EinÂtauÂchen in die Geschichte
Das jüdische Tauchbad in Endingen ist seit Anfang Dezember Âöffentlich zugänglich
Mit der Eröffnung des Tauchbads Mikwe kommt das Projekt Doppeltür, das dem breiten Publikum die Âjüdisch-christliche Geschichte des Surbtals vermittelt, einen grossen Schritt weiter.
Die beiÂden AarÂgauÂer GemeinÂden EndinÂgen und LenÂgnau haben eine ausÂserÂgeÂwöhnÂliÂche GeschichÂte. Vom 17. bis zum 19. JahrÂhunÂdert waren die beiÂden DörÂfer im SurbÂtal zwiÂschen Baden und Bad ZurzÂach die einÂziÂgen Orte in der Schweiz, wo jüdiÂsche MenÂschen sich dauÂernd nieÂderÂlasÂsen und GemeinÂden bilÂden durften.
AutoÂnoÂmie im reliÂgiöÂsen Leben
Der LandÂvogt der GrafÂschaft Baden kasÂsierÂte von den im SurbÂtal ansäsÂsiÂgen Juden SchutzÂgeld, AbgaÂben und GeleitÂgelÂder. Im Berufs- und SoziÂalÂleÂben waren Juden stark einÂgeÂschränkt: Sie durfÂten kein HandÂwerk ausÂüben, keiÂnen Boden besitÂzen und keiÂne BauÂern sein. Sie durfÂten sich nur im HanÂdel betäÂtiÂgen und MärkÂte besuÂchen. Die meiÂsten verÂdienÂten ihren LebensÂunÂterÂhalt mit dem HanÂdel von Tüchern, BänÂdeln, FelÂlen und HäuÂten, als MarktÂfahÂrer, HauÂsieÂrer und LumÂpenÂsammÂler. Die besÂser GestellÂten hanÂdelÂten mit Vieh und PferÂden, einiÂge verÂmitÂtelÂten auch LieÂgenÂschafÂten oder lieÂhen Geld. Juden durfÂten keiÂne HäuÂser besitÂzen, und Juden und ChriÂsten durfÂten nicht unter einem Dach wohÂnen. Als pragÂmaÂtiÂsche Lösung wurÂden HäuÂser mit zwei nebenÂeinÂanÂder lieÂgenÂden EinÂgänÂgen gebaut, einem für ChriÂsten und einem für Juden.
DieÂse DopÂpelÂtür-HäuÂser haben der heuÂte aktiÂven StifÂtung DopÂpelÂtür den Namen gegeÂben, die mit verÂschieÂdeÂnen ProÂjekÂten die jüdisch-christÂliÂche GeschichÂte des ZusamÂmenÂleÂbens im SurbÂtal einem breiÂten PubliÂkum zugängÂlich machen will. Denn obwohl die jüdiÂschen DorfÂbeÂwohÂner im BerufsÂleÂben stark einÂgeÂschränkt waren, genosÂsen sie im reliÂgiöÂsen Leben grosÂse AutoÂnoÂmie – und die bauÂliÂche InfraÂstrukÂtur des jüdiÂschen GemeinÂdeÂleÂbens ist in EndinÂgen und LenÂgnau noch heuÂte präsent.
AktuÂelÂle Anknüpfungspunkte
Neu ist das Haus in EndinÂgen, in dem sich das traÂdiÂtioÂnelÂle jüdiÂsche TauchÂbad befand, für die ÖffentÂlichÂkeit zugängÂlich. Das OberÂgeÂschoss des denkÂmalÂgeÂschützÂten GebäuÂdes wurÂde mit einem HebeÂlift erschlosÂsen. «MikÂwe EndinÂgen» steht gross und deutÂlich neben der EinÂgangsÂtür. Bei der kürzÂlich erfolgÂten, offiÂziÂelÂlen EinÂweiÂhung platÂzierÂten Lukas KelÂler, PräÂsiÂdent des StifÂtungsÂrats, und Jules Bloch, PräÂsiÂdent der IsraeÂliÂtiÂschen KulÂtusÂgeÂmeinÂde EndinÂgen, die traÂdiÂtioÂnelÂle Mesusa am rechÂten Türpfosten.
Lukas KelÂler begrüssÂte zur EinÂweiÂhung zahlÂreiÂche Gäste aus PoliÂtik, WirtÂschaft und KulÂtur. Er freuÂte sich, mit der MikÂwe EndinÂgen einen ersten attrakÂtiÂven DopÂpelÂtür-StandÂort der ÖffentÂlichÂkeit zugängÂlich zu machen. JonaÂthan KreutÂner, GeneÂralÂseÂkreÂtär des SchweiÂzeÂriÂschen IsraeÂliÂtiÂschen GemeinÂdeÂbunds, wussÂte: «DieÂse MikÂwe ist die erste in der Schweiz, die als AusÂstelÂlungsÂort zugängÂlich ist – das ist eine PreÂmieÂre.» Im nächÂsten Jahr starÂten die umfangÂreiÂchen UmbauÂarÂbeiÂten für das BesuÂcherÂzenÂtrum in LenÂgnau, das in zirÂka zwei JahÂren seiÂne Türen öffÂnen wird. Bis zu 25 000 Gäste solÂlen das ZenÂtrum in Zukunft jährÂlich besuÂchen. KelÂler erklärÂte: «Wir wolÂlen mit dem AngeÂbot von DopÂpelÂtür EinÂblicke in die ausÂserÂgeÂwöhnÂliÂche GeschichÂte des SurbÂtals ermögÂliÂchen und gleichÂzeiÂtig AnknüpÂfungsÂpunkÂte bieÂten zu aktuÂelÂlen GesellÂschaftsÂtheÂmen wie Respekt, MigraÂtiÂon und ZusamÂmenÂleÂben von MenÂschen unterÂschiedÂliÂcher reliÂgiöÂser und kulÂtuÂrelÂler Herkunft.»
