Beim Namen gerufen
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Beim Namen gerufen

Jesa­ja 43,1–3a;5–7Aber nun spricht Gott so: Ich habe dich geschaf­fen, Jakob, und dich gebildet, Israel: Hab keine Angst, denn ich habe dich befre­it, ich habe deinen Namen gerufen, zu mir gehörst du. Wenn du durch Wass­er gehst, bin ich bei dir, und Wasser­ströme über­fluten dich nicht. Wenn du durch Feuer gehst, ver­brennst du nicht, und die Flamme versen­gt dich nicht. Denn ich bin Gott, deine Got­theit, heilig in Israel, dir zur Ret­tung.Hab keine Angst, denn ich bin bei dir. Von Osten bringe ich deine Kinder und im West­en samm­le ich die Deinen. Ich sage zum Nor­den: »Gib her!« und zum Süden: »Halte nicht zurück!« Ich bringe meine Söhne heim aus der Ferne, und meine Töchter von den Enden der Erde. Alle, die mit meinem Namen benan­nt sind, habe ich zu meinem Glanz geschaf­fen, gebildet und gemacht.Bibel in gerechter Sprache

Beim Namen gerufen

Meine Gross­mut­ter hiess Juliana. 1903 geboren, ist sie schon vor beina­he 30 Jahren gestor­ben. Als meine zweite Tochter tot zur Welt kam, bekam sie den Namen Tabitha Juliana. Und auch mein Brud­er hat seine Tochter mit zweit­em Namen Juliana genan­nt. So lebt der Name weit­er und damit auch die Erin­nerung.Namen sind mehr als Schall und Rauch. „Beim Namen nen­nen“ ist die jährliche Aktion in vie­len europäis­chen Städten, bei der die an den Gren­zen Europas und im Mit­telmeer ums Leben gekomme­nen Migran­tinnen und Migranten beim Namen genan­nt oder ihre Namen aufgeschrieben wer­den. Ihre Namen zu nen­nen oder aufzuschreiben ist ein Zeichen, ein Protest gegen ihren Tod. Sie wer­den genan­nt. Damit sie nicht vergessen wer­den. Damit wir uns ihrer erin­nern kön­nen. Eben­so tra­gen in ganz Europa die soge­nan­nten „Stolper­steine“ mit den Namen der Jüdin­nen und Juden, die in der Naz­izeit deportiert und ermordet wur­den, vor deren Häusern dazu bei, dass sie nicht vergessen wer­den. Dass nie vergessen wird, was damals geschehen ist. Damit es nie wieder geschieht.Erin­nerungskul­tur – sie ist so wichtig. Deshalb finde ich es per­sön­lich auch sehr bedauer­lich, dass die Ten­denz mehr und mehr zur Beiset­zung im Gemein­schafts­grab ohne Namen­snen­nung geht. Über einen Fried­hof gehen, die Namen und Dat­en auf den Grab­steinen lesen, das schafft für mich Verbindung zur Ver­gan­gen­heit, lässt mich nach den Geschicht­en fra­gen, die hin­ter den Namen ste­hen. Wird man in 50 Jahren noch so über Fried­höfe gehen und sich mit den Namen auf den Grab­steinen verbinden kön­nen?Beim Namen gerufen sein. Namen sind zwar nicht ein­ma­lig, aber der Name in Verbindung mit dem Men­schen, dem er gegeben wurde, ist immer einzi­gar­tig. Und wie schön ist es doch, wenn uns jemand liebevoll beim Namen ruft. Wie viel Zärtlichkeit liegt darin, wenn Eltern ihr Neuge­borenes zum ersten Mal bei dem Namen nen­nen, den sie ihm aus­ge­sucht haben. Wie viel Zärtlichkeit, Zunei­gung und Begehren liegt darin, wenn Ver­liebte sich beim Namen rufen oder sich ihre Namen zuflüstern. Und so ruft Gott uns beim Namen. Ver­liebt und zärtlich und beschützend. Gott ruft jede und jeden von uns mit Namen und begleit­et uns durch Wasser­ströme und Feuers­g­luten, dann, wenn die Trä­nen fliessen und dann, wenn wir eine Feuer­probe beste­hen müssen. Und in jed­er noch so schreck­lichen Sit­u­a­tion. Gott ist an unser­er Seite und geht mit uns durch alles, was uns geschieht.Beim Namen gerufen sein. Zu jeman­dem gehören. Beschützt, geliebt, getra­gen sein. In und aus diesem Bewusst­sein leben. Und sich mit Zärtlichkeit erin­nern an diejeni­gen, deren Namen wir vielle­icht lange nicht mehr aus­ge­sprochen haben. Wie an meine Gross­mut­ter Juliana.Dorothee Beck­er, The­olo­gin und Seel­sorg­erin. Gemein­delei­t­erin der Pfar­rei St. Franziskus, Riehen-Bet­tin­gen
Dorothee Becker
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