Das Tage­buch aus Prag

Das Tage­buch aus Prag

  • Wel­che Fra­gen beschäf­tig­ten die Dele­gier­ten aus ganz Euro­pa an der Kontinentalsynode?
  • Wie lie­fen die Sit­zun­gen ab, und wie gelang das gegen­sei­ti­ge Zuhören?
  • Tat­ja­na Diste­li, die Gene­ral­se­kre­tä­rin der Römisch-Katho­li­schen Kir­che im Aar­gau, war als Dele­gier­te in Prag und hielt jeden Tag etwas fest, was ihr per­sön­lich auf­ge­fal­len ist, was ihr beson­ders Ein­druck gemacht, sie gefreut oder gewun­dert hat.

Sonn­tag, 12. Febru­ar 2023

Die Syn­oda­le Ver­samm­lung in Prag ist zu Ende

«Auch wenn Über­ra­schun­gen aus­blie­ben: Die mei­sten dürf­ten Prag ver­än­dert ver­las­sen», schreibt Lud­wig Ring-Eifel in sei­ner Zusam­men­fas­sung der Syn­oda­len Ver­samm­lung in Prag auf kath.ch. Hier sein Text, der den vor­läu­fi­gen Abschluss des Tage­buchs aus Prag bildet.

Ein­heit in Ver­schie­den­heit: Wie die Bischö­fe in Prag mit den Span­nun­gen umgehen

Unter den knapp 200 Anwe­sen­den waren rund 50 Bischö­fe, zudem Prie­ster und Ordens­leu­te, aber auch zahl­rei­che Lai­in­nen und Lai­en. Die­se Män­ner und Frau­en kamen aus Bewe­gun­gen und Orga­ni­sa­tio­nen, die in ihrer Viel­falt einen Teil der unter­schied­li­chen Strö­mun­gen des Katho­li­zis­mus in Euro­pa abbildeten.

Die Gemein­schaft Sant’Egidio war eben­so dabei wie der deut­sche Katho­li­ken­dach­ver­band ZdK mit sei­ner Prä­si­den­tin Irme Stet­ter-Karp, das Opus Dei eben­so wie Lebens­schüt­zer-Ver­ei­ne, eine Hand­voll Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren, die ver­schie­de­nen Aus­prä­gun­gen der «katho­li­schen Akti­on» aus süd­li­chen Län­dern und vie­le mehr.

Pro­gres­si­ve sind in der Minderheit

Eine her­aus­ge­ho­be­ne Rol­le hat­te der tsche­chi­sche Reli­gi­ons­phi­lo­soph Tomas Halik. Er setz­te mit einem nach­denk­li­chen Eröff­nungs­re­fe­rat Impul­se, die im Lau­fe der Bera­tun­gen immer wie­der auf­ge­grif­fen und zum Aus­gangs­punkt wei­ter­ge­hen­der Über­le­gun­gen gemacht wur­den. Er ord­ne­te die gegen­wär­ti­ge Kir­chen­kri­se in den ideen­ge­schicht­li­chen Rah­men einer Glau­bens­kri­se ein und wei­te­te damit den Hori­zont der Debatte.

Den­noch wur­den häu­fig auch ein­fa­che Kri­sen­dia­gno­sen und Ant­wor­ten vor­ge­tra­gen: «Pro­gres­si­ve» (in Prag klar in der Min­der­heit) tra­ten für Ände­run­gen der kirch­li­chen Leh­re und Moral ein, um nie­man­den aus der Kir­che aus­zu­schlies­sen oder hinauszudrängen.

Erst tagen alle, dann nur noch die Bischöfe

«Kon­ser­va­ti­ve» war­ben für ein Fest­hal­ten an Dog­men und Ver­bo­ten als ein­zig sinn­vol­ler Reak­ti­on der Kir­che auf die Belie­big­keit der post­mo­der­nen Welt. Kon­sens gab es dar­über, dass die Kir­che – wie vom Papst gefor­dert – neue Wege der Bera­tung und einer Betei­li­gung des «Vol­kes Got­tes» an Ent­schei­dun­gen fin­den müs­se. Dafür war das Tref­fen in Prag eine erste Einübung.

Die 39 Bischofs­kon­fe­ren­zen in Euro­pa, die in einem «Rat» unter der Abkür­zung CCEE mit Sitz in St. Gal­len zusam­men­ge­schlos­sen sind, ent­sand­ten jeweils ihren Vor­sit­zen­den sowie drei wei­te­re Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter. Die 39 Vor­sit­zen­den tag­ten am Ende zwei Tage lang unter sich, um das zu reflek­tie­ren, was in den ersten vier Tagen von Bischö­fen, Prie­stern und Lai­en gesagt wor­den war.

Das Für­sten­tum Liech­ten­stein war nicht ver­tre­ten: Erz­bi­schof Wolf­gang Haas lehnt den syn­oda­len Pro­zess ab. Das Erz­bis­tum Vaduz ist auch nicht Mit­glied des CCEE.

Die Spra­chen: Ita­lie­nisch, Eng­lisch, Deutsch

Wäh­rend im ersten Teil die Ple­nar­sit­zun­gen im Live­stream über­tra­gen wur­den, war der Abschluss nicht öffent­lich. Zuvor hat­ten auch die Stuhl­kreis-Sit­zun­gen der Klein­grup­pen ohne Medi­en­öf­fent­lich­keits­tatt­ge­fun­den. Aus­ser­dem konn­ten sich Dele­gier­te online betei­li­gen – aller­dings gelang es kaum, die Ver­samm­lung in Prag und die online dis­ku­tie­ren­den Teil­neh­men­den zusammenzubringen.

