Essen ist nicht Wurst

Essen ist nicht Wurst

  • 170 Abon­nentin­nen und Abon­nen­ten betreiben in Wölflinswil eine sol­i­darische Land­wirtschaft.
  • Dort pro­duzieren sie gemein­sam ihr Bio­gemüse – region­al und ohne Food Waste.
  • Damit leis­ten sie einen Beitrag zur Erre­ichung der Kli­maziele und helfen den Men­schen im glob­alen Süden.

«Diese Liste ist heilig», sagt Bar­bara. Auf ihr ist ver­merkt, wie viel von welchem Gemüse das Abpack­team in die Plas­tikkörbe pack­en muss. 800 Gramm Ran­den bekom­men die grossen Abos und 400 Gramm die kleinen. Heute gibt es auch Peter­silien­wurzel, Rüe­bli, Zwiebeln, Süsskartof­feln, Lauch und Salat für die 130 Genossen­schaf­terin­nen und Genossen­schafter der sol­i­darischen Land­wirtschaft Garten­Berg. Bar­bara, Ruth und Gra­ziel­la bilden das Abpack­team. Seit halb acht arbeit­en die Pen­sionärin­nen im Folien­tun­nel neben dem Altenberghof ob Wölflinswil. Die ersten rund 70 Körbe müssen um halb zehn parat sein, dann kommt Moni und fährt sie in die Depots. Diese sind an ver­schiede­nen Orten im Frick­tal, in Küt­ti­gen, Buchs und an drei Stan­dorten in Aarau.

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Neue Generation – neue Ideen


Ökumenische Kampagne

Jeder Beitrag zählt!

«Überkon­sum ver­schärft den Kli­mawan­del. Das bedro­ht die Lebens­be­din­gun­gen im Süden. Weniger ist mehr. Übernehmen wir zusam­men Ver­ant­wor­tung. Wenn wir jet­zt gemein­sam han­deln, kön­nen wir das 1,5‑Grad-Ziel noch schaf­fen», schreiben die Hil­f­swerke HEKS und Fas­te­nak­tion in ihrem Aufruf zur Öku­menis­chen Kam­pagne 2024. Diese schliesst den vier­jähri­gen Zyk­lus zum The­ma «Klim­agerechtigkeit» ab und ruft dazu auf, mit allen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln unseren CO2-Ausstoss mass­ge­blich zu ver­ringern.

Hören Sie dazu den Pod­cast «Laut + Leis» von kath.ch mit Bernd Nilles von Fas­te­nak­tion.

Die sol­i­darische Land­wirtschaft auf dem Altenberg ist noch jung. Ent­standen ist sie während und auch ein biss­chen dank Coro­na. «Das Bedürf­nis der Men­schen, draussen zu sein, ein­er sin­nvollen Tätigkeit nachzuge­hen und sich gesund zu ernähren, war während der Pan­demie gross und hat unser­er Idee zum Erfolg ver­holfen», sagt Irene. Das Ehep­aar Irene und Fabio Tan­ner hat den Hof von Fabios Eltern 2017 über­nom­men, auf biol­o­gis­che Land­wirtschaft umgestellt und ver­schiedene Pro­jek­te geprüft, um den Hof weit­erzuen­twick­eln. «Wir woll­ten unseren Hof beleben, für andere Men­schen zugänglich machen», sagt Irene, «wir sind nicht so gern allein.» Im Juli 2020 wurde die Genossen­schaft gegrün­det und die Stelle für eine Gemüse­fachkraft aus­geschrieben. Die Genossen­schaft pachtet gut eine Hek­tare Land vom Altenberghof, auf der sie Gemüse anbaut. Neben den Kosten für das Gemüseabo bezahlen die Genossen­schaf­terin­nen und Genossen­schafter einen Genossen­schaft­san­teil und verpflicht­en sich, min­destens acht halbe Tage im Gemüsean­bau mitzuar­beit­en. Arbeit gibt es auf dem Feld beim Jäten, beim Ern­ten oder beim Abpack­en. An den Aktion­sta­gen, die jew­eils am Sam­stag stat­tfind­en, wer­den ausser­dem viele andere Arbeit­en angepackt, bei denen oft auch die Kinder mithelfen kön­nen.

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Gemeinsam eigenes Gemüse

Gra­ziel­la schreibt sich immer fürs Abpack­en ein. «Eigentlich hätte ich gern einen eige­nen Garten, aber meine Hüfte macht da nicht mit. Dank der sol­i­darischen Land­wirtschaft kann ich doch einen Garten haben», sagt die 65-Jährige. Sie sei in ein­er Fam­i­lie mit wenig Geld aufgewach­sen, nur für die Buben habe es damals Fleisch zu essen gegeben. Als auch sie hätte Fleisch essen kön­nen, habe sie gar keine Lust mehr darauf gehabt. Heute ist sie überzeugte Veg­e­tari­erin. Sie teilt sich das Gemüseabo mit ein­er Kol­le­gin. Das Gemüse für die erste Depot-Tour ist in die Körbe verteilt, als plöt­zlich Aufre­gung entste­ht. Moni fährt zum ersten Mal mit dem neuen Bus aus, für den Fabio aus Schaltafeln ein Gestellt gebaut hat, um die Körbe zu stapeln. «Wenn man weiss, wie es geht, ist die Instal­la­tion ein­fach», sagt Fabio, während er die Frauen anleit­et.

