Neue Studie zeigt: Kirchen unter Druck

Neue Studie zeigt: Kirchen unter Druck

  • Den christlichen Kirchen weht in kan­tonalen Par­la­menten ein rauer Wind ent­ge­gen. Nicht bess­er erge­ht es dem Islam. Das zeigt eine neue Studie, die ins­ge­samt 140 par­la­men­tarische Vorstösse in 15 repräsen­ta­tiv aus­gewählten Kan­to­nen unter­sucht hat.
  • Allein die SVP konzen­tri­ert sich in 33 von 48 poli­tis­chen Vorstössen auf den Islam.
  • Bei Vorstössen, welche die christlichen Kirchen betr­e­f­fen, geht es vor allem um die Kirchen­s­teuern und die Feiertagsregelung, aber auch um Tren­nung von Kirche und Staat.
 Die Vorstösse von Poli­tik­ern zum The­ma Reli­gion seien von Inter­esse. Sie macht­en gut sicht­bar, was Leg­isla­tivpoli­tik­er und ‑poli­tik­erin­nen beschäftigt, schreiben die Autoren ein­er neuen Studie des Freiburg­er Insti­tuts für Reli­gion­srecht. Die Unter­suchung nimmt jedoch nur die kan­tonale Ebene unter die Lupe, weil gemäss Bun­desver­fas­sung die Kan­tone für die Regelung des Ver­hält­niss­es zwis­chen Staat und Kirche zuständig sind.

SVP mit den meisten Vorstössen zu Islam und Christentum

Unter­sucht haben Max Ammann und René Pahud de Mor­tanges vom Freiburg­er Insti­tuts für Reli­gion­srecht ins­ge­samt 140 Vorstösse in 15 Kan­to­nen, die zwis­chen Jan­u­ar 2010 und Mai 2018 ein­gere­icht wur­den. Jed­er Vorstoss wurde der­jeni­gen Reli­gion zuge­ord­net, mit der er sich vor­rangig befasste.Ein quan­ti­ta­tiv­er Überblick zeigt, dass sich die Vorstösse mehrheitlich auf den Islam und die christlichen Kirchen beziehen. Andere Reli­gion­s­ge­mein­schaften oder Sek­ten wür­den «nur vere­inzelt» the­ma­tisiert, so die Studie mit dem Titel «Reli­gion in der poli­tis­chen Are­na». 81 Vorstösse (zir­ka 60 Prozent) befassen sich mit dem Islam und 42 (30 Prozent) mit dem Chris­ten­tum.Die Vorstösse stam­men von Poli­tik­ern aus 16 ver­schiede­nen Parteien. Mehr als zwei Drit­tel der Vorstösse gehen indes auf das Kon­to der vier Bun­desratsparteien. Am aktivsten waren Vertreter der SVP — sowohl bei den Vorstössen zum Islam (33 von 81) als auch bei den­jeni­gen zum Chris­ten­tum (10 von 42). «Die SVP ist damit zweifel­los der stärk­ste Treiber hin­ter der poli­tis­chen Diskus­sion rund um Reli­gion. Dabei set­zt sie den Fokus klar auf den Islam, auf welchen sie immer­hin 33 ihrer ins­ge­samt 48 Vorstösse aus­richtet», heisst es in der Studie.

Kirchen an mehreren Fronten unter Druck

Die Autoren haben auch unter­sucht, welche The­men in den Vorstössen zum Chris­ten­tum und zum Islam behan­delt wer­den. Bei den­jeni­gen zum Chris­ten­tum dominiere laut Ammann und Pahud de Mor­tanges klar das The­ma Kirchen­fi­nanzierung inklu­sive Kirchen­s­teuer. Aber auch die religiöse Neu­tral­ität des Staates, die Feiertage und der Reli­gion­sun­ter­richt taucht­en mehrfach auf.Über das Faz­it der Autoren dürften sich die Kirchen kaum freuen: «Den Kirchen bläst seit­ens der Poli­tik ein zunehmend stärk­er wer­den­der ‹säku­lar­er› Wind ent­ge­gen. Mit­glieder kan­tonaler Leg­isla­tiv­en set­zten sich – zumin­d­est in Vorstössen – nur sel­ten direkt für die Kirchen ein.» Im Gegen­teil werde der rechtliche und gesellschaftliche Sta­tus der Kirchen «meis­tens unter Druck geset­zt». Und dies an mehreren Fron­ten, wie die Reli­gion­srecht­sex­perten fest­stellen.

Kirchensteuern für juristische Personen in Frage gestellt

Dies gilt ins­beson­dere für den Bere­ich der Finanzen. «Die Motio­nen lassen ver­muten, dass der Druck auf die finanzielle Unter­stützung der Kirchen durch die Kan­tone und auf die Kirchen­s­teuer juris­tis­ch­er Per­so­n­en anhal­ten wird, und das nicht nur durch Frei­denker, die sich als dezi­dierte Laizis­ten ver­ste­hen.»Die schwindende Tol­er­anz für kirch­liche Priv­i­legien oder Son­der­regelun­gen zeigt sich laut den Autoren auch in anderen Bere­ichen. Etwa dann, wenn im Tessin der Umstand kri­tisiert wird, dass der Bischof bei einem Strafver­fahren gegen einen Priester vor­a­bin­formiert wird. Oder wenn Tanz- und Ver­anstal­tungsver­bote an hohen Feierta­gen in Frage gestellt wer­den.

