Arbeiten, Wohnen, Zweifeln, Glauben – Teil 4

Arbeiten, Wohnen, Zweifeln, Glauben – Teil 4

  • Zwei Men­schen, ein The­ma: Die Hor­i­zonte-Som­merserie 2019 bringt Men­schen unter­schiedlich­er Stand­punk­te ins Gespräch.
  • Für den vierten und let­zten Teil der Serie traf die Redak­tion zwei Men­schen, die sich aus Überzeu­gung ein­er anderen Reli­gion zuge­wandt haben. Arman Rah­mani wuchs als Mus­lim auf und wurde Christ, Deb­o­rah Aeber­sold fand zum Islam.
 Frau Aeber­sold, wie sind Sie vom Chris­ten­tum zum Islam gekom­men? Deb­o­rah Aeber­sold: Ich bin reformiert aufgewach­sen, habe den Reli­gion­sun­ter­richt besucht und mich kon­fir­mieren lassen. Später habe ich kirch­lich geheiratet und alle meine vier Kinder, die mit­tler­weile erwach­sen sind, taufen lassen. Vor etwa 20 Jahren bin ich aus der Kirche aus­ge­treten und kam vor etwa zwei Jahren mit dem Islam in Kon­takt.Herr Rah­mani, ihr Weg ver­lief in die andere Rich­tung Arman Rah­mani: Ich bin als Mus­lim aufgewach­sen und kam vor etwas mehr als vier Jahren als Flüchtling in die Schweiz. Auf mein­er Flucht habe ich in Griechen­land zum ersten Mal eine Kirche gese­hen. In der Schweiz habe ich zum Chris­ten­tum gefun­den, seit knapp einem Jahr bin ich getauft.Was führte dazu, dass Sie bei­de sich von ihren anges­tammten Reli­gio­nen dis­tanziert haben? Deb­o­rah Aeber­sold: Ich bin früher schon zur Kirche gegan­gen, aber das hat mir nie viel bedeutet. Es hat mich nicht berührt. Die Kirche, das gehörte zum Leben halt dazu. Mein Mann hat sich in der Kirche engagiert. Für mich war das im Grunde aber mehr Pflicht als etwas anderes. Schon der Reli­gion­sun­ter­richt: Das hat man halt so gemacht. Und als es unser­er Fam­i­lie ein­mal sehr schlecht ging – es kam auch zur Schei­dung, da haben das alle in der Kirchge­meinde gewusst, aber von nie­man­dem kam irgen­deine Unter­stützung. Daraufhin bin ich aus­ge­treten. Arman Rah­mani: Ich bin im Iran und in Afghanistan aufgewach­sen. Dort wurde ich mus­lim­isch erzo­gen. Wir mussten ler­nen, den Koran zu rez­i­tieren. Aber auch Gebete auswendig ler­nen. Weit­er die Gebet­szeit­en ein­hal­ten, Waschun­gen und andere Gebote. Ich habe das auch immer als Pflicht emp­fun­den und mich immer wieder gefragt: Warum muss ich ger­ade zu ein­er bes­timmten Zeit beten? Und warum auf eine ganz bes­timmte Weise? Man muss doch aus dem Herzen her­aus beten kön­nen, wann einem ger­ade danach ist. Und mit eige­nen Worten — nicht ein­fach irgendwelche eingeübten Gebete.Frau Aeber­sold, was hat Sie denn am Islam ange­sprochen? Deb­o­rah Aeber­sold: Der Islam war über­haupt die erste Reli­gion, die mich berührt hat. Übers Sprachen­ler­nen kam ich über eine App mit Mus­li­men in Kon­takt. Zudem bekam ich Nach­barn aus einem mus­lim­is­chen Land. Wir kamen ins Gespräch. Ich inter­essierte mich, wollte mehr erfahren und erhielt die Möglichkeit, ein­mal eine Moschee besuchen zu kön­nen. Als ich dort zum ersten Mal den Imam sprechen hörte, hat mich das zu Trä­nen gerührt.Herr Rah­mani, wie war das bei Ihnen? Arman Rah­mani: In Griechen­land, aber auch in der Schweiz habe ich von Men­schen, die sich in der Kirche engagieren, viel Unter­stützung erhal­ten: Klei­dung und zu essen. Weit­er kam ich zu christlichen Schriften, die auf Far­si über­set­zt waren. Jesu Liebe zu den Men­schen, die Idee des Einan­der-Vergebens hat mich sehr ange­sprochen. Ich habe dann Men­schen aus ein­er Freikirche ken­nen­gel­ernt. Dort habe ich erfahren, dass man ganz frei beten kann. Das kan­nte ich so nicht.Und wie ist man Ihnen bei­den als jemand, der sich für eine neue Reli­gion inter­essiert, begeg­net? Deb­o­rah Aeber­sold: Wenn Mus­lime merken, dass sich jemand für ihre Reli­gion inter­essiert, bekommt man sehr viel Unter­stützung. So war das auch bei mir. Mir wurde viel erk­lärt, ich