Die Kirche steht leer – was nun?

Die Kirche steht leer – was nun?

«Umnutzung von Kirchen hat es in allen Epochen immer wieder gegeben. Let­ztlich führt der Weg zu Chris­tus nicht über ein Gebäude!», sagt Felix Gmür, Bischof von Basel, an einem Podi­um zum The­ma Kirchenum­nutzun­gen. Ein Blick auf die Zukun­ft von Kirchge­bäu­den.«The mass is end­ed» heisst eine Fotoausstel­lung, die zurzeit in der Kirche Don Bosco, Basel, zu sehen ist. Noch bis zum 5. März 2016 kön­nen die Bilder des ital­ienis­chen Fotografen Andrea di Mar­ti­no betra­chtet wer­den. Alle Fotos sind qua­dratisch und im Inneren ein­er Kirche aufgenom­men wor­den. Und alle Fotos hal­ten die gle­iche Sich­tachse fest: Vom Hauptein­gang zum Hochchor. Doch damit hören die Gemein­samkeit­en auf, denn in jed­er der Kirchen befind­et sich etwas anderes. Fit­ness-Cen­ter, Muse­um, Moschee oder Pizze­ria – fün­fzig umgenutzte Kirchen hat Andrea di Mar­ti­no in ganz Ital­ien über zehn Jahre hin­weg gesucht, gefun­den und fest­ge­hal­ten. Dass sie in der Kirche Don Bosco aus­gestellt wer­den ist kein Zufall, denn die Zukun­ft von Don Bosco ist eben­falls offen. Ein Podi­um zum The­ma Kirchenum­nutzung und Säku­lar­isierung unter dem Titel «Gott ist aus dem Häuschen» drehte sich denn – ver­ständlicher­weise – zum grossen Teil um Don Bosco und Basel.Finan­zaus­gle­ich ermöglicht Unter­halt Doch wie sieht es im Aar­gau aus? Die Frage nach Kirchenum­nutzun­gen scheint nahe zu liegen – immer­hin ver­liert die Römisch-Katholis­che Kirche stetig Mit­glieder, wenn auch weniger schnell als die Reformierte Lan­deskirche. Eine Anfrage bei Mar­cel Not­ter, dem Gen­er­alsekretär der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche im Aar­gau, ergibt: Das The­ma ist im Blick, doch nicht bren­nend akut. «Per­sön­lich ver­folge ich entsprechende Berichte im In- und Aus­land aufmerk­sam. Und im Rah­men ein­er steten Auf­gabenüber­prü­fung ergibt es Sinn, sich auch mit diesem The­ma immer wieder auseinan­derzuset­zen», erk­lärt Mar­cel Not­ter. An Schu­lun­gen für Ressortchefs Liegen­schaften in Kirchenpfle­gen, für Finanzver­wal­tun­gen und für Finanzkom­mis­sion­s­mit­glieder wür­den Teil­nehmende auf die Notwendigkeit der Pla­nung von Investi­tio­nen und Unter­halt in Liegen­schaften hingewiesen. Wichtig sei die Erstel­lung eines Investi­tions- und Finanz­planes. Doch die Kirchge­mein­den im Aar­gau hät­ten momen­tan die finanziellen Mit­tel, um ihre Kirchge­bäude auch bei geringer Aus­las­tung zu unter­hal­ten. «Es darf nicht vergessen wer­den», so Mar­cel Not­ter, «dass wir bei der Lan­deskirche Aar­gau über einen Finan­zaus­gle­ich ver­fü­gen. Bei grossen Investi­tio­nen erhal­ten Kirchge­mein­den mit einem hohen Steuer­fuss Unter­stützung.»Vorauss­chauend umbauen Ähn­lich äussert sich Luc Hum­bel, Kirchen­rat­spräsi­dent der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche Aar­gau: «Wir haben im Aar­gau keinen so starken Mit­glieder­rück­gang, und wir haben auch keinen so starken Druck, dass Leer­raum schnell anders genutzt wer­den muss, wie er beispiel­sweise in ein­er Stadt wie Basel entste­ht. Ich per­sön­lich habe allerd­ings im Bis­tum einge­bracht, dass man die Mehrfach­nutzung von sakralen Räu­men beleucht­en soll. Nicht aus ein­er Not her­aus son­dern aus der Tugend.» Beim Bis­tum Basel beschäftigt sich die diöze­sane Bau- und Kun­stkom­mis­sion mit Sakral­baut­en, die ren­oviert, um- oder gar neuge­baut wer­den sollen. Die Kom­mis­sion berät darüber hin­aus den Bischof in den