Wie Kanu fahren auf dem Wildwasser

Wie Kanu fahren auf dem Wildwasser

  • Die Car­i­tas Aar­gau hat eine neue Präsi­dentin. Elis­a­beth Bur­gen­er hat das Prä­sid­i­um von Beat Nieder­berg­er über­nom­men.
  • Der Gemein­deleit­er der katholis­chen Pfar­rei Schöft­land hat das Amt 14 Jahre lang aus­geübt. In dieser Zeit ist Car­i­tas Aar­gau enorm gewach­sen.
  • Im Inter­view spricht der abtre­tende Präsi­dent über seine Amt­szeit, die alles andere als gemäch­lich ver­lief.

Beat Nieder­berg­er, Sie waren 14 Jahre lang Präsi­dent von Car­i­tas Aar­gau. Wie hat sich Car­i­tas Aar­gau während Ihrer Amt­szeit entwick­elt?
Beat Nieder­berg­er: Car­i­tas Aar­gau ist in den let­zten Jahren gewaltig gewach­sen. Das zeigen die Zahlen: der Umsatz ist von 3 auf 9 Mil­lio­nen Franken gestiegen. Die Anzahl Mitar­bei­t­erin­nen und Mitar­beit­er ist auf 100 gestiegen, Car­i­tas Aar­gau umfasst aktuell 60 Vol­lzeit­stellen.

Welch­es sind die Gründe für dieses Wach­s­tum?
Der Haupt­grund ist die steigende Zahl der Geflüchteten. Car­i­tas Aar­gau übern­immt die Flüchtlings­be­treu­ung für mehrere poli­tis­che Gemein­den, da hat die Arbeit enorm zugenom­men. Der zweite Grund ist der Auf­bau der Kirch­lich-Regionalen Sozial­dien­ste KRSD an einzel­nen Stan­dorten, der in Zusam­me­nar­beit mit der Lan­deskirche erfol­gt ist. Die KRSD hat Car­i­tas Aar­gau von Grund auf aufge­baut. Die Sozialar­bei­t­en­den der Ander­ssprachi­gen-Mis­sio­nen wur­den in die KRSD inte­gri­ert und bieten dort Beratung auf Ital­ienisch, Por­tugiesisch, Spanisch, Kroat­isch und Alban­isch an.
Der näch­ste Wach­s­tumss­chub kam im Früh­ling 2022 mit Beginn des Ukrainekriegs. Zehn Mitar­bei­t­ende sind mit der Betreu­ung der Schutz­suchen­den aus der Ukraine beschäftigt.

Wechsel in Vorstand und Präsidium

Die Mit­gliederver­samm­lung hat am 23. Novem­ber 2023 Elis­a­beth Bur­gen­er zur neuen Präsi­dentin des Vere­ins Car­i­tas Aar­gau gewählt. Elis­a­beth Bur­gen­er tritt per 1. Dezem­ber 2023 die Nach­folge von Beat Nieder­berg­er an, der Car­i­tas Aar­gau 14 Jahre lang vor­stand. Zudem hat die Mit­gliederver­samm­lung mit Dorothee Fis­ch­er ein neues Vor­standsmit­glied und Ani­ta Berg­er als Vize-Präsi­dentin gewählt. Die übri­gen Vor­standsmit­glieder Ste­fan Her­trampf, Maria Pia Scholl, Lydia Spuler und Alexan­dra Win­kler wur­den in ihrem Amt bestätigt.
Der abtre­tende Präsi­dent Beat Nieder­berg­er wurde her­zlich ver­ab­schiedet und geehrt.

Welche Kon­se­quen­zen hat­te dieses Wach­s­tum?
Das grosse Wach­s­tum hat vieles verän­dert. Zum Beispiel in der Betrieb­sat­mo­sphäre, wo vor ein paar Jahren noch jed­er jeden per­sön­lich kan­nte. Das finanzielle Wach­s­tum war immer auch ein Wag­nis: Wir müssen auch auf sink­ende Fal­lzahlen vor­bere­it­et sein und reagieren kön­nen. Das bedeutet, dass wir manch­mal auch Mitar­bei­t­ende ent­lassen müssen.

Sowohl steigende als auch sink­ende Fal­lzahlen stellen also die Car­i­tas vor Her­aus­forderun­gen.
Ja. Es ist eine stete Her­aus­forderung, sowohl auf die aktuellen Gegeben­heit­en einzuge­hen, als auch eine solide Arbeit­ge­berin zu sein. Die Flex­i­bil­ität der Mitar­bei­t­en­den hat es immer wieder gebraucht. Sie waren zum Teil auch Belas­tun­gen aus­ge­set­zt in diesem Wach­s­tum­sprozess.

