Keine Wohnungen an anerkannte Flüchtlinge?

Keine Wohnungen an anerkannte Flüchtlinge?

Der Gemein­der­at der 1000-See­len-Gemeinde Rekin­gen ruft Ver­mi­eter dazu auf, keine Woh­nun­gen an anerkan­nte Flüchtlinge zu ver­mi­eten. Während das Net­zw­erk Asyl Aarau den Aufruf für «unfair und vor­eilig» hält, rufen Kirchen­vertreter zu ein­er dif­feren­zierten Betra­ch­tung der Gesamt­si­t­u­a­tion auf.Für Raimund Obrist, römisch-katholis­ch­er Pfar­rad­min­is­tra­tor in der Ver­e­nap­far­rei Zurzach AG, stellt sich in diesem Zusam­men­hang die grundle­gende Frage: «Sind wir bere­it, nicht nur über Gast­fre­und­schaft zu reden, son­dern jeman­dem, der an Leib und Leben bedro­ht ist, eine Chance zu geben?» Er beruft sich dabei auf die Werke der Barmherzigkeit: «Als Chris­ten kön­nen wir uns nicht ein­fach her­ausre­den, wir seien nicht zuständig für Asyl­suchende». Was das im konkreten Fall des Aufrufs des Gemein­der­ates von Rekin­gen bedeutet, kann Raimund Obrist derzeit den­noch nicht sagen, da er wed­er die betrof­fe­nen Asyl­suchen­den noch die konkreten Umstände näher kenne. Rekin­gen gehört zur Ver­e­nap­far­rei Zurzach.

Nicht auf dem Buckel der Flüchtlinge

Ein gewiss­es Ver­ständ­nis für die Gemeinde zeigt Luc Hum­bel, Präsi­dent der römisch-katholis­chen Lan­deskirche Aar­gau: «Rekin­gen ist über­mäs­sig belastet. Hier wäre mehr Sol­i­dar­ität von anderen Gemein­den gefordert». Als konkretes Beispiel nen­nt Luc Hum­bel Ober­wil-Lieli. Im Dorf von Gemein­deam­mann und SVP-Nation­al­rat Andreas Glarn­er wurde diesen Früh­ling entsch­ieden, dass die reiche Gemeinde keine Flüchtlinge aufn­immt, son­dern dem Kan­ton einen Ersatz­be­trag bezahlt.Entsprechend find­et Luc Hum­bel, dass das Prob­lem poli­tisch gelöst wer­den müsse «und nicht auf dem Buck­el der Flüchtlinge.» Anerkan­nten Flüchtlin­gen eine gute Inte­gra­tion zu ver­weigern, sei «nicht nur falsch, son­dern ver­w­er­flich.»Für eine dif­feren­zierte Betra­ch­tungsweise plädiert auch Christoph Weber, Kirchen­rat­spräsi­dent der evan­ge­lisch-reformierten Lan­deskirche Aar­gau. Ein­er­seits sei der Aufruf des Gemein­der­ats ein «frag­würdi­ges Zeichen». Wenn man aber genauer hin­schaue, müsse man auch die Ver­hält­nis­mäs­sigkeit sehen: Die Gemeinde Rekin­gen habe 943 Ein­wohn­er, den zwei­thöch­sten Steuer­fuss des Kan­tons und beherberge in ein­er kan­tonalen Asy­lun­terkun­ft 143 Flüchtlinge. Christoph Weber zeigt Ver­ständ­nis dafür, «dass somit bei der Gemein­de­be­hörde und bei der Bevölkerung die Befürch­tung vorhan­den ist, bei der Inte­gra­tion der Flüchtlinge und der Finanzierung von Sozialfällen am Ende alleine gelassen zu wer­den».

