Unter­wegs in der mul­ti­kul­tu­rel­len Schweiz

Yared Dani­el (19) stammt aus Eri­trea und lebt in Aar­au. Er absol­viert eine Leh­re als Auto­mo­bil­fach­mann, spielt Fuss­ball beim FC Buchs und ist grie­chisch-ortho­do­xer Christ.«Gebo­ren wur­de ich in Adi Cho­mai. Das ist in Eri­trea. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Tig­ri­gna. Als ich zwölf Jah­re alt war, bin ich mit mei­nem Vater aus Eri­trea weg­ge­gan­gen und in die Schweiz gekom­men. Das haben wir gemacht, weil schon mei­ne Mut­ter und eini­ge mei­ner Geschwi­ster gegan­gen waren.

Mein Vater hat mir nicht gesagt, dass wir Eri­trea verlassen

Mei­ne Mut­ter war als erste in der Schweiz. Sie war aus Eri­trea weg­ge­gan­gen, weil mein älte­ster Bru­der flie­hen muss­te. Und mei­ne Mut­ter hät­te ent­we­der eine Geld­stra­fe zah­len oder ins Gefäng­nis gehen müs­sen.Mein Vater hat mir nicht gesagt, dass wir aus Eri­trea weg­ge­hen wer­den. Er hat das alles vor­be­rei­tet. Und dann sind wir gegan­gen. Des­halb habe ich nichts mit­ge­nom­men. Wir sind zu Fuss in den Sudan gelau­fen und dann mit dem Flugi in die Schweiz gekom­men.Ich habe immer wie­der Heim­weh. Wenn ich arbei­te, geht es. Dann ver­ges­se ich alles um mich. Doch wenn ich Lan­ge­wei­le habe, fan­ge ich an nach­zu­den­ken. Und dann kommt das Heim­weh. Ich ver­mis­se beson­ders mei­ne Gross­el­tern. Bei ihnen bin ich haupt­säch­lich auf­ge­wach­sen. Sie sind Bau­ern, haben Tie­re gezüch­tet und Land bestellt. Ich habe gehol­fen. Ich war auch Bau­er. Mei­ne Gross­el­tern habe ich seit unse­rer Flucht nicht mehr gese­hen.

Neue Kol­le­gen, Arbeit und Fussball

Hier in der Schweiz bin ich jetzt etwa sechs Jah­re. Und es gefällt mir sehr gut. Wenn ich über­le­ge: Eigent­lich habe ich zwei Hei­ma­ten. Eri­trea, wo ich auf­ge­wach­sen bin. Da sind mei­ne Kol­le­gen von frü­her, mit denen ich nur noch sel­ten Kon­takt habe. Über Face­book. Und die zwei­te Hei­mat, die Schweiz, wo ich jetzt lebe.In der Schu­le habe ich neue Kol­le­gen gefun­den. Wir spie­len zusam­men Fuss­ball und gehen am Wochen­en­de in den Aus­gang. Hier habe ich Arbeit als Auto­mo­bi­las­si­stent. Die letz­ten Prü­fun­gen habe ich bestan­den. Nun fan­ge ich die Aus­bil­dung zum Auto­mo­bil­fach­mann an. Den Ver­trag habe ich grad vor kur­zem unter­schrie­ben.

Frei leben und wählen

In der Schweiz gefällt mir beson­ders, dass ich frei leben kann. Und frei wäh­len, was ich arbei­te. Ich kann sagen, was ich den­ke. Das geht in Eri­trea nicht. Unge­wohnt war am Anfang, dass so vie­le Rech­nun­gen kom­men. Und dass man die auf­he­ben und bear­bei­ten muss. Das wuss­te ich nicht und muss­te es erst ler­nen. Jetzt habe ich das im Griff.Per Zufall habe ich dann das Fuss­ball­trai­ning am Mon­tag hier in Suhr ent­deckt. Mein Bru­der hat mir erzählt, dass Aus­län­der hier regel­mäs­sig gemein­sam trai­nie­ren. Mitt­ler­wei­le spie­le ich beim FC Buchs fest in der Mann­schaft. Ich könn­te drit­te Liga spie­len, habe aber die fünf­te Liga gewählt, weil da mei­ne Kol­le­gen spie­len. Neue Freun­de zu fin­den, hat alles ein­fa­cher gemacht. Man ver­gisst alles – auch die Ver­gan­gen­heit.

Respekt vor den Älteren

Eri­trea und die Schweiz sind sehr unter­schied­lich. Die Kul­tur ist ganz anders hier. Fon­due kann­te ich gar nicht. Das ver­mis­se ich manch­mal, das gemein­sa­me «von einem Tel­ler essen». Wir machen das immer mal wie­der und es gefällt mir bes­ser, als wenn jeder sei­nen eige­nen Tel­ler hat. Auch ist der Respekt vor den Eltern oder den älte­ren Men­schen in Eri­trea noch grös­ser. Dar­an ver­su­che ich mich auch hier zu hal­ten.Ich bin grie­chisch-ortho­dox und in Aar­au gibt es eine katho­li­sche Kir­che, in der wir Got­tes­dienst fei­ern kön­nen. Mei­ne Eltern gehen und dann gehe ich mit. Ins­ge­samt füh­le ich mich hier in der Schweiz mehr zuhau­se. Weil ich frei bin.»
Andreas C. Müller
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