Ernte-Erlebnis im Verkaufsregal
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Herr KöchÂli, Sie gehörten zu den PioÂnieren des Bio-LandÂbaus. Wie kamen sie dazu?
MarÂtin KöchÂli: Ich habe erlebt, wie die LandÂwirtschaft indusÂtriellen Prozessen unterÂworÂfen wurde und wollte eigenÂständig bleiben, kein Rad im SysÂtem sein. Mein Ehrgeiz war eine vielfältige, sich ergänzenÂden ProÂdukÂtion. Und zwar mit der gleÂichen ErnährungsleisÂtung wie ein konÂvenÂtioneller Betrieb.
Haben Sie das erreÂicht?
Mit viel Arbeit. Wir hatÂten die ganze Palette Gemüse, GetreiÂde, KartofÂfeln und MilchÂproÂdukÂtion. Also Viehwirtschaft komÂbiniert mit AckerÂbau. Den NährstofÂfkreisÂlauf haben wir ohne importierte FutÂterÂmitÂtel und künÂstliche DüngemitÂtel geplant und organÂisiert.
Nicht einÂmal mehr zehn Prozent ihres EinkomÂmens geben Herr und Frau SchweizÂer für LebensÂmitÂtel aus. KonÂsumÂiert werÂden viel FerÂtigÂfood und bilÂlige ImportÂware. Ist den MenÂschen gutes Essen nichts mehr wert?
Das Ernte-ErlebÂnis hat sich zum VerkaufÂsÂreÂgal verÂlagert. Der Kunde nimmt den Apfel aus dem Regal, wie wenn er dort gewachÂsen wäre und oriÂenÂtiert sich primär am Preis. Wir haben in der heutiÂgen Zeit kaum noch eine emoÂtionale Beziehung zu unserem Essen.
Was meinen Sie damit?
Das ganze TheÂmenÂfeld Nahrung ist in der heutiÂgen Zeit auf seinen Nutzen hin reduziert worÂden, die LandÂwirtschaft hat sich den indusÂtriellen PrinzipÂiÂen angepasst. Der Bauer «proÂduziert», der MenÂsch «konÂsumÂiert», um seinen Hunger zu stillen. Früher hatÂte die LandÂwirtschaft einen ganz anderen StelÂlenÂwert, war über eine volkÂsnaÂhe ReliÂgiosität in ein gemeinÂschaftlichÂes Erleben eingeÂbunÂden.
Also beispielÂsweise ErntedankgottesÂdiÂenÂste?
Genau. Oder AlpaÂbzüge und Viehschauen. Das ging sogÂar soweit, dass bei der Heu-Ernte die letÂzten Resten zu einem Kreuz geformt, das letÂzte GetreiÂdeÂfudÂer mit einem BluÂmenÂstrauss geschmückt wurÂden. Und an den MarkÂtÂstänÂden wurÂden die Waren speziell angeÂordÂnet, um deren SchönÂheit zu zeleÂbriÂeren. Im Zuge der RatioÂnalÂisierung der LandÂwirtschaft ist das mehrheitlich verÂschwunÂden, beziehungsweise: man hat das durch aufwendiÂge, werÂbeÂträchtige VerÂpackÂung ersetÂzt, weil man gesagt hat: Das bringt doch nichts. Der Massstab war hierÂbei stets der ökonomisÂche Nutzen.
Das erinÂnert jetÂzt stark an die gängige KriÂtik der Bauern, welche den ökonomisÂchen Druck von aussen beklaÂgen und ihrer Rolle als «NährÂstand der Nation» nachÂtrauern.
Es hilÂft besÂtimmt nichts, die aktuellen Umstände zu beklaÂgen. Wir müssen andere Wege findÂen, müssen die Beziehung der MenÂschen zur Nahrung erneuern und SenÂsiÂbilÂisierungsarÂbeit leisÂten.
Wie soll das konkret geschehen?
Die KonÂsumenten traÂgen MitverÂantÂworÂtung. Die EntwickÂlung hin zu landÂwirtschaftlichen MonokulÂturen und die MarÂginÂalÂisierung der SortenÂvielfalt beeÂinÂflusst der Kunde durch sein KaufverÂhalÂten. Und das nicht ohne FolÂgen. Inwieweit die ErzeugÂnisse der konÂvenÂtionellen landÂwirtschaftlichen ProÂdukÂtion AuswirkunÂgen auf unsere GesundÂheit haben, ist bisÂlang noch wenig erforscht. Es zeigt sich jedoch, dass die IndusÂtriÂalÂisierung der LandÂwirtschaft die Böden zerÂstört und das BienenÂsterÂben begünÂstigt.
Das ist bekanÂnt. TrotzÂdem kaufen die meisÂten Leute noch immer bilÂliges Essen.
Was viel schlimÂmer ist: Kaum jemand überÂlegt sich, inwieweit die Beziehungslosigkeit zur Nahrung einen emoÂtionalen ManÂgel nach sich zieht. Dieser äussert sich in VerÂschwenÂdung, zügelÂlosem EssverÂhalÂten und anderen SympÂtomen. Die Küche als ein gepflegter Ort, wo mit Liebe etwas zubereÂitÂet wird, existiert kaum noch. Immer häuÂfiger werÂden FerÂtigÂpizÂzas in den Ofen geschoben oder MikrowÂellenÂgerichte aufgewärmt.
Das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückÂdrehen. Die indusÂtriÂalÂisierte GrossproÂdukÂtion unter EinÂbezug globÂaler MärkÂte ist eine RealÂität. Wie könÂnen in diesem Umfeld ihre Gedanken zu einem WanÂdel beitraÂgen?
Da sind wir als Bauern gefragt. Wir müssen neue Wege und Konzepte entwickÂeln. BeispielÂsweise über KoopÂerÂaÂtivÂen oder den DirekÂtverÂtrieb. Kurze Wege, KonÂtakÂte zum KunÂden. IdeÂal wäre, wenn die MenÂschen über den Kauf von FrüchtÂen, GetreiÂde und Gemüse wieder am echtÂen Ernte-Gefühl teilÂhaben und in die ProÂdukÂtion von der PlaÂnung bis zur Ernte einÂbeÂzoÂgen werÂden könÂnten.
Andreas C. Müller
MarÂtin KöchÂli, Jahrgang 1949, wuchs als eines von fünf Kindern in einÂer freiämter BauernÂfamÂiÂlie in Weissenbach/Buttwil auf. Nach einem fünÂfjähriÂgen AufenÂthalt in AfriÂka mit EngageÂment in landÂwirtschaftlichen EntwickÂlungÂsproÂjekÂten überÂnahm MarÂtin KöchÂli in den 1980er Jahren mit seinÂer Frau den Hof in WeisÂsenbach und stellte auf Bio um. MarÂtin KöchÂli hat drei erwachÂsene Söhne und war bis 2012 MitÂglied des Grossen Rates für die GrüÂnen. In der PoliÂtik machte sich der Freiämter einen Namen als pointiertÂer, beleÂsenÂer QuerÂdenker und landÂwirtschaftlichÂer Philosoph. Ein JourÂnalÂist brachte es wie folÂgt auf den Punkt: Nicht alle mochtÂen MarÂtin KöchÂlis AusÂführunÂgen ins Detail zu folÂgen, aber jedÂer wusste genau, was er meinte.
Ihre MeiÂnÂung: Wie schlecht ist es um unser VerÂhältÂnis zum Essen bestellt?