Fällen, in denen Sakral­baut­en pro­faniert und für säku­lare Zwecke umgenutzt wer­den sollen. Odo Cam­pono­vo, Präsi­dent der Kom­mis­sion, bestätigt, dass das The­ma Mehrfach­nutzun­gen inten­siv bear­beit­et wird: «Bei Kirchen­ren­o­va­tio­nen von Pfar­rkirchen wird oft eine erweit­erte Nutzung angestrebt, zum Beispiel mehr freier Raum für spezielle Gottes­di­en­ste, freier Raum um den Tauf­stein, Verkleinerung des Raumes für den Gottes­di­enst, Raum für Begeg­nun­gen (Apéro, Café), Kinderecke und ähn­lich­es. Das kann durch entsprechende Gestal­tung des Mobil­iars geschehen oder durch bauliche Verän­derun­gen. In den Pas­toral­räu­men soll­ten übri­gens die Immo­bilien über die eigene Kirchge­meinde hin­aus in den Blick genom­men wer­den. Das Bis­tum emp­fiehlt in den Unter­la­gen zur Bil­dung von Pas­toral­räu­men grund­sät­zlich, sich der Prob­lematik nicht zu ver­schliessen.»Schöft­land als gelun­ge­nes Beispiel Ein gutes Beispiel für eine Kirche, die Mehrfach­nutzung ermöglicht, ist die Pfar­rei Heilige Fam­i­lie in Schöft­land. Kirche und Kirchge­mein­dezen­trum sind eine bauliche Ein­heit: Der Kirchen­raum lässt sich nach Bedarf verklein­ern oder erweit­ern. Die Bestuh­lung ist flex­i­bel, es gibt eine Bühne und eine Küche, im Untergeschoss zahlre­iche Räume für Grup­pe­nar­beit. «Seit bere­its 35 Jahren ist es gelebte Prax­is in Schöft­land, dass die Räum­lichkeit­en mul­ti­funk­tionell genutzt wer­den. Wir zeigen, dass ein Nebeneinan­der von ver­schiede­nen Nutzun­gen des einen Kirchen­raumes möglich und prak­tisch auch han­del­bar ist. Die Nutzung für Gottes­di­en­ste ist zwar dur­chaus eine wesentliche, aber bei weit­em nicht mehr die alleinige Nutzung», erk­lärt Beat Nieder­berg­er, Pfar­reileit­er in Schöft­land und Köl­liken. In Köl­liken ste­ht eine san­fte Ren­o­va­tion der Kirche Mut­ter Gottes an. Das Ziel: eine zeit­gemässe und vari­able Nutzung für ver­schiedene kirch­liche und kul­turelle Anlässe. Für Beat Nieder­berg­er ist das eine Investi­tion in die näch­sten 40 Jahre: «Man tut gut daran, zu über­legen, was in diesem Zeitraum auf einen zukom­men kön­nte. Die näch­sten Jahrzehnte wer­den Jahrzehnte der Men­schen im Prozess des Alterns sein, behin­derten­gerechte, roll­stuhlgängige Räume sind also ein Muss. 90 Prozent der Nutzung des Pfar­reizen­trums Köl­liken wird weit­er­hin durch die Kat­e­ch­ese geschehen. Überdies wer­den wir in Köl­liken Gottes­di­en­ste feiern und erhal­ten dafür einen flex­i­bel unterteil­baren sakralen Raum». Dieser könne auch Raum für öku­menis­che, inter­re­ligiöse oder kul­turelle Ver­anstal­tun­gen wie Konz­erte oder Lesun­gen oder Vorträge oder The­ater bieten. Ver­anstal­tun­gen soll­ten allerd­ings zum spir­ituellen Charak­ter des Kirchen­raumes passen; dieser werde bewusst erhal­ten.Mehr als ein Gebäude In welchem Rah­men sich die Verän­derun­gen an Kirchenge­bäu­den let­ztlich abspie­len, ob san­ft umge­baut oder pro­faniert, umgenutzt oder gar verkauft, sie rühren immer an tiefge­hende Emo­tio­nen. Am Podi­um in Basel macht­en das mehrere Men­schen in Bezug auf Don Bosco deut­lich. Tauf‑, Erstkommunion‑, Firm- oder Hochzeits­feiern, ob die jew­eils eigene oder die der Kinder und Enkel: Es  beste­hen starke Bande zwis­chen den Kirchge­mein­demit­gliedern und «ihren» Kirchen. Odo Cam­pono­vo ist deshalb der Mei­n­ung, dass die Gläu­bi­gen vor Ort unbe­d­ingt in den Prozess der Verän­derung mit ein­be­zo­gen wer­den müssen.
Anne Burgmer
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