Schnell zeig­te sich, dass die Grup­pen­dy­na­mik der Prä­senz­ver­samm­lung für Online-Teil­neh­men­de unein­hol­bar war. Das galt für die Gesprä­che in den Kaf­fee­pau­sen eben­so wie für die Erfah­rung gemein­sa­mer Got­tes­dien­ste und Gebe­te, von denen vie­le in Latein gehal­ten wur­den. In den Debat­ten waren Ita­lie­nisch und Eng­lisch die am mei­sten gespro­che­nen Spra­chen – gefolgt von Deutsch.

Intrans­pa­ren­ter Redaktionsprozess

Intrans­pa­rent war der Redak­ti­ons­pro­zess, der nach den Bera­tun­gen der ersten vier Tage zu einem gemein­sa­men Doku­ment füh­ren soll­te. Ein Team von Exper­tin­nen und Exper­ten ver­such­te, die Kern­punk­te der im Ple­num vor­ge­tra­ge­nen Ideen in einem Text zu bündeln.

Die­ser wur­de am Don­ners­tag­mor­gen ver­le­sen, dann konn­ten münd­lich und schrift­lich Ände­rungs­wün­sche ein­ge­bracht wer­den. Am Ende der geschlos­se­nen Bischofs­be­ra­tun­gen wur­de ein kur­zer zwei­ter Text ver­ab­schie­det, der als «Bot­schaft an das Volk Got­tes» ver­öf­fent­licht wer­den sollte.

Kein eige­ner Text zum The­ma Missbrauch

Anders als zunächst ange­kün­digt gab es kei­nen eige­nen Text zum The­ma Miss­brauch. Es war der Bel­gra­der Erz­bi­schof Lasz­lo Nemet, der ein­ge­räumt hat­te, dass es sexu­el­len Miss­brauch Min­der­jäh­ri­ger durch Kle­ri­ker auch in Ost­eu­ro­pa gab. Doch wegen der Unter­drückung der Kir­che im Kom­mu­nis­mus fehlt bis heu­te ein kla­res Bild dar­über – unter ande­rem, weil die Geheim­po­li­zei ihre Fin­ger im Spiel hat­te und vie­le Akten spä­ter ver­nich­tet wur­den. Nicht nur an die­sem Punkt wur­de in Prag deut­lich, dass das Erbe der Dik­ta­tu­ren in Ost­eu­ro­pa bis heu­te nachwirkt.

In Pres­se­state­ments zeig­ten sich am Ende Bischö­fe aus allen Tei­len Euro­pas zufrie­den mit dem in Prag erleb­ten Pro­zess des gegen­sei­ti­gen Zuhö­rens – auch wenn die unter­schied­li­chen Ansät­ze zur Über­win­dung der Kir­chen- und der Glau­bens­kri­se in Euro­pa nicht in eine gemein­sa­me Hand­lungs­stra­te­gie mündeten.

«Ein­heit in Verschiedenheit»

Bei der Ver­samm­lung der Welt­syn­ode in Rom im Okto­ber dürf­ten daher die Bischö­fe aus Euro­pa wie gehabt mit sehr unter­schied­li­chen Akzen­ten auf­tre­ten. Neu ist, dass vie­le von ihnen nach der Erfah­rung von Prag eine «Ein­heit in Ver­schie­den­heit» eher für mög­lich halten.

Don­ners­tag, 9. Febru­ar 2023

Zwi­schen­stand

Kurz vor Tagungs­be­ginn bat eine jun­ge Fran­zö­sin von KTO um einen Videotermin.

Dann erklang die Glocke: Beginn des Tages.

Der erste Ent­wurf des Schluss­do­ku­ments der Euro­päi­schen Syn­ode ist die Bestands­auf­nah­me aller 39 Län­der­bei­trä­ge vor Ort und online. Die Fül­le der Tex­te und Aus­sa­gen in ver­schie­den­sten Spra­chen ist enorm. Damit war­te­te mit der Auf­ga­be einer ver­nünf­ti­gen Zusam­men­stel­lung in ein ein­zi­ges Doku­ment eine  Her­ku­les­auf­ga­be auf das kom­pe­ten­te und red­lich arbei­ten­de Redak­ti­ons­ko­mi­tee. Die Expert:innen arbei­te­ten durch bis mor­gens um 5 Uhr — und um 7 Uhr stan­den sie bereits wie­der auf. 

Das Komi­tee zeigt sich ver­letz­lich: In die­ser kur­zen Zeit hät­te die Arbeit noch nicht adäquat been­det wer­den kön­nen. Und der Text sei auch erst in Eng­lisch ver­fasst wor­den und nicht ide­al über­setzt. Man bit­te dar­um, die Her­zen zu öff­nen und über die­se Män­gel hin­weg zu sehen, damit der syn­oda­le Geist erfahr­bar werde.

Ein eng­li­scher Prie­ster wur­de aufs Podi­um gebe­ten, er begann ab 9 Uhr durch­ge­hend bis 11 Uhr, dem Ple­num das zur Dis­kus­si­on ste­hen­de Abschluss­do­ku­ment vor­zu­tra­gen. Lesen Sie es — es lohnt sich. Und legen Sie dabei nicht jedes Wort wer­tend auf die Gold­waa­ge, son­dern erspü­ren Sie den syn­oda­len Geist zwi­schen den Zei­len. Füh­len Sie ihn?

