Geburt unter einer Palme

Geburt unter einer Palme

«Es war mir immer wichtig, in der Lan­desprache wenig­stens ‚Danke‘, ‚Bitte‘ und ‚Guten Tag‘ sagen zu kön­nen», erk­lärt Mar­tin Bran­der, auf seine Ara­bis­chken­nt­nisse ange­sprochen. Neugi­er auf ver­schiedene Reli­gio­nen und Reisen in die Län­der des Vorderen Ori­ent haben Mar­tin Bran­der zu einem Ken­ner des Islam gemacht. Als früher­er «Horizonte»-Redaktor hat er sich inten­siv mit dieser Reli­gion auseinan­derge­set­zt. Dabei hat er Verbinden­des zwis­chen Chris­ten­tum und Islam ent­deckt und Unter­schiedlich­es. Ein gutes Beispiel dafür ist Maria.Maria, Mut­ter eines Men­schen «Im Koran, der Heili­gen Schrift des Islam, kommt Maria häu­figer vor als in der Bibel», betont Mar­tin Bran­der gle­ich zu Beginn des Gespräch­es. In ins­ge­samt sechs Suren und sechzig Versen. Die Sure 19 trägt sog­ar aus­drück­lich ihren Namen «Maryam». Maria ist die einzige Frau, die im Koran namentlich genan­nt wird. Sie sei «von Gott aus allen Frauen in der Welt auser­wählt», sagten die Engel im Koran zu ihr. In mus­lim­is­chen Fam­i­lien ist Maryam (Mir­jam) daher ein sehr beliebter Mäd­chen­name. Auf­fäl­lig ist, dass Maria im Koran auss­chliesslich im Zusam­men­hang mit Jesus genan­nt wird. Jesus, ara­bisch «Isa», ist der Sohn Marias, «Isa ibn Maryam». Wie in der christlichen Tra­di­tion ist Maria als Mut­ter von Jesus «Jungfrau» geblieben. Sie sei aber keines­falls «Gottes­ge­bärerin» oder «Gottes­mut­ter», betont Mar­tin Bran­der einen grossen Unter­schied. Maria hat mit Jesus zwar einen grossen Propheten geboren, der «ein Zeichen für die Men­schen» ist, nicht aber «Gottes Sohn». Gott braucht keinen Sohn. Jesus ist ganz Men­sch.Geburt unter ein­er Palme In der koranis­chen Wei­h­nacht­serzäh­lung ist die Empfäng­nis wie in der Bibel durch den Geist bewirkt. Dieser wird meist als Engel, manch­mal als Engel Gabriel inter­pretiert. Laut Koran ver­wirrt die Ankündi­gung Maryam und macht ihr grosse Sor­gen, denn sie «kenne» keinen Mann und sei auch keine Hure. Maryam wird schwanger und gebiert Isa «an einem entle­ge­nen Ort». Mar­tin Bran­der erin­nert an die fast gle­iche Erzäh­lung in der Bibel. Dann nimmt er ein Bild zur Hand, eine Illus­tra­tion zur Wei­h­nacht­serzäh­lung im Koran. Und da kommt keine Krippe vor, kein Stall, keine Hirten, keine Weisen aus dem Mor­gen­land, nicht ein­mal Josef ist dabei. Maria und Jesus genü­gen. Das Bild zeigt Maryam und Isa unter ein­er Palme. So wie es der Koran in der Sure 19 erzählt. Maryam schüt­telt auf Geheiss ein­er Stimme die Palme, reife Dat­teln fall­en herunter, und aus den Wurzeln der Palme fliesst frisches Quell­wass­er.Kul­tureller Aus­tausch Was so in der Bibel nicht vorkommt, find­et sich doch in der christlichen Tra­di­tion. In den Apokryphen, christlichen Tex­ten, die nicht in den Kanon der Bibel aufgenom­men wur­den, wird die Pal­mengeschichte im apokryphen Matthäus-Evan­geli­um erzählt. Dort trägt sich die Szene nicht bei der Geburt, son­dern bei der Flucht nach Ägypten zu. Darüber hin­aus ist auch Josef dabei. «Mohammed, der ursprünglich Han­del­sreisender war, hat­te im dama­li­gen kul­turellen Aus­tausch Kon­takt mit jüdis­ch­er und christlich­er Volks­fröm­migkeit», erk­lärt Mar­tin Bran­der diese auf­fäl­lige Ähn­lichkeit. Auf dieser Ebene ergibt sich aus der Wichtigkeit Mariens im Islam eine erstaunliche Gemein­samkeit: in reli­gion­sof­fe­nen Län­dern im Ori­ent zün­den Mus­lime oft in christlichen Kirchen vor Marien­bildern eine Kerze an und beten still.The­ol­o­gis­che Anknüp­fung Diesen Anknüp­fungspunkt bewusst zu machen erscheint wichtig, denn Missver­ständ­nisse gibt es genü­gend. So wird «das christliche Ver­ständ­nis der Dreifaltigkeit Gottes von islamis­ch­er Seite häu­fig als Mehr-Gott-Glaube missver­standen», erläutert Mar­tin Bran­der. Im alto­ri­en­tal­is­chen Chris­ten­tum gab es zur Zeit Mohammeds tat­säch­lich eine Min­der­heit, die einen „Drei-Göt­ter-Glauben“ ver­trat, und die damals hochverehrte Maria erschien nicht weit weg von ein­er Göt­tin — dage­gen wehrt sich der Koran entsch­ieden mit dem ein­deuti­gen Monothe­is­mus. Von Seit­en des Chris­ten­tums herrscht hinge­gen oft­mals Unver­ständ­nis für die Wichtigkeit des Koran im Islam. Dieser ist nicht ein­fach ein Buch, son­dern im Ver­ständ­nis des Islam das in Ara­bisch offen­barte «Wort Gottes» an Mohammed. Deshalb hat die feier­liche und sorgfältige Rez­i­ta­tion des Koran auf Ara­bisch eine grosse Bedeu­tung. Und eine his­torisch-kri­tis­che Ausle­gung, das Einord­nen der Texte in einen bes­timmten his­torischen Zusam­men­hang wie es bei der Bibel üblicher­weise gemacht wird, ist unter mus­lim­is­chen The­olo­gen umstrit­ten, denn das hiesse, das Wort Gottes zu rel­a­tivieren.Gemein­same Verehrung Bei allen the­ol­o­gis­chen Auseinan­der­set­zun­gen in Ker­naus­sagen bietet die Verehrung von Maria als wichtiger Per­son sowohl im Islam wie im Chris­ten­tum eine gemein­same Gesprächs­grund­lage. Denn auch bei der Gnadenkapelle in Ein­siedeln sind hin und wieder Mus­lim­in­nen und Mus­lime anzutr­e­f­fen, wie das Kloster auf Anfrage mit­teilt. Sie zün­den eine Kerze an und ver­har­ren einen Moment in Stille. In den let­zten Jahren wur­den für das Gnaden­bild der Schwarzen Madon­na zudem von ein­er in der Schweiz leben­den Mus­lim­in zwei Klei­der ges­tiftet — für Maria, die Mut­ter von Jesus.
Redaktion Lichtblick
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