Café «Fohlenweid»

Marie-Eve Morf und Jamie Armas begleit­en im Auf­trag der Aar­gauer Lan­deskirchen Flüchtlinge im Bun­de­sa­sylzen­trum Brem­garten. Mit Café-Betrieb jeden Mittwoch bieten die bei­den Seel­sor­gen­den den Flüchtlin­gen einen Tape­ten­wech­sel und der ein­heimis­chen Bevölkerung eine Kon­tak­t­möglichkeit.Das Durcheinan­der im Saal kön­nte die Ori­en­tierungslosigkeit nicht bess­er zum Aus­druck brin­gen, zu der die Flüchtlingssi­t­u­a­tion in den ver­gan­genen Monat­en geführt hat. Das Bun­de­sa­sylzen­trum von Brem­garten platzt aus allen Näht­en, das merkt man auch in einem Gebäude unweit der Asy­lun­terkun­ft, wo jeden Mittwochnach­mit­tag für Flüchtlinge und Inter­essierte aus der Bevölkerung ein Café unter­hal­ten wird. Man find­et das Haus mit dem spitzen Dach nicht auf Anhieb – es trägt kein Schild. Und die Beschilderung «Fohlen­weid» führt zu einem Reit­er­hof in der Nähe und somit ins Leere.Flucht vor den Tal­iban «Eigentlich war dieses Café dazu gedacht, den Kon­takt zwis­chen Flüchtlin­gen und der ein­heimis­chen Bevölkerung zu fördern», erk­lärt mir die Seel­sorg­erin Marie-Eve Morf. Doch es zeigt sich, dass mit Einkehr der kalten Jahreszeit der Nach­mit­tag vor allem den Asyl­be­wer­bern als willkommen­er Tape­ten­wech­sel dient. Jafari N. zum Beispiel. Zusam­men mit ihren drei Schwest­ern und deren Kindern war die junge Frau drei Monate unter­wegs. Aktuell sind in der Unterkun­ft vor allem Afgha­nen unterge­bracht. Der neu auf­flam­mende Ter­ror der Tal­iban hat viele Men­schen in Afghanistan in die Flucht geschla­gen. Auch Fam­i­lien mit Kleinkindern sind gekom­men und haben für die Reise in die Schweiz viel Geld bezahlt. Wer arm ist, kann sich eine Flucht gar nicht leis­ten und bleibt vor Ort seinem Schick­sal über­lassen.Auf­trag der Kirche Der katholis­che Seel­sorg­er Jaime Armas unter­stützt seine reformierte Kol­le­gin Marie-Eve Morf. Die bei­den haben von den drei Aar­gauer Lan­deskirchen 90 Stel­len­prozente erhal­ten, um Asyl­be­wer­bende so gut es geht in ihrer Sit­u­a­tion zu begleit­en und in essen­tiellen Belan­gen zu unter­stützen. «Wir erk­lären den Men­schen, was mit ihnen hier passiert, ver­suchen her­auszufind­en, was ihnen helfen kön­nte und mobil­isieren Men­schen aus der Umge­bung für Sach­spenden wie Spielzeug oder Klei­dung», erk­lärt Jaime Armas.Respek­tvoll behan­delt Etwa fün­f­tausend Franken hat Sar­dar I. für die Reise in die Schweiz gebraucht. Seine Eltern haben das Geld organ­isiert, um Sar­dar ein anderes Leben zu ermöglichen. Ein Leben ohne Tal­iban, «die willkür­lich foltern und töten», wie der 18-Jährige erk­lärt. Was aus seinen Eltern gewor­den sei, weiss Sar­dar nicht. Der junge Mann spricht gebrochen Englisch. Auf seine Flucht ange­sprochen, ver­fällt Sar­dar in hek­tis­ches Erzählen. Seit gut zwei Monat­en sei er in der Schweiz. Wie er es genau hier­her schaffte, ver­mag der Afghane nicht mehr genau zu rekon­stru­ieren. «Teils wur­den wir von Schlep­pern in Box­en eingeschlossen, so dass wir uns nicht mehr ori­en­tieren kon­nten.» Neun Wochen etwa sei er unter­wegs gewe­sen. Eine gefahrvolle Reise über Pak­istan, Iran und Griechen­land. In Wäldern ohne Ori­en­tierung und Essen. Immer wieder aufge­grif­f­en von Mil­itär und bewaffneter Polizei. Immer wieder habe er alle Hoff­nung ver­loren. Im Zug auf dem Weg in die Schweiz, habe er sich – als man ihn auf­griff – zunächst auch gefürchtet. Dann aber habe er nach und