Ich war abso­lut posi­tiv überrascht. 

Eben­falls wur­de um Zustim­mung gebe­ten, alle Län­der­bei­trä­ge ver­öf­fent­li­chen zu dürfen.

In der anschlies­sen­den Dis­kus­si­on mel­de­ten sich eini­ge Bischö­fe von öst­li­chen Län­dern zu Wort. Ein jün­ge­rer Weih­bi­schof merk­te an, dass wohl der Hl. Geist uns alle hier­her­ge­führt hät­te, aber die Inhal­te der Aus­sa­gen sei­nen nicht immer des Hl. Gei­stes. Der Teu­fel schla­fe nicht. Man müs­se die Sün­de beim Namen nen­nen. Und er bit­te dar­um, dass LGBTQ-The­men sich auf ein Kapi­tel beschränken.

Ich erin­ner­te mich zurück an ein gest­ri­ges Online-Votum aus einer der eng­lisch­spra­chi­gen Grup­pe: «Wie kön­nen wir denen die Sakra­men­te als Zei­chen der Lie­be Got­tes ver­wei­gern, die sie am mei­sten wün­schen oder benötigen?»

Auch das The­ma der Rol­le der Frau wur­de von die­sen Her­ren abge­lehnt. Prä­senz der Frau hin­ge­gen sei sehr wich­tig. Die Jung­frau Maria hat Chri­stus geboren.

Nach­dem die Kluft der ver­schie­de­nen Glau­bens­ver­ständ­nis­se in die­sen Tagen zu schrump­fen schien, kamen — ange­sichts die­ses Tex­tes — die Äng­ste einer Demon­ta­ge der kirch­li­chen Leh­re wie­der zum Vor­schein. Eini­ge klu­ge Men­schen ergrif­fen das Wort, dar­un­ter eine deut­sche Pro­fes­so­rin und ein Neu­te­sta­ment­ler. Aus Zeit­grün­den das letz­te State­ment abge­ben durf­te unser Bischof Felix Gmür: Zur Bit­te um Kon­kre­ti­on der Span­nun­gen und zu den näch­sten Schrit­te unter Mit­wir­kung der Jugend und der Frau­en für die Ver­samm­lung im Okto­ber in Rom. Da wird das defi­ni­ti­ve Schluss­do­ku­ment des Kon­ti­nents Euro­pa entstehen.

In den näch­sten Tagen wer­den sich die Bischö­fe unter­ein­an­der über die Erfah­run­gen die­ser beson­de­ren Tage aus­tau­schen. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht.

Nach dem offi­zi­el­len Dank für die Prä­senz, Arbeit und Mit­wir­kung in alle Rich­tun­gen, hat­ten vie­le Dele­ga­tio­nen den Wunsch, abschlies­sen­de Bil­der zu erstel­len: Wir bega­ben uns, wie ver­ein­bart, umge­hend zu unse­ren Luxem­bur­ger Freun­den, gemein­sam mit Bischof Felix und Kar­di­nal Hol­le­rich. Er sag­te lang­sam und ein­dring­lich zu uns: «Die Schweiz und Luxem­bourg haben den sel­ben Traum von Kir­che!» Und er ver­si­cher­te, dass er die­se Anlie­gen mit gan­zem Her­zen und aller Kraft wei­ter­tra­gen werde.

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Ich ver­ab­schie­de­te mich von Schwe­ster Danie­la aus Kiew, die sich um Geflüch­te­te aus dem Osten des Lan­des küm­mert. Ein Herz von einer Frau. Wenn ihr nur nichts geschieht.

Danach war es mir ein Anlie­gen, mich noch kurz mit Bischof Bän­zing und Bea­te Gil­les zum wei­te­ren Ver­lauf zu unter­hal­ten. Auch wir tau­schen die Koor­di­na­ten aus. Man möch­te immer­hin locker ver­netzt blei­ben, um sich gegen­sei­tig Inter­es­san­tes oder wich­ti­ge Doku­men­te zusen­den zu können.

Beim Des­sert kam die jun­ge Polin Maria zu mir, die gleich hin­ter der Gren­ze zur Ukrai­ne lebt. Sie sag­te in gebro­che­nem Deutsch: «Es tut mir so leid, dass wir uns nicht rich­tig ver­ste­hen, Ihr im Westen und wir im Osten.» «Ja, mir auch — aber, das wird mit der Zeit immer ein­fa­cher wer­den.» Herz­li­che Umar­mung. Aus­tausch der Tele­fon­num­mern und ein «Bless you!».

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Die Online-Dele­ga­ti­on in Wis­li­kofen hat gemein­sam eine Stel­lung­nah­me zur Kon­ti­nen­tal­syn­ode geschrie­ben. Sie wie­der­spie­gelt das Gehör­te, die bis­he­ri­gen Dis­kus­sio­nen und die For­de­run­gen, die noch im Raum stehen:

Die Grund­la­ge der Kon­ti­nen­tal­syn­ode in Prag ist das obi­ge Doku­ment «Mach den Raum dei­nes Zel­tes weit». Das Schwei­zer State­ment an der Kon­ti­nen­tal­syn­ode in Prag beruht auf die­sem Grund­la­gen­do­ku­ment und auf dem Syn­oden­be­richt der Schwei­zer Pasto­ral­kon­fe­renz: Hier geht es zum Syn­oden­be­richt der Schwei­zer Pastoralkonferenz.