Hat sich durch das grosse Wach­s­tum auch die Aussen­wahrnehmung der Car­i­tas Aar­gau verän­dert?
Durch ihr Wach­s­tum ist Car­i­tas Aar­gau zu einem der wichtig­sten Ansprech­part­ner für den Kan­ton gewor­den. Car­i­tas Aar­gau ist ein wichtiger Play­er im Sozial­bere­ich. Das poli­tis­che Kli­ma im Aar­gau ist für unsere Arbeit jedoch nicht immer ein­fach. Ein­er­seits ist es Auf­gabe der Car­i­tas, für benachteiligte Men­schen einzuste­hen, ander­er­seits ist uns auch die gute Zusam­me­nar­beit mit dem Kan­ton und den Gemein­den wichtig.
Car­i­tas Aar­gau bezahlt anständi­ge Löhne und hat zeit­gemässe Arbeits­be­din­gun­gen. Es war mir als Präsi­dent immer wichtig, die Ver­ant­wor­tung gegenüber den Mitar­bei­t­en­den wahrzunehmen. Wichtig ist auch, dass die Car­i­tas qual­i­ta­tiv gute Arbeit leis­tet. Wir waren nicht immer der gün­stig­ste Anbi­eter und weil wir uns in einem kleinen Markt bewe­gen und es auch pri­vate Anbi­eter gibt, haben wir manch­mal auch Aufträge nicht bekom­men. Doch ich finde es wichtig, dass die Qual­ität stimmt.

Welch­es der vie­len Ange­bote von Car­i­tas Aar­gau liegt Ihnen beson­ders am Herzen?
Die Betreu­ung von Schutz­suchen­den aus der Ukraine und ihrer Gast­fam­i­lien. Die Mitar­bei­t­en­den von Car­i­tas haben bis im let­zten Okto­ber im Auf­trag des Kan­tons 355 Gast­ge­ber mit 976 Schutz­suchen­den berat­en. Auch Bil­dung­spro­jek­te wie Sprachkurse oder Wohn­start liegen mir sehr am Herzen, weil sie nach­haltige Wirkung zeigen und Men­schen direkt und per­sön­lich unter­stützen.
Im struk­turellen Bere­ich möchte ich den Auf­bau der Kirch­lich-Regionalen Sozial­dien­ste KRSD in Zusam­me­nar­beit mit der Lan­deskirche her­vorheben. Was da in den ver­gan­genen Jahren ent­standen ist, hat Mod­ellcharak­ter für andere Kan­tone. Das Gute an den KRSD ist ihre lokale Ver­ankerung, so sind die Kirchge­mein­den in die Pflicht genom­men und tra­gen Ver­ant­wor­tung.

Wie hoch war Ihr Pen­sum als Car­i­tas-Präsi­dent?
Dank der pro­fes­sionellen Geschäft­sleitung kon­nte ich mich aus dem oper­a­tiv­en Geschäft raushal­ten und mich strate­gis­chen Fra­gen wid­men. In Prozent umgerech­net, machte das Prä­sid­i­um etwa eine 10-Prozent-Stelle aus. Die Arbeit war aber sehr ungle­ich­mäs­sig verteilt, es gab hohe Wellen und manch­mal wieder Flaute. Car­i­tas Aar­gau bewegte sich in den 14 Jahren mein­er Amt­szeit keineswegs in ruhi­gen Gewässern. Als Präsi­dent fühlte ich mich häu­fig, als würde ich auf einem Wild­bach Kanu fahren.

Was motivierte Sie, das Car­i­tas-Kanu so viele Jahre auf Kurs zu hal­ten?
Grund­sät­zlich war die Arbeit für mich eine sehr sin­nvolle. Es war für mich sinns­tif­tend, im Hin­ter­grund die Rah­menbe­din­gun­gen zu schaf­fen, damit im Vorder­grund ganz konkret belasteten Men­schen geholfen wer­den kann. Ich war gerne Car­i­tas-Präsi­dent und würde es wieder machen.

Was wün­schen Sie Ihrer Nach­fol­gerin, Elis­a­beth Bur­gen­er?
Elis­a­beth Bur­gen­er ken­nt als langjährige SP-Gross­rätin den Aar­gau, die Car­i­tas und die poli­tis­chen Rah­menbe­din­gun­gen. So wün­sche ich ihr, dass sie auf dem Wild­bach gut Kanu fahren kann. Ich wün­sche ihr als Car­i­tas-Präsi­dentin eine gewisse Gelassen­heit, eine gute strate­gis­che Flughöhe und den Mut, Entschei­dun­gen zu tre­f­fen. Wir müssen uns immer vor Augen hal­ten, was unsere Auf­gabe ist: Das Ziel ist nicht, die Car­i­tas ret­ten, son­dern den benachteiligten Men­schen Unter­stützung und Begleitung zukom­men lassen.

Marie-Christine Andres Schürch
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