nach real­isiert, dass hier ein sicher­er Ort sei, wo Flüchtlinge respek­tvoll behan­delt wer­den.Erschreck­ende Schick­sale Geschicht­en wie jene von Sar­dar I. kom­men Marie-Eve Morf und Jaime Armas immer wieder zu Ohren. Die bei­den bericht­en von soma­lis­chen Frauen, die auf sich allein gestellt mit ihren Kleinkindern geflüchtet sind. Von Jugendlichen im Alter von 12, 13 Jahren, die es ohne erwach­sene Begleitung schafften. Die bei­den Seel­sor­gen­den wis­sen aus Erzäh­lun­gen von Ban­den, die in der lybis­chen Wüste Flüchtlin­gen auflauern, sie töten und für den Organ­han­del auswei­den. Andere Geflo­hene wiederum bekla­gen Ver­luste: Ange­hörige und Fre­unde. Oder sie hadern – so wie jen­er junge Mann, der auf der Flucht in Ital­ien stran­dete und plöt­zlich keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich zu pros­ti­tu­ieren, um über die Run­den zu kom­men.Gute Gründe mit Kindern Man­fred Stre­ich und Sil­via Gasser gehören zu den weni­gen Ein­heimis­chen, die den Weg ins Café gefun­den haben. Er ist Präsi­dent der reformierten Kirchge­meinde Brem­garten, sie ehre­namtliche Kirchenpflegerin. «Es ist schwierig abzuschätzen, wer wirk­lich an Leib und Leben bedro­ht war, und wer ein­fach mit der Aus­sicht auf ein besseres Leben hier­her kam», meint Sil­via Gasser. Ihr tun aber die Kinder leid. «Diejeni­gen, die mit kleinen Kindern gekom­men sind, die machen das nicht ein­fach so. Die haben gute Gründe», ist die Kirchenpflegerin überzeugt. Wir blick­en in die Runde, beobacht­en die vie­len Kinder, die miteinan­der spie­len. Gemäss Angaben von Maire-Eve Morf und Jaime Armas leben aktuell etwa 20 Fam­i­lien mit je mehreren Kindern im Asylzen­trum –allein­erziehende Müt­ter nicht ein­gerech­net. Den meis­ten Kindern sieht man nicht an, was sie durchgemacht haben, anderen schon. Jaime Armas und Marie-Eve Morf ste­hen in ihrem Bemühen, stets aus dem Moment her­aus zu spüren, was jet­zt wichtig ist, nicht allein da. Etwa fünf Frei­willige unter­stützen die bei­den. «Weit­er kom­men fast jeden Mittwoch jün­gere und ältere Men­schen aus der Bevölkerung zu Besuch und brin­gen Kuchen und was son­st noch gebraucht wer­den kann. Zum Beispiel Wolle, Reise­taschen oder Kof­fer», erk­lärt Marie-Eve Morf.Über­fordert bei Abweisung Unter­stützung in der Bevölkerung mobil­isieren, Kon­takt hal­ten zu den Ein­heimis­chen und den Flüchtlin­gen. Das ist der Arbeit­sall­t­ag von Marie-Eve Morf und Jaime Armas. Eine harte Arbeit, die immer wieder Hoff­nun­gen zer­stört. «Wir müssen den Men­schen erk­lären, dass ihr Asylge­such unter Umstän­den abgewiesen wird. Und jenen, die einen neg­a­tiv­en Entscheid erhal­ten haben, müssen wir auf ihren weit­eren Weg vor­bere­it­en», erk­lärt Jaime Armas. «Was, machst du, wenn du wieder in Ital­ien bist? Wovon willst du leben, wenn du hier unter­tauchen willst?» Die Men­schen, so beschreiben es die bei­den Seel­sorg­er, sind mit ihrer Sit­u­a­tion meist über­fordert. «Eine Zukun­ft pla­nen, das kön­nen diese Leute nicht», meint Marie-Eve Morf. «Wir hal­ten die Betrof­fe­nen an, die Träume klein zu hal­ten, doch die Hoff­nung auf ein Leben in Sicher­heit und Frieden nie zu ver­lieren.» Offen für alle Jeden Mittwochnach­mit­tag von 14 bis 16 Uhr: Kaf­fee, Tee und Gebäck für Flüchtlinge, Ein­heimis­che und auswär­tige Inter­essierte im Café «Fohlen­weid» direkt neben dem Bun­de­sa­sylzen­trum.
Andreas C. Müller
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