Hier geht es zu den Schluss­be­mer­kun­gen der Kon­ti­nen­tal­syn­ode in Prag.

Mitt­woch, 8. Febru­ar 2023

Begeg­nung, von früh bis spät

Das öku­me­ni­sche Mor­gen­ge­bet nahm das Anlie­gen auf, über unse­re eige­ne Kir­che hin­aus in das welt­wei­te Chri­sten­tum ein­zu­tau­chen, mis­sio­na­risch und dia­ko­nisch mit­ein­an­der unter­wegs zu sein. Die­se Erwei­te­rung auf die ande­ren christ­li­chen Kon­fes­sio­nen hin ist gut und wich­tig, hat sich die Ver­samm­lung hier in Prag doch vor­wie­gend über die inter­ne Situa­ti­ons­ana­ly­se unterhalten.

Die drit­te Working Ses­si­on stand im Zei­chen der Prio­ri­sie­rung der The­men und der wei­te­ren kon­kre­ten Schrit­te. Wir ran­gen mit­ein­an­der und brach­ten rele­van­te neue Gedan­ken ein. Die syn­oda­le Spi­ri­tua­li­tät und die damit ver­bun­de­ne qua­li­ta­tiv hoch­ste­hen­de Begeg­nungs­kul­tur übten wir hier bereits mit Freu­de ein. Eben­so haben wir die Beto­nung auf eine Pasto­ral der Bezie­hung gelegt. Die Theo­lo­gie der Syn­oda­li­tät hin­ge­gen muss nun fun­diert erar­bei­tet wer­den. Und der väter­li­che sar­di­sche Bischof beton­te die zen­tra­le Wich­tig­keit der Defi­ni­ti­on für die «Unter­schei­dung der Gei­ster» , sprich, wir müss­ten im Hin­blick auf die Syn­ode in Rom (Okto­ber 2023) Kri­te­ri­en defi­niert wer­den, wie wir zur Ent­schei­dungs­fin­dung gelan­gen. Wir spra­chen mit­hil­fe der Dolmetscher:innen in fünf Spra­chen mit­ein­an­der, stam­mend aus fünf kul­tu­rel­len Hintergründen. 

Die eige­nen Prio­ri­tä­ten blie­ben im Zen­trum ste­hen. Aber eine mar­kan­te Erwei­te­rung des per­sön­li­chen Erfah­rungs­hin­ter­grun­des ereig­net sich ganz auto­ma­tisch: Ande­re Län­der, ande­re Freu­den und Sorgen. 

Über Mit­tag hol­ten wir die Feed­backs unse­rer Län­der-Online-Dele­gier­ten ab zum Pro­zess im All­ge­mei­nen und zum Ent­ste­hungs­pro­zess unse­res State­ments im Beson­de­ren. Zu Recht stell­ten sie uns die Fra­ge, ob wir nicht in Betracht gezo­gen hät­ten, den Text im Vor­feld mit ihnen zu reflek­tie­ren. Wir feil­ten zwei­mal bis spät in die Nacht hin­ein am Text, aktua­li­sier­ten ihn auf­grund neu­er Erkennt­nis­se — und agier­ten dadurch nicht wirk­lich syn­odal. Die Zeit dazu fehl­te. Wir ler­nen dazu.

Am Nach­mit­tag konn­ten wir mit den exter­nen Online-Dele­gier­ten in Ver­bin­dung tre­ten und vie­le inter­es­san­te Berich­te hören. Die mei­sten waren geprägt vom syn­oda­len Geist der Öff­nung hin zu den Men­schen — mit den ent­spre­chen­den Wün­schen und For­de­run­gen an die Pasto­ral bis hin zur Aktua­li­sie­rung des cano­ni­schen Rechts.

Schliess­lich wur­de im Pra­ger Dom die Mes­se gefei­ert. Mit Live-Über­tra­gung im tsche­chi­schen Fernsehen. 

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Kar­di­nal Mario Grech pre­dig­te, einer der star­ken Trei­ber und För­de­rer des Syn­oda­len Pro­zes­ses. Ein Mann, geseg­net mit der Gabe der herz­li­chen unmit­tel­ba­ren Fähig­keit zur Begeg­nung. Ein inte­ge­rer, authen­ti­scher Mann. Viel­leicht der näch­ste Papst. 

Beim Abschied sag­te er, wenn ich in Rom sei, soll ich in sei­nem Büro vor­bei­kom­men, er wür­de sich an mich erin­nern. Ich freue mich dar­auf. Der Sac­co di Roma steht schon bald vor der Tür. 

Abend­essen.

Danach hoch­span­nen­de Hin­ter­grund­ge­sprä­che mit Jour­na­li­sten aus Rom, Orga­ni­sa­to­rin­nen, Pres­se­spre­chern von Bischofs­kon­fe­ren­zen, Kar­di­nä­len und Bischö­fen — rund um die Hotel­bar. Ja. Begegnung.

Es wird spät. Sehr spät. 🙂

Gute Nacht, Schweiz.

Diens­tag, 7. Febru­ar 2023

State­ment der Schwei­zer Delegation

Die­ser Tag hat mich tief bewegt.