Hilferuf der Gemeinde

Wie bere­its Renate Gautschy, Präsi­dentin der Aar­gauer Gemein­deam­män­ner, gegenüber der «Aar­gauer Zeitung» (14. Juli) sagte, sieht auch Christoph Weber in dem Aufruf des Gemein­der­ats einen Hil­fer­uf der Gemeinde. Diesen gelte es in einem grösseren Kon­text zu betra­cht­en: «Wie kommt es zur Unter­bringung von Flüchtlin­gen in den einzel­nen Gemein­den? Wie finanziert man die Sozial­hil­fe? Welche Inte­gra­tions­mass­nah­men kön­nen ergrif­f­en wer­den?», fragt der Pfar­rer und Kirchen­rat­spräsi­dent. Zur Frage nach der Unter­bringung von Flüchtlin­gen ver­weist auch Christoph Weber auf das Beispiel Ober­wil-Lieli.  Eine solche Prax­is der Ersatz­zahlung gelte es zu hin­ter­fra­gen, ger­ade mit Blick auf kleinere und ärmere Gemein­den wie Rekin­gen.Bei den Inte­gra­tions­mass­nah­men seien Bund und Kan­ton gefordert, denn ohne Arbeit sei eine Inte­gra­tion der Flüchtlinge nicht möglich. «Die admin­is­tra­tiv­en Hür­den, um anerkan­nte Flüchtlinge ein­stellen zu dür­fen, sind jedoch immer noch zu hoch, wie ich aus der Erfahrung ein­er Kirchge­meinde, die Flüchtlinge zur Unter­stützung eines Sakris­tans ein­stellte, weiss.» Man könne der kleinen Gemeinde Rekin­gen nicht vor­w­er­fen, sie habe etwas gegen Flüchtlinge. Das Prob­lem müsse vielmehr in diesem Gesamtkon­text betra­chtet wer­den.

«Unfair und voreilig»

Patrizia Bertschi, Präsi­dentin vom Vere­in Net­zw­erk Asyl Aar­gau, find­et diesen Aufruf an die Bevölkerung «sehr beden­klich, unfair und vor­eilig», wie die «Aar­gauer Zeitung» (14. Juli) berichtet. Die jun­gen Män­ner, die als Flüchtlinge anerkan­nt sind, wür­den wahrschein­lich für den Rest ihres Lebens in der Schweiz bleiben. «Also müssen wir sie nach Kräften unter­stützen, den recht­en Weg in die finanzielle Selb­st­ständigkeit zu find­en.» Patrizia Bertschi schlägt laut Zeitung vor, dass Gewerbler ihnen beispiel­sweise ein Arbeit­sprak­tikum anbi­eten kön­nten.» Wie Christoph Weber sieht aber auch Patrizia Bertschi bei der Arbeitsin­te­gra­tion den Kan­ton in der Pflicht.Der Gemein­der­at von Rekin­gen ruft im aktuellen Mit­teilungs­blatt Eigen­tümer von Liegen­schaften dazu auf, «kün­ftig von Mietverträ­gen mit Asy­lanten Sta­tus ‹B› abzuse­hen». Sieben ehe­ma­lige Bewohn­er der Asy­lun­terkun­ft in Rekin­gen hät­ten kür­zlich den Sta­tus ‹B› erhal­ten und woll­ten sich in Rekin­gen nieder­lassen. «Der human­itäre Gedanke hin­ter der Woh­nungsver­mi­etung ist lobenswert. Diese Per­so­n­en leben aber von der materiellen Hil­fe.» Nach den ersten fünf Jahren, in denen der Kan­ton für die Sozial­hil­fe aufkommt, wird die Gemeinde dafür zuständig, falls die Betrof­fe­nen weit­er­hin Sozial­hil­fe beziehen. Dies bedeute für Rekin­gen «den finanziellen Ruin», so der Gemein­der­at.Die bei­den Lan­deskirchen des Kan­tons Aar­gau hat­ten im ver­gan­genen Sep­tem­ber an einem «Auf­s­tand für Anstand» in Aarau teilgenom­men, ein­er von 62 Organ­i­sa­tio­nen getra­ge­nen Demon­stra­tion gegen Frem­den­feindlichkeit. Vertreter der Lan­deskirchen tru­gen Trans­par­ente mit, die mit Bibelz­i­tat­en zur Auf­nahme von Bedürfti­gen aufriefen.
Anne Burgmer
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