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Freundschaften schliessen

Es gibt mehr Frauen als Män­ner, die in der Solawi Garten­Berg mitar­beit­en. Bar­bara ist eine beson­ders Engagierte, sie hat die Koor­di­na­tion des Abpack­ens mit Ruth zusam­men über­nom­men. Wenn jemand fehlt, organ­isieren sie sich untere­inan­der. «Das Beste an Garten­Berg ist, dass ich hier Fre­und­schaften schliessen kann», sagt Bar­bara. Sie habe Ruth beim Abpack­en ken­nen­gel­ernt und hier träfen sie sich nun fast wöchentlich. Wenn sie nicht gemein­sam abpack­en, tre­f­fen sie sich zum Kaf­fee. Bar­bara engagiert sich auch bei der Organ­i­sa­tion «Tis­chlein deck dich». Dort sieht sie, wie viele Nahrungsmit­tel in der Schweiz übrig bleiben. In der Solawi gibt es in der Pro­duk­tion keinen Food Waste (Lebens­mit­telver­schwen­dung). Auch die krum­men Rüe­bli find­en ihren Weg in den Gemüseko­rb. Bar­bara find­et es wichtig, dass das Gemüse aus der Region kommt. Je nach Sai­son gebe es dann halt nicht immer jedes Gemüse. Him­beeren aus Peru in die Schweiz zu fliegen, find­et sie unnötig. Sie wolle aber nicht mit erhoben­em Zeigefin­ger den Men­schen sagen, was sie essen sollen, son­dern mit gutem Beispiel vor­ange­hen. Darum engagiere sie sich in der sol­i­darischen Land­wirtschaft.


Solidarische Landwirtschaft

Sol­i­darische Land­wirtschaft (Solawi) wird auch als regionale Ver­trags­land­wirtschaft beze­ich­net. Dies bedeutet, dass Land­wirtin­nen und Kon­sumenten direkt zusam­me­nar­beit­en. Sie bes­tim­men gemein­sam, was pro­duziert wird. Dadurch ent­fällt die Ver­mark­tung. Ver­ant­wor­tung und Risiken wer­den gemein­sam getra­gen. Die Kon­sumentin­nen, die sich meist zu ein­er Genossen­schaft zusam­men­schliessen, bezahlen nicht die Pro­duk­te, son­dern den Betrieb. Das macht die Solawi unab­hängig von Mark­tzwän­gen und ermöglicht eine gute land­wirtschaftliche Prax­is, die den Boden frucht­bar erhält und bedarf­sori­en­tiert wirtschaftet. Sol­i­darische Land­wirtschaft gibt es in der Schweiz seit den 1970er-Jahren. Aktuell gibt es schweizweit rund 40 Betriebe, 30 davon in der Romandie.

Die Zukunft der Landwirtschaft

Bevor die Körbe für die zweite Depot-Tour vor­bere­it­et wer­den, gibt es eine Pause an der Wärme. Gra­ziel­la hat Kaf­fee gemacht und Ruth hat einen Kuchen mit­ge­bracht. Mit am Tisch sitzt auch Lau­ra. Sie arbeit­et als Garten­fachkraft für die Genossen­schaft. Die 34-Jährige hat bere­its ihre Aus­bil­dung in ein­er sol­i­darischen Land­wirtschaft absolviert und danach für einen pri­vat­en Betrieb gear­beit­et. «Meine Moti­va­tion, als schlecht bezahlte Gemüsegärt­ner­in für den Gewinn meines Chefs zu arbeit­en, wurde immer klein­er», sagt Lau­ra. Darum hat sie sich auf die Stelle als Gemüse­fachkraft von Garten­Berg bewor­ben. Für die Arbeit in der sol­i­darischen Land­wirtschaft erhalte sie Wertschätzung der Genossen­schaf­terin­nen und Genossen­schafter und erlebe, wie sie sich am Gemüse freuen. Die Ver­ant­wor­tung für den Betrieb verteile sich auf viele Schul­tern und sie sei nicht immer alleine auf dem Feld. Lau­ra lernt bei ihrer Arbeit immer wieder neue Men­schen ken­nen. Es sei schön zu erleben, was gemein­sam möglich sei. «Für mich ist die sol­i­darische Land­wirtschaft die Zukun­ft», sagt Lau­ra.

Das Abpack­team macht sich wieder an die Arbeit und bere­it­et die Gemüsekörbe für die zweite Tour vor. Bar­bara und Ruth prüfen zu zweit die Namenss­childer auf den Kör­ben. Ruth hat­te einen eige­nen Garten, den sie zu­gunsten der sol­i­darischen Land­wirtschaft aufgegeben hat. Sie zieht nur noch spezielle Tomaten­sorten, deren Samen sie extra aus Deutsch­land holt. Im Rest des Gartens hat sie Stau­den für die Bienen gepflanzt. «Der Garten gehört jet­zt den Bienen», sagt Ruth und muss dann mit Bar­bara weit­er kon­trol­lieren, denn bald kommt Moni für die zweite Tour.

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Eva Meienberg
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