So vie­le Voten, so vie­le Berich­te, Zwi­schen­ge­sprä­che, pola­ri­sie­ren­de Working­group-The­men, der Aus­tausch im Online-Mee­ting mit unse­ren Dele­gier­ten in der Schweiz, im aar­gaui­schen Wislikofen:

Alle sind wir suchen­de und rin­gen­de Men­schen auf ihrem Glaubensweg.

Im Respekt vor die­sen tie­fen und ehr­li­chen Berich­ten will ich heu­te kei­ne unnö­ti­gen Wor­te mehr ver­lie­ren. Las­sen Sie sie per­sön­lich auf sich wir­ken — min­de­stens aber die Berich­te aus Irland, Luxem­bourg, Polen, Por­tu­gal, Ukrai­ne, Slo­wa­kei und der Schweiz. Und das Frie­dens­ge­bet ganz zum Schluss.

Amen, so sei es.

Mon­tag, 6. Febru­ar 2023

From Head to Heart

Kaum auf­ge­wacht höre ich die News — sofort kommt mir der fröh­li­che Tür­kei-Dele­gier­te in den Sinn, mit dem ich mich gestern län­ger unter­hielt. Das schwe­re Erd­be­ben zer­stör­te sei­ne Hei­mat­kir­che, und zwei Bekann­te lie­gen im Neben­ge­bäu­de noch unter Trümmern.

Vor dem Got­tes­dienst suche und fin­de ich ihn. Er ist bleich, und das herz­li­che Lachen ist aus sei­nem Gesicht ver­schwun­den. Er bedau­ert, nicht hel­fen zu kön­nen und zeigt mir das Bild der zer­stör­ten Kir­che sei­ner Pfar­rei. Es sei momen­tan auch noch sehr kalt, fügt er hinzu…

Ja, dann beginnt der Gottesdienst.

«Gott ist grös­ser, als unser mensch­li­ches Herz», die­sen Satz von Kar­di­nal Hol­le­rich neh­me ich mit, vor allem wegen des Kon­tex­tes: mora­li­sches Fehlverhalten.

Die Kir­che müs­se jeden Men­schen bedin­gungs­los will­kom­men heis­sen und es ihm ermög­li­chen, die Chri­stus­be­zie­hung zu erfah­ren — auch dann, wenn «wir», die Kir­che, das Gefühl hät­ten, jemand lebt ein unmo­ra­li­sches Leben: «Gott ist grös­ser, als unser mensch­li­ches Herz» — «Ubi Cari­tas et Amor, Deus ibi est»… .

Beim Aus­gang wird uns die Working Ses­si­on-Liste mit den zuge­hö­ri­gen Namen abge­ge­ben. Wir drei wur­den in die deutsch­spra­chi­ge, in die ita­lie­nisch­spra­chi­ge und in die Mul­ti­l­in­gu­al-Grup­pe eingeteilt.

Die Gesprächs­füh­rung mei­ner Grup­pe über­nimmt ein deut­scher Jesu­it, der in Mos­kau tätig ist.

Dann sind dabei vier Per­so­nen aus der Ukrai­ne (davon die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­ant­wort­li­che und zwei Ordens­schwe­stern), ein Erz­bi­schof der ortho­do­xen Kir­che als Gast und Beob­ach­ter, ein ita­lie­ni­scher Kar­di­nal, der Vor­sit­zen­de der Nor­di­schen Län­der und ein iri­scher Prie­ster, eine jun­ge fran­zö­si­sche Mut­ter, ein Kate­chet Mit­te Dreis­sig aus Mal­ta und die Gene­ral­se­kre­tä­rin der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz. Ein Stuhl bleibt frei für die Stimm­lo­sen, die nicht anwe­send sind.[esf_wordpressimage id=42551][/esf_wordpressimage]

Eine inter­es­san­te Mischung, bun­ter könn­te sie nicht sein:

In die­sen Begeg­nun­gen im Stuhl­kreis wur­den unter uns exi­sten­zi­el­le Geschich­ten geteilt von Krieg und der Sehn­sucht nach Frie­den. Von den Erfah­run­gen mit der Auf­ar­bei­tung der Miss­brauchs­fäl­le in Irland, von der Histo­rie zu den Syn­oden in der Alten Kir­che, über die Anfra­gen zur Frau­en­or­di­na­ti­on, über die Sicht der gegen­wär­ti­gen Kir­che in Kin­der­au­gen bis hin zur Fra­ge nach der Recht­gläu­big­keit, nach dem Guten und dem Bösen, Wahr­heit oder Barmherzigkeit.

Alles kam auf den Tisch, auch Span­nun­gen und Tabu­the­men — sie wur­den als Sor­ge vor­ge­tra­gen und ange­hört. Es war bewe­gend. Und es wur­de rasch klar, dass wir erst am Beginn die­ses Pro­zes­ses ste­hen, in die Schu­he des je ande­ren zu schlüp­fen. Den ersten Schritt sind wir bereits bar­fuss gegangen.

Zurück im Ple­num hör­ten wir uns eini­ge Län­der­be­rich­te zum DKE an, stets 2x3 Minu­ten lang. Aus mei­ner Sicht bemer­kens­wert waren die Voten aus Deutsch­land, Bel­gi­en, Grie­chen­land und Frankreich.