LebenÂdiÂges Wasser
Die AusÂstelÂlung in der MikÂwe EndinÂgen ist in zwei HauptÂbeÂreiÂche unterÂteilt. Im ErdÂgeÂschoss geht es um die reliÂgiöÂse BedeuÂtung der MikÂwe. Die BesuÂcheÂrinÂnen und BesuÂcher erfahÂren, wie ein Besuch im jüdiÂschen TauchÂbad abläuft oder seit wann es RituÂalÂbäÂder gibt. Im ersten OberÂgeÂschoss werÂden die vielÂfälÂtiÂgen ForÂmen des BadeÂweÂsens theÂmaÂtiÂsiert. So wird in vieÂlen KulÂtuÂren das Baden neben der KörÂperÂpfleÂge auch als AusÂdruck von SchönÂheit und WohlÂstand im DiesÂseits angeÂseÂhen. Zudem waren Bäder immer Orte der BegegÂnung und des Austauschs.
Noch heuÂte spielt das rituÂelÂle TauchÂbad eine zenÂtraÂle RolÂle im jüdiÂschen Leben. Für den Bau und die NutÂzung gelÂten verÂschieÂdeÂne Regeln. So muss vor allem das WasÂser besonÂdeÂre AnforÂdeÂrunÂgen erfülÂlen: Es muss «lebenÂdiÂges», fliesÂsenÂdes WasÂser sein, also Quell‑, Grund- oder RegenÂwasÂser. VieÂle orthoÂdoÂxe PerÂsoÂnen jüdiÂschen GlauÂbens nehÂmen vor Fest- und FastÂtaÂgen ein rituÂelÂles TauchÂbad. Wer zum jüdiÂschen GlauÂben überÂtritt, ist zum UnterÂtauÂchen in der MikÂwe verÂpflichÂtet, ebenÂso FrauÂen nach der MenÂstruaÂtiÂon und nach einer Geburt. Auch aus nichtÂjüÂdiÂscher Hand erworÂbeÂnes oder rituÂell unrein geworÂdeÂnes Geschirr muss der ZereÂmoÂnie des UnterÂtauÂchens unterÂzoÂgen werden.
Ein MeiÂlenÂstein im Gesamtprojekt
ErstÂmals erwähnt ist ein ReiÂniÂgungsÂbad in EndinÂgen schon im Jahr 1743. Durch den Anstieg der jüdiÂschen BevölÂkeÂrung wurÂde zu Beginn des 19. JahrÂhunÂderts ein zweiÂtes Bad in der Gegend einÂgeÂrichÂtet. Bei einer InspekÂtiÂon 1857 durch den BezirksÂarzt wurÂden die beiÂden ReiÂniÂgungsÂbäÂder als untaugÂlich bewerÂtet. Am 24. FebruÂar 1867 beschloss die jüdiÂsche GemeinÂde, eine neue BadÂanÂstalt mit einer WohÂnung zu bauen.
ArchiÂtekt war der BadeÂner CasÂpar Josef Jeuch, der schon die PläÂne für die SynÂagoÂge und das SchulÂhaus entÂworÂfen hatÂte. Die EinÂweiÂhung der neuÂen MikÂwe in EndinÂgen erfolgÂte im SpätÂherbst 1867. Der NeuÂbau des ReiÂniÂgungsÂbaÂdes in EndinÂgen fiel auf den gleiÂchen ZeitÂpunkt wie die beginÂnenÂde AbwanÂdeÂrung der jüdiÂschen BevölÂkeÂrung. Da in EndinÂgen fast dopÂpelt so vieÂle JüdinÂnen und Juden ansäsÂsig waren wie in LenÂgnau, dauÂerÂte es länÂger, bis die MikÂwe in EndinÂgen nicht mehr gebraucht wurÂde. 1923 ging sie in den Besitz des israeÂliÂtiÂschen KranÂkenÂunÂterÂstütÂzungsÂverÂeins Neu-EndinÂgen über. 1954 wurÂde das GebäuÂde endÂgülÂtig verÂkauft. Seit 1998 steht es unter DenkÂmalÂschutz. Im Jahr 2022 wurÂde das GebäuÂde von der StifÂtung DopÂpelÂtür überÂnomÂmen. Die MikÂwe ist neben dem geplanÂten ZenÂtrum in LenÂgnau, dem JüdiÂschen KulÂturÂweg und den SchulÂmoÂduÂlen ein zenÂtraÂles EleÂment des GesamtÂvorÂhaÂbens der Stiftung.
Besuch in der MikÂwe Endingen
Die MikÂwe in EndinÂgen kann ab sofort im RahÂmen einer GrupÂpenÂfühÂrung auf dem JüdiÂschen KulÂturÂweg oder indiÂviÂduÂell besichÂtigt werden.
EinÂtrittsÂpreiÂse
ErwachÂseÂne : 10 FranÂken; JugendÂÂÂliÂche/ÂÂStuÂÂdenÂten/AHV-BezieÂhenÂÂde: 8 FranÂken; FamiÂliÂen: 25 FranÂken; VerÂeinsÂmitÂglieÂder und KinÂder bis 6 JahÂre kostenlos.