Ernte-Erlebnis im Verkaufsregal

Bere­its in den 1970er Jahren exper­i­men­tierte Mar­tin Köch­li mit Bioland­bau. Vor sechs Jahren hat der Pio­nier seinen Hof der näch­sten Gen­er­a­tion übergeben. Geblieben ist ein reich­er Erfahrungss­chatz, gesam­meltes, in der land­wirtschaftlichen Prax­is ver­i­fiziertes Wis­sen. Im Gespräch mit Hor­i­zonte reflek­tiert der gebür­tige Freiämter über die Beziehungslosigkeit der Men­schen zu ihrer Nahrung und plädiert für mehr Mitver­ant­wor­tung der Kon­sumenten.

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Herr Köch­li, Sie gehörten zu den Pio­nieren des Bio-Land­baus. Wie kamen sie dazu?
Mar­tin Köch­li: Ich habe erlebt, wie die Land­wirtschaft indus­triellen Prozessen unter­wor­fen wurde und wollte eigen­ständig bleiben, kein Rad im Sys­tem sein. Mein Ehrgeiz war eine vielfältige, sich ergänzen­den Pro­duk­tion. Und zwar mit der gle­ichen Ernährungsleis­tung wie ein kon­ven­tioneller Betrieb. 

Haben Sie das erre­icht?
Mit viel Arbeit. Wir hat­ten die ganze Palette Gemüse, Getrei­de, Kartof­feln und Milch­pro­duk­tion. Also Viehwirtschaft kom­biniert mit Acker­bau. Den Nährstof­fkreis­lauf haben wir ohne importierte Fut­ter­mit­tel und kün­stliche Düngemit­tel geplant und organ­isiert.

Nicht ein­mal mehr zehn Prozent ihres Einkom­mens geben Herr und Frau Schweiz­er für Lebens­mit­tel aus. Kon­sum­iert wer­den viel Fer­tig­food und bil­lige Import­ware. Ist den Men­schen gutes Essen nichts mehr wert?
Das Ernte-Erleb­nis hat sich zum Verkauf­s­re­gal ver­lagert. Der Kunde nimmt den Apfel aus dem Regal, wie wenn er dort gewach­sen wäre und ori­en­tiert sich primär am Preis. Wir haben in der heuti­gen Zeit kaum noch eine emo­tionale Beziehung zu unserem Essen.

Was meinen Sie damit?
Das ganze The­men­feld Nahrung ist in der heuti­gen Zeit auf seinen Nutzen hin reduziert wor­den, die Land­wirtschaft hat sich den indus­triellen Prinzip­i­en angepasst. Der Bauer «pro­duziert», der Men­sch «kon­sum­iert», um seinen Hunger zu stillen. Früher hat­te die Land­wirtschaft einen ganz anderen Stel­len­wert, war über eine volk­sna­he Reli­giosität in ein gemein­schaftlich­es Erleben einge­bun­den.

Also beispiel­sweise Erntedankgottes­di­en­ste?
Genau. Oder Alpa­bzüge und Viehschauen. Das ging sog­ar soweit, dass bei der Heu-Ernte die let­zten Resten zu einem Kreuz geformt, das let­zte Getrei­de­fud­er mit einem Blu­men­strauss geschmückt wur­den. Und an den Mark­t­stän­den wur­den die Waren speziell ange­ord­net, um deren Schön­heit zu zele­bri­eren. Im Zuge der Ratio­nal­isierung der Land­wirtschaft ist das mehrheitlich ver­schwun­den, beziehungsweise: man hat das durch aufwendi­ge, wer­be­trächtige Ver­pack­ung erset­zt, weil man gesagt hat: Das bringt doch nichts. Der Massstab war hier­bei stets der ökonomis­che Nutzen.

Das erin­nert jet­zt stark an die gängige Kri­tik der Bauern, welche den ökonomis­chen Druck von aussen bekla­gen und ihrer Rolle als «Nähr­stand der Nation» nach­trauern.
Es hil­ft bes­timmt nichts, die aktuellen Umstände zu bekla­gen. Wir müssen andere Wege find­en, müssen die Beziehung der Men­schen zur Nahrung erneuern und Sen­si­bil­isierungsar­beit leis­ten.

Wie soll das konkret geschehen?
Die Kon­sumenten tra­gen Mitver­ant­wor­tung. Die Entwick­lung hin zu land­wirtschaftlichen Monokul­turen und die Mar­gin­al­isierung der Sorten­vielfalt bee­in­flusst der Kunde durch sein Kaufver­hal­ten. Und das nicht ohne Fol­gen. Inwieweit die Erzeug­nisse der kon­ven­tionellen land­wirtschaftlichen Pro­duk­tion Auswirkun­gen auf unsere Gesund­heit haben, ist bis­lang noch wenig erforscht. Es zeigt sich jedoch, dass die Indus­tri­al­isierung der Land­wirtschaft die Böden zer­stört und das Bienen­ster­ben begün­stigt.

Das ist bekan­nt. Trotz­dem kaufen die meis­ten Leute noch immer bil­liges Essen.
Was viel schlim­mer ist: Kaum jemand über­legt sich, inwieweit die Beziehungslosigkeit zur Nahrung einen emo­tionalen Man­gel nach sich zieht. Dieser äussert sich in Ver­schwen­dung, zügel­losem Essver­hal­ten und anderen Symp­tomen. Die Küche als ein gepflegter Ort, wo mit Liebe etwas zubere­it­et wird, existiert kaum noch. Immer häu­figer wer­den Fer­tig­piz­zas in den Ofen geschoben oder Mikrow­ellen­gerichte aufgewärmt.

Das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurück­drehen. Die indus­tri­al­isierte Grosspro­duk­tion unter Ein­bezug glob­aler Märk­te ist eine Real­ität. Wie kön­nen in diesem Umfeld ihre Gedanken zu einem Wan­del beitra­gen?
Da sind wir als Bauern gefragt. Wir müssen neue Wege und Konzepte entwick­eln. Beispiel­sweise über Koop­er­a­tiv­en oder den Direk­tver­trieb. Kurze Wege, Kon­tak­te zum Kun­den. Ide­al wäre, wenn die Men­schen über den Kauf von Frücht­en, Getrei­de und Gemüse wieder am echt­en Ernte-Gefühl teil­haben und in die Pro­duk­tion von der Pla­nung bis zur Ernte ein­be­zo­gen wer­den kön­nten.  

Andreas C. Müller

 

Mar­tin Köch­li, Jahrgang 1949, wuchs als eines von fünf Kindern in ein­er freiämter Bauern­fam­i­lie in Weissenbach/Buttwil auf. Nach einem fün­fjähri­gen Aufen­thalt in Afri­ka mit Engage­ment in land­wirtschaftlichen Entwick­lung­spro­jek­ten über­nahm Mar­tin Köch­li in den 1980er Jahren mit sein­er Frau den Hof in Weis­senbach und stellte auf Bio um. Mar­tin Köch­li hat drei erwach­sene Söhne und war bis 2012 Mit­glied des Grossen Rates für die Grü­nen. In der Poli­tik machte sich der Freiämter einen Namen als pointiert­er, bele­sen­er Quer­denker und land­wirtschaftlich­er Philosoph. Ein Jour­nal­ist brachte es wie fol­gt auf den Punkt: Nicht alle mocht­en Mar­tin Köch­lis Aus­führun­gen ins Detail zu fol­gen, aber jed­er wusste genau, was er meinte.  

 

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Redaktion Lichtblick
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