Ein­drück­lich wur­de klar, dass die Län­der Euro­pas eins ums ande­re einen teils völ­lig ande­ren histo­ri­schen und kul­tu­rel­len Hin­ter­grund mit­brin­gen, was die Kir­che vor Ort natür­lich nach­hal­tig präg­te. Die Pro­blem­fel­der sind dem­entspre­chend ver­schie­den. Und doch exi­stie­ren auch Span­nungs­fel­der, die immer wie­der auf­tau­chen, bei­spiels­wei­se die man­gel­haf­te Par­ti­zi­pa­ti­on der Frau in der Kir­che oder die mehr­heit­lich feh­len­de Jugend.

Eini­ge State­ments waren — für unse­re Ohren — rela­tiv nichts­sa­gend. Plötz­lich stand Bischof Bät­zing auf, der Vor­sit­zen­de der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz. Es sei­en so vie­le Miss­brauchs­op­fer zu bekla­gen: «Wo sind sie, wer erhebt die Stim­me für sie?» Stille.

Spä­ter bedan­ken wir uns bei ihm für die­ses muti­ge State­ment. Er ant­wor­te­te beschei­den: «Ich muss­te das auch erst lernen.»

Das abend­li­che Tai­zé­ge­bet mit den bei­den anwe­sen­den Brü­dern war auf­bau­end und ein guter Abschluss des Tages.

Geblie­ben sind mir vie­le ein­drück­li­che Wor­te. Eines ver­ges­se ich nicht:

«From Head to Heart», emp­fahl eine Dele­gier­te: in den schwie­rig­sten Situa­tio­nen so vorzugehen.

Sonn­tag, 5. Febru­ar 2023

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Offi­zi­el­ler Beginn der Kontinentalsynode

Tags­über führ­ten wir vie­le inter­es­san­te Gesprä­che mit Men­schen aus aller Her­ren Län­dern. Etli­che Dele­ga­tio­nen und eini­ge Professor:innen haben wir ken­nen­ge­lernt: Dar­un­ter ist Bel­gi­en hoch­in­ter­es­sant, der zustän­di­ge Kar­di­nal, Jozef de Kesel, schrieb das Buch «Glau­be und Reli­gi­on in einer moder­nen Gesell­schaft». Mit Luxem­burg haben wir uns sofort gut ver­stan­den und einen kol­le­gia­len Umgang gepflegt — und auch viel gelacht.

Schliess­lich ver­brach­ten wir den Nach­mit­tag damit, eini­ge Stun­den lang am Schwei­zer State­ment zu feilen. 

Gegen 18.30 Uhr spa­zier­ten wir ins nahe­ge­le­ge­ne Klo­ster zur Fei­er des Auf­takt­got­tes­dien­stes. Die Kir­che war bre­chend voll. Vie­le, vie­le Bischö­fe, Erz­bi­schö­fe und Kar­di­nä­le zogen ein. Und zwei Mini­stran­ten. Nein, kein Mäd­chen und kei­ne Frau.

Foto­gra­fen knip­sten und TV-Sen­der film­ten, wäh­rend die Eucha­ri­stie­fei­er zele­briert und die Mes­se in Latein gesun­gen und gebe­tet wur­de. Gesang und Musik wah­ren erhebend.

Nach ein­drei­vier­tel Stun­den in der barocken Kir­che war uns so eis­kalt, dass wir tat­säch­lich zit­ter­ten. Die Pre­digt des Pra­ger Erz­bi­schofs ver­moch­te uns, ehr­lich gesagt, nicht beson­ders zu erwär­men… Doch das Evan­ge­li­um umso mehr, es erzähl­te näm­lich das Gleich­nis vom Salz der Erde.

Nach dem Auf­wär­men bega­ben wir uns zum Buf­fet: Abend­essen in diver­ser Kon­stel­la­ti­on. Und um 22 Uhr setz­ten wir uns hin zur End­re­dak­ti­on mit unse­rem Bischof Felix. Bis mor­gens um 01 Uhr haben wir dis­ku­tiert, ein­an­der unse­re Gedan­ken erklärt und die pas­sen­den Wor­te dafür gesucht.

Fei­er­abend und gute Nacht, Schweiz!

Sams­tag, 4. Febru­ar 2023

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Am Nach­mit­tag und Abend vor Beginn der Synode

«Alles wirk­li­che Leben ist Begeg­nung.» M. Buber

Heu­te Nach­mit­tag wur­den wir von Susan­ne Andrea Bir­ke im Namen der römisch-katho­li­sche Arbeits­grup­pe des Euro­päi­schen Forums christ­li­cher LGBT-Grup­pen zu Begeg­nung und Gespräch ins alte Kar­me­li­tin­nen­klo­ster eingeladen.

Wir irr­ten etwas umher und tra­fen zu spät ein. Jemand aber war schon da: Ein ein­zi­ger Bischof hat­te die Ein­la­dung ange­nom­men — dekla­riert als «Pri­vat­per­son». Es ent­wickel­te sich ein ehr­li­ches, tie­fes und gegen­sei­tig wert­schät­zen­des Gespräch: 

«Wir sind kei­ne ‘Gen­der­ideo­lo­gie’, wir sind Menschen. 

Wir sind glau­ben­de Men­schen in die­ser Kir­che, die wir lie­ben. In der uns Wür­den­trä­ger immer wie­der ent­wür­di­gen, aus­schlies­sen und weg­schicken. Weg vom Tisch des Herrn.