bekam von meinen Nach­barn einen Koran auf Deutsch geschenkt und in der Moschee hat jemand für mich über­set­zt. Kon­ser­v­a­tive Mus­lime neigen jedoch dazu, einem bald ein­mal erk­lären zu wollen, was sich gehört und was nicht. Arman Rah­mani: Ich bin sehr gut aufgenom­men wor­den und habe wohl auch dank diesen neuen Bekan­ntschaften so gut Deutsch gel­ernt. Jet­zt wohne ich sog­ar bei ein­er Schweiz­er Fam­i­lie – gläu­bige Chris­ten.Aber es gab für sie bei­de sich­er auch Dinge, die schwierig waren. Arman Rah­mani: Eigentlich nicht, auss­er dass für mich alles völ­lig neu war. Deb­o­rah Aeber­sold: Zu erfahren, dass Frauen in einem kon­ser­v­a­tiv­en Islam nicht die gle­ichen Rechte haben wie Män­ner, ging für mich gar nicht. Ich habe mich dann schon gefragt, wie mich, die sich ja stets für Gle­ich­berech­ti­gung und Frauen­rechte einge­set­zt hat, eine Reli­gion ansprechen kon­nte, in der je nach Ausle­gung die Frauen benachteiligt wer­den. Und dann so Vor­gaben, dass keine Musik gehört wer­den darf, man seinen Geburt­stag nicht feiern soll, Fuss­nägel nicht lack­iert wer­den und andere Dinge. Ich habe dann aber das Gespräch mit Mus­li­men gesucht und erfahren, dass es auch einen lib­eralen Islam gibt. Arman Rah­mani: Ger­ade Schi­iten sind nicht so streng wie Sun­niten. Musik hören durften wir, aber Geburt­stag wurde bei uns auch nie gefeiert.Sie sind aber gle­ich­wohl beim Islam geblieben, Frau Aeber­sold Deb­o­rah Aeber­sold: Ich hat­te schon meine Zweifel – auch weil ich mit ein­er Frau zusam­men­lebe. Für mich war klar, dass ich mich nicht in ein Schema pressen lassen will. So habe ich gezielt nach einem Imam gesucht, der alle The­men anspricht, die im Islam tabu sind. Ich habe Men­schen getrof­fen, die den Islam sehr fortschrit­tlich und aufgeschlossen leben.Wie hat ihr Umfeld darauf reagiert, dass sie sich ein­er anderen Reli­gion zuge­wandt haben? Arman Rah­mani: Meinen Fam­i­lien­ange­höri­gen im Iran und in Afghanistan habe ich das nicht gesagt. Die wür­den den Kon­takt mit mir abbrechen, nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Für die wäre ich tot. Deb­o­rah Aeber­sold: Ich bin in meinem Umfeld mit vie­len Vorurteilen und Äng­sten kon­fron­tiert wor­den. Fre­und und Bekan­nte haben mich gewarnt, mir von meinem Weg abger­at­en. Teils habe ich auch Aus­sagen gehört wie: «Nicht jed­er Mus­lim ist ein Ter­ror­ist, aber alle Ter­ror­is­ten sind Mus­lime». Solche Sachen haben mich schon sehr getrof­fen.Demzu­folge stösst ein «Out­ing» auf wenig Ver­ständ­nis. Arman Rah­mani: Es ist sog­ar gefährlich. Ich weiss von Afgha­nen hier in der Schweiz, die von ihren eige­nen Land­sleuten beobachtet wor­den sind, als sie zur Kirche gin­gen. Her­nach wur­den sie tätlich ange­grif­f­en und ver­let­zt. Deb­o­rah Aeber­sold: Meinen Kindern habe ich es auch noch nicht erzählt. Ich habe Angst, es ihnen zu sagen. Ich habe Angst vor ihrer Reak­tion, dass sie mich ablehnen, dass ich mich vertei­di­gen muss. Das möchte ich nicht.Und wie war das für Ihre Part­ner­in, Frau Aeber­sold? Deb­o­rah Aeber­sold: Sehr schwierig, sie hat­te Äng­ste. Sie hat mich zu Beginn ein­mal gefragt, worüber ich denn mit anderen Mus­li­men rede, wenn diese über ihre Fam­i­lien sprechen? Sie wollte nicht inex­is­tent sein.Bes­timmt aber macht ein Weg, wie Sie bei­de ihn gegan­gen sind, tol­er­ant. Deb­o­rah Aeber­sold: Oh ja. Ob jet­zt jemand an Gott oder Allah glaubt, das ist doch let­ztlich das­selbe. Man geht den Weg, der einen berührt. Arman Rah­mani: Ich würde nie jeman­den wegen sein­er Reli­gion kri­tisieren oder über­haupt eine Reli­gion kri­tisieren. Wichtig ist, dass Reli­gion gegen­seit­i­gen Respekt und Liebe lehrt. Und auch, dass man Men­schen unter­stützt, die Hil­fe brauchen.
Andreas C. Müller
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