Misstrauen gegenüber islamischen Institutionen

Neb­st den Vorstössen, die das Chris­ten­tum und die Kirchen unter Druck set­zen, haben die Autoren aber auch Vorstösse iden­ti­fiziert, die sich für die Präsenz christlich­er Sym­bole im öffentlichen Raum aussprechen. «Das Chris­ten­tum, das hier vertei­digt wird, ste­ht in etwas dif­fuser Form für die abendländis­che Kul­tur und die west­lichen Werte, welche angesichts der ver­stärk­ten Präsenz nichtchristlich­er Migranten gewahrt wer­den soll.»Beim Islam, «in der poli­tis­chen Are­na die umstrit­ten­ste der Reli­gion­s­ge­mein­schaften», haben die Autoren fünf Schlüs­selthe­men aus­gemacht: Ver­mum­mungsver­bote und Klei­der­vorschriften, öffentliche Anerken­nung, islamis­che Insti­tu­tio­nen, eine Wert­ede­bat­te sowie Radikalisierung und Ter­ror.Bei der Forderung nach einem Ver­mum­mungsver­bot werde in der Regel «mit hiesi­gen Grundw­erten» argu­men­tiert, gegen welche die Bur­ka ver­stosse, schreiben Ammann und Pahud de Mor­tanges. Gehe es um islamis­che Insti­tu­tio­nen, sei der Ton der Vorstösse «durchge­hend kri­tisch». Die analysierten Vorstösse the­ma­tisierten unter anderem Fried­höfe, Kindergärten, Kul­turzen­tren und Gebet­sräume. Regelmäs­sig befürchteten hier die Poli­tik­er «eine Unter­wan­derung durch religiöse Fun­da­men­tal­is­ten und Fun­da­men­tal­istin­nen und die Bil­dung ein­er mus­lim­is­chen Par­al­lelge­sellschaft».

Angst um die «abendländische Kultur»

Ein Grossteil der Vorstösse sei «sehr kri­tisch gegenüber dem Islam», stellen die Experten schliesslich fest. Dabei finde die Diskus­sion auf zwei ver­schiede­nen Ebe­nen statt. «Beim ersten The­menkom­plex geht es darum, ob der Islam in das beste­hende reli­gionsver­fas­sungsrechtliche Sys­tem inte­gri­ert wer­den soll, beziehungsweise wie dieses angepasst wer­den soll.» Das heisst, ob islamis­che Reli­gion­s­ge­mein­schaften von Kan­to­nen öffentlich-rechtlich anerkan­nt wer­den sollen.Eine zweite Diskus­sion drehe sich um die Frage, «was Mus­lime in der Schweiz unter Beru­fung auf die Reli­gions­frei­heit dür­fen und was nicht». Hier taucht nun wieder die abendländis­che Kul­tur auf. Denn: «Als poli­tis­ches Kri­teri­um wird (…) nicht der ver­fas­sungsmäs­sig garantierte Schutzbere­ich von Artikel 15 Bun­desver­fas­sung (Artikel, der die Reli­gions­frei­heit gewährleis­tet, die Redak­tion) genom­men, son­dern eine soge­nan­nte hiesige, abendländis­che Kul­tur.» Diese müsse geschützt und durchge­set­zt wer­den. Was das heisst, über­set­zen Ammann und Pahud de Mor­tanges so: Die abendländis­che Kul­tur darf durch den Islam wed­er zurückge­drängt noch verän­dert wer­den, und es wer­den keine Par­al­lelge­sellschaften akzep­tiert.

Konflikt: Abbau gegen Erhalt

Aus Sicht der Autoren wer­den in den Vorstössen zwei ver­schiedene poli­tis­che Agen­den sicht­bar, zwei unter­schiedliche poli­tis­che Hal­tun­gen im Umgang mit Reli­gion­s­ge­mein­schaften. «Ein offen­siv­er, auf Abbau bedachter poli­tis­ch­er Ansatz übt Druck auf die anerkan­nten Kirchen und ihre Priv­i­legien aus.» Und ein «ten­den­ziell defen­siv­er, auf Erhalt bedachter poli­tis­ch­er Ansatz beste­ht ander­er­seits bezüglich neuer­er, nichtchristlich­er Reli­gion­s­ge­mein­schaften und beson­ders dem Islam». Die bei­den Ansätze reagierten auf unter­schiedliche gesellschaftliche Entwick­lun­gen, schreiben Ammann und Pahud de Mor­tanges: auf die Säku­lar­isierung und die religiöse Plu­ral­isierung, die sich mit der Ein­wan­derung ergibt.Die Autoren fra­gen sich abschliessend, was dies für das Reli­gionsver­fas­sungsrecht bedeutet, also die staatlichen Nor­men, die sich mit Reli­gion­s­ge­mein­schaften befassen. Sie stellen fest, dass die poli­tis­chen Antworten auf die bei­den gesellschaftlichen Entwick­lun­gen unter­schiedliche Teile des Reli­gionsver­fas­sungsrechts «in divergierende Rich­tun­gen» zögen. «Das Reli­gionsver­fas­sungsrecht dro­ht damit unsys­tem­a­tis­ch­er und auf die Länge vielle­icht teil­weise dys­funk­tion­al zu wer­den», befürcht­en sie.
Andreas C. Müller
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