In Tsche­chi­en, in der Slo­wa­kei, allen vor­ab in Polen, aber auch in Ungarn, Kroa­ti­en und in ande­ren ost­eu­ro­päi­schen Län­dern bewe­ge sich ein­fach nichts zum Bes­se­ren. Ulla aus Polen erzählt Erfah­rungs­be­rich­te zum Umgang mit quee­ren Men­schen: «Du kommst bes­ser nicht mehr in die Kir­che!» — Es ste­hen uns die Haa­re zu Ber­ge. Ist denn so etwas im Namen Got­tes über­haupt möglich!

«Gott ist grös­ser», sagt Miro leise.

Der Bischof zeigt gros­ses Ver­ständ­nis, schüt­telt immer wie­der betrof­fen den Kopf. 

Die Wür­den­trä­ger müss­ten sich ein­set­zen gegen Kri­mi­na­li­sie­rung und gegen die weit­ver­brei­te­ten Kur­se zur «Hei­lung» von Homo­se­xua­li­tät, die Men­schen voll­ends traumatisiere.

Miki, non­bi­när, aus Deutsch­land, erwähnt, dass etwa 50 Pro­zent der Geweih­ten «zu ihnen gehör­ten» — und Miki sich eine ehr­li­che, der Wahr­heit ver­pflich­te­te Kir­che wünsche.

Prie­ster James aus Eng­land, der bezüg­lich sei­ner Homo­se­xua­li­tät «ehr­lich» gewe­sen sei und nicht mehr die­nen dür­fe, sagt, wer dies alles per­sön­lich mit­er­lebt hat und erlei­den müs­se und immer noch hier sei, der habe ech­tes Poten­zi­al, sei­nen tie­fen Glau­ben wei­ter­zu­ge­ben. Des­sen Spi­ri­tua­li­tät habe die Kraft zur ech­ten Neuevangelisierung.

Der deut­sche Theo­lo­ge Micha­el, zustän­dig in Mün­chen für die Regen­bo­gen­pa­sto­ral, freut sich über die Fort­schrit­te der letz­ten 20 Jah­re. Die ande­ren kön­nen nur stau­nen. War­um ihre Grup­pie­rung nicht als Gäste an der Kon­ti­nen­ta­len Syn­oda­len Ver­samm­lung anwe­send sei? Sie hät­ten kei­ne Ein­la­dung erhalten.

«Wir wün­schen uns Akzep­tanz. Offe­ne Arme. Gott hat uns so geschaf­fen, wie wir sind. Wir möch­ten auch nicht ein­fach gedul­det sein — wir sind Geschenk für die Kir­che, mit all unse­ren Cha­ris­men und Talen­ten», sagt Chris aus Malta.

Die­se Per­sön­lich­kei­ten hören ein­an­der aktiv zu. Immer wie­der beto­nen sie, nicht «laut pro­te­stie­ren» zu wol­len, das wür­de nur noch mehr Abwehr­kräf­te mobi­li­sie­ren. Ihre Inten­ti­on sei, als Men­schen prä­sent zu sein: «Wir wol­len ande­ren in die Augen schau­en — und begeg­nen. Viel­leicht möch­te von den Dele­gier­ten jemand mit uns sprechen.»

Es ist ein rie­si­ger Tisch, rund­her­um sit­zen knapp 20 Christi:innen mit erprob­ter, tie­fer Spi­ri­tua­li­tät, die geblie­ben sind und aus der Kraft des Evan­ge­li­ums leben. Sie wer­den nicht pol­tern. Sie ver­su­chen, «den Bischö­fen die Angst zu neh­men.» Da ist kein Hass, nur Schmerz. Kein Wil­le zur Pro­vo­ka­ti­on. Nur das Samen­korn der Hoffnung.

Ich füh­le mich wohl in die­ser Gemein­schaft. Mehr noch: Ich mag die­se Men­schen. Sie haben uns bei­de, Hele­na Jep­pe­sen und mich, tief beein­druckt. Wir wer­den Miro, Miki, Ulla, Anne, James, Micha­el, Tho­mas und all die ande­ren mit ihren je eige­nen Bio­gra­fien nicht ver­ges­sen. Wir wer­den sie mit­neh­men in die Ver­samm­lung. In Gedan­ken und mit Wor­ten — und im Gebet.

Frei­tag, 3. Febru­ar 2023

Heu­te geht es los. Tat­ja­na Diste­li und Hele­na Jep­pe­sen rei­sen zusam­men mit dem Zug nach Prag. Vier­zehn Stun­den sind sie unter­wegs. Kurz vor der Abfahrt notiert Tat­ja­na Diste­li, was sie weni­ge Näch­te zuvor geträumt hatte.

Im Vor­feld

Der syn­oda­le Traum

Zum aller­er­sten Mal träum­te ich von unse­rer Schwei­zer Dele­ga­ti­on: Wir berei­ten uns in einem hel­len, gros­sen Raum auf die syn­oda­le Ver­samm­lung vor. 

Pau­se.

Aus irgend­ei­nem Grund zieht mich der rie­si­ge Wand­schrank an. Ich öff­ne ihn, und sofort fal­len mir meh­re­re Gegen­stän­de ent­ge­gen: gebrauch­te Klei­der, Taschen, aller­lei Krims­krams. Hopp­la! Ich mache einen Satz nach hin­ten: «Da müs­sen wir jetzt aber mal ziem­lich aufräumen!»

