­star­ken Jahr­gän­ge zwi­schen 1955 und 1964 – wer­den in den näch­sten 30, 40 Jah­ren ins hohe Alter kom­men und sie wer­den das Altern neu erfin­den müs­sen. Sie dar­in zu unter­stüt­zen, kann auch Auf­ga­be der Kir­che sein.Was heisst das konkret? Es braucht das akti­ve Zusam­men­ge­hen aller Gene­ra­tio­nen. Kin­der­ta­ges­stät­ten, ange­glie­dert an Alters- und Pfle­ge­hei­me, sind bereits gang und gäbe. Das gibt eine gute Nähe von sehr alten und sehr jun­gen Men­schen. Aus­ser­halb der Insti­tu­tio­nen braucht das Mit­ein­an­der der Gene­ra­tio­nen Ansprech­per­so­nen und Ani­ma­ti­on. Das ist anstren­gend, aber es lohnt sich. Jetzt ist Zeit für krea­ti­ve Ideen.Wel­che Ideen lie­gen in der Luft? Die näch­ste Gene­ra­ti­on der altern­den Men­schen wird noch län­ger zu Hau­se woh­nen wol­len. Des­halb sind neue Fami­li­en-Busi­ness­mo­del­le gefragt. Zum Bei­spiel, indem der Enkel in sei­nen Seme­ster­fe­ri­en — statt in der Migros Rega­le auf­zu­fül­len — die Gross­el­tern betreut und von der Fami­lie dafür bezahlt wird. Das schafft Ver­ständ­nis für­ein­an­der. Auch tech­ni­sche Errun­gen­schaf­ten wer­den altern­de Men­schen in ihrer Selb­stän­dig­keit unter­stüt­zen. Unser Umgang mit dem Altern wird sich mar­kant wan­deln.Wel­che Ent­wick­lungs­chan­cen zeich­nen sich ab? Es bil­det sich in den kom­men­den Jahr­zehn­ten eine Bla­se, ein vor­über­ge­hen­des, star­kes Über­ge­wicht an alten und hoch­alt­ri­gen Men­schen. Danach wird das Gene­ra­tio­nen­ver­hält­nis wie­der aus­ge­gli­chen sein. Bis da kön­nen die altern­den Baby­boo­mer viel bewir­ken, denn die Mas­se kann etwas ver­än­dern. Es ist bei­spiels­wei­se viel ein­fa­cher, sich mit dem Rol­la­tor auf der Stras­se zu zei­gen, wenn die Nach­barn auch damit unter­wegs sind. Wenn vie­le etwas tun, wird es rasch nor­mal. Das Ver­hal­ten der zukünf­ti­gen Gene­ra­ti­on Alter darf durch­aus schräg und auf­müp­fig sein. Ich hof­fe sogar, dass es so wird. Wenn wir in 30 Jah­ren sagen kön­nen: «Die­se Vor­bil­der haben uns zu einen lebens­wer­ten Altern befä­higt.», dann haben die Baby­boo­mer der Gesell­schaft einen gros­sen Dienst erwiesen.
Marie-Christine Andres Schürch
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