Bischof Felix schaut zu und fragt: «Was wür­dest du aus dem Schrank mit­neh­men, wenn es nur ein ein­zi­ger Gegen­stand sein dürfte?» 

Ohne lan­ge zu über­le­gen sage ich: «Das Herz.»

Er hält kurz inne, lächelt und nickt: «Ja. Das passt.»

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Frei­tag, 3. Febru­ar 2023

Von Auf­bruch und Vor­ur­teil — Got­tes Werk und Teu­fels Beitrag

Auf dem Weg nach Zürich tref­fe ich am Bahn­hof auf eine alte Kol­le­gin. Sie läuft gegen den Strom. Ursprüng­lich stammt sie aus Polen, aber sie lebt schon lan­ge in der Schweiz. Ich rufe: «Hal­lo! Scha­de, kön­nen wir nicht kurz einen Kaf­fee mit­ein­an­der trin­ken — gleich fährt mein Zug.»

Sie winkt ab: «Macht nichts, du gehst ja nach Prag. Damit will ich nichts zu tun haben.»

Ich kon­ster­niert: «Weisst du denn, was da gemacht wird?» Kunst­pau­se. «Man will sich erst ein­mal gegen­sei­tig zuhö­ren und dann den Dia­log pflegen.»

«Jaja. Dazu habe ich eine völ­lig ande­re Mei­nung!», sagt sie mit abweh­ren­der Hand­be­we­gung in mei­ne Richtung.

Hä? Ich ver­ste­he die Welt nicht mehr. Kennt sie mich doch schon ewig. Sie setz­te sich immer gern zu mir, war empa­thisch und zuge­wandt. Die­se unge­wohnt abwei­sen­de — ja aggres­si­ve — Hal­tung kann ich schlicht nicht nachvollziehen.

Auf dem wei­te­ren Weg den­ke ich immer wie­der dar­an zurück. Was habe ich denn getan? Prag? Solch har­te Reak­tio­nen sahen ihr über­haupt nicht ähn­lich. Schwarz und weiss. Kla­re Fron­ten von der ersten Sekun­de an. 

Es liess mir kei­ne Ruhe. Ich frag­te per Whats­App nach. Sie ant­wor­te­te rasch und frei­mü­tig: Der syn­oda­le, nein, ’sui­zi­da­le’ Weg sei das. Die­se Ver­an­stal­tung löse in ihr eine Lawi­ne von Schmerz aus.

Sie bezeich­ne sich als Tra­di­tio­na­li­stin. Leu­te wie sie wür­den nicht nach ihrer Mei­nung gefragt, alle ande­ren aber schon. Sie (!) sei­en treu. Die­se ‘moder­nen’ For­de­run­gen inner­halb der hei­li­gen katho­li­schen Kir­che sei­en des Teu­fels. Man nen­ne die Sün­de nicht mehr beim Namen, wol­le sie ’neu defi­nie­ren’. Dabei sei alles in der Bibel geof­fen­bart, immer gleich­blei­bend, seit 2000 Jahren.

Prag? «Mit Häre­si­en und Lügen gibt es kei­nen Dia­log.» Ihr wür­de die Petrus­bru­der­schaft hel­fen, zu überleben.

Alles klar.

Don­ners­tag, 2. Febru­ar 2023

Am Vor­abend der Abreise

Lie­bes­mahl

Abschieds­es­sen bei mei­ner 91-jäh­ri­gen (evan­ge­lisch-refor­mier­ten) Mum.

Mei­ne Teil­nah­me in Prag wühlt sie auf.

Bevor sie mich ver­ab­schie­det mit einem «Bhüet Di Gott», ver­setzt sie mich in ihre Kind­heit zurück, in ihre Jugend, in ihr Erwachsenenleben:

«Weisst du, Tat­ja­na, als Kind war ich ein sehr gläu­bi­ger Mensch. Mit mei­ner Kind­heits­freun­din ging ich ein­fach mit in den katho­li­schen Reli­gi­ons­un­ter­richt. Ich hat­te mir nichts dabei gedacht. Aber der Pfar­rer schick­te mich weg mit den Wor­ten: “Du gehörst nicht hier­her!”. Ich hat­te es dir schon ein­mal gesagt, mein wun­der­ba­rer Vater war katho­lisch und wur­de exkom­mu­ni­ziert, weil er über den Bach hin­weg im Aar­gau­er Erlins­bach mei­ne refor­mier­te Mama heiratete.

Und ich selbst muss­te ein Papier unter­schrei­ben, dass ich mei­ne eige­nen Kin­der katho­lisch erzie­hen wür­de. Und dann woll­test Du das auch noch studieren.»

Ich schluck­te.

Und ich erin­ner­te mich dar­an, wie sie damals, wäh­rend des Fest­got­tes­dien­stes zum Abschluss des Theo­lo­gie­stu­di­ums mit Bischof Kurt Koch, als ein­zi­ge Per­son in der Bank sit­zen blieb. Noch heu­te sehe ich sie ganz allei­ne da sitzen.

«Mama, es tut mir so leid…!»

Nein. Die für die Kir­che schön­ste und wich­tig­ste Fei­er der Gemein­schaft — und mei­ne Mut­ter fühlt sich mutterseelenallein.

Das hat mir das Herz zerrissen.

Marie-Christine Andres Schürch
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