Hier kocht der Hindupriester auch koscher

Hier kocht der Hindupriester auch koscher

  • Am Stad­trand von Bern kön­nen Jüdin­nen und Juden in einem ayurvedis­chen Restau­rant kosch­er essen.
  • Rab­bin­er Michael Kohn hat das schweizweit ein­ma­lige Pro­jekt ins Rollen gebracht. Inzwis­chen reisen die Gäste von weit her, um Sasiku­mar Thar­ma­lingams Kochkun­st zu geniessen.
  • Die inter­re­ligiöse Zeitung «zVis­ite» hat dem Hindu­priester und dem Rab­bin­er beim Kochen über die Schul­ter geschaut.

Im Restau­rant Vanakam im Haus der Reli­gio­nen in Bern ist eben der Mit­tagsser­vice vor­bei. Der Duft der ayurvedis­chen Gerichte, die hier auf den Tisch kom­men, hängt noch in der Luft. Sasiku­mar Thar­ma­lingam, genan­nt Sasi, wirkt ent­pan­nt. Der Koch und Priester im Shi­va-Tem­pel beherrscht das Tages­geschäft aus dem Eff­eff. Seine Menüs mit frischem Saisongemüse, Getrei­de und Soja, abgerun­det mit passenden Gewürzen, sind beliebt.

Interreligiöse Zeitung «zVisite»

Jedes Jahr erscheint anlässlich der Woche der Reli­gio­nen die inter­re­ligiöse Zeitung «zVis­ite». Diese ist eine Gemein­schaft­spro­duk­tion der römisch-katholis­chen Pub­lika­tio­nen «pfar­rblatt Bern», «Forum Pfar­rblatt Zürich», Aar­gauer Pfar­rblatt «Hor­i­zonte», der evan­ge­lisch-reformierten Zeitun­gen «reformiert.» und «Kirchen­bote», der Zeitschrift «Christkatholisch» sowie dem jüdis­chen Wochen­magazin «Tach­les» und Mit­gliedern der mus­lim­is­chen und hin­duis­tis­chen Glaubens­ge­mein­schaften in der Schweiz.

Mit Koscher-Stempel

Oft kom­men die Gäste von weit her, auch Poli­tik­erin­nen und Botschafter lassen sich und ihre inter­na­tionalen Gäste aus anderen Reli­gion­s­ge­mein­schaften gern von Sasi bekochen. Denn das «Vanakam» ist das einzige Restau­rant in Bern, das einen «Kosch­er-Stem­pel» vor­weisen kann – die Bescheini­gung also, dass das hier servierte Essen in allen Belan­gen den jüdis­chen Speis­eregeln genügt. Das Zer­ti­fikat stellte Michael Kohn, der frühere Rab­bin­er der jüdis­chen Gemeinde in Bern, vor vier Jahren zum ersten Mal aus. Der gebür­tige Nor­weger, der mit sein­er YB-Kip­pa lan­desweite Bekan­ntheit geniesst, betritt das Restau­rant und begrüsst den Hindu­priester her­zlich. Die bei­den plaud­ern über dies und jenes, und der Rab­bin­er wirft auch mal einen beiläu­fi­gen Blick in die Küche des «Vanakam». «Ich kann Sasi ja nicht trauen, sein Pro­duk­twissen ist nicht so gut!», sagt er und grinst ver­schmitzt. «Nein, natür­lich habe ich hun­dert­prozentiges Ver­trauen in ihn. Anson­sten würde es nicht funk­tion­ieren.»

Rab­bi Michael Kohn und Hindu­priester Sasiku­mar Thar­ma­lingam im Restau­rant «Vanakam» im Bern­er Haus der Reli­gio­nen. | Foto: Annette Boutel­li­er

Hunger macht erfinderisch

Bei ein­er Tasse Kaf­fee erin­nern sich die bei­den Geistlichen an die Anfänge des inter­re­ligiösen Pro­jek­ts. «Alles begann damit, dass ich hun­grig war», sagt der Rab­bin­er mit einem Lachen. Und da in Bern keine Restau­rants existierten, in denen nach den Prinzip­i­en der jüdis­chen Speis­eregeln, der Kaschrut, gekocht werde, habe er han­deln müssen. Die Kaschrutregeln leg­en fest, welche Pro­duk­te rein sind, also kosch­er, und welche nicht. Sie bes­tim­men auch den Umgang mit Lebens­mit­teln. So ist es zum Beispiel unter­sagt, Milch- und Fleis­ch­pro­duk­te zusam­men zu verzehren, selb­st wenn diese kosch­er sind. Thar­ma­lingam holt einen grossen Kochtopf aus der Küche und stellt ihn auf den Tisch. «Ich koche ayurvedisch und veg­e­tarisch», erk­lärt er. «Wir gläu­bi­gen Hin­dus dür­fen keine Lebe­we­sen töten, auch nicht, um uns zu ernähren. Als Priester darf ich solche Pro­duk­te nicht ein­mal berühren.» Entsprechend kom­men in seine Töpfe und Pfan­nen wed­er Fisch- noch Fleis­ch­pro­duk­te. Und die Gastköche ander­er Reli­gion­s­ge­mein­schaften, die die Küche im Haus der Reli­gio­nen benutzen, müssen ihre eige­nen Kochuten­silien mit­brin­gen. «Das heisst für mich», fährt Sasi fort, «dass ich meinen Bere­ich absperre. Da bin ich kon­se­quent.» Kohn lacht. «Das kann man wohl sagen. Wenn es um seine Küche geht, ver­ste­ht Sasi keinen Spass.»

Unreine Kochutensilien

Bis das inter­re­ligiöse Koch­pro­jekt in Gang kam, dauerte es einige Zeit. Denn auch wenn die koschere und die veg­e­tarisch-ayurvedis­che Küche rel­a­tiv nah beieinan­der­liegen, musste die Küche im Haus der Reli­gio­nen erst nach den Regeln der Kaschrut kosch­er gemacht wer­den. Ein­er­seits genügten einige der hier ver­wen­de­ten Fer­tig­pro­duk­te nicht den Vorschriften, ander­er­seits waren die Kochuten­silien im jüdis­chen Sinne unrein. Hier war nun das Fach­wis­sen des Rab­bin­ers gefragt. «Wir Juden sind seit 2000 Jahren Spezial­is­ten, wenn es darum geht, Essen und das Drumherum genau anzuschauen», sagt Kohn. «Wir haben uns ein immenses Wis­sen über die Lebens­mit­tel­pro­duk­tion angeeignet.» Die mod­er­nen Pro­duk­tion­s­meth­o­d­en macht­en es jedoch oft schwierig, die nöti­gen Infor­ma­tio­nen zu bekom­men. «But­ter ist nicht gle­ich But­ter. Man muss immer genau prüfen, was alles im Pro­dukt drin ist», weiss Kohn. Auch die Ver­pack­ung spielt eine Rolle, auch sie kön­nte unkosch­er sein. Doch Sasi musste sein Sor­ti­ment nicht kom­plett umstellen. Einzelne nicht koschere Zutat­en liessen sich mit Unter­stützung des Rab­bin­ers gle­ich­w­er­tig erset­zen.

https://youtu.be/gBXy4iKchqE?si=Cd3pFkS6mIitKXU7
Film-Porträt von der Schweiz­erisch-Indis­chen Filmemacherin und Jour­nal­istin Chi­tra-Lekha Sarkar, 2022.

Dampf und Rauch

Nun mussten noch sämtliche Kochgeräte gere­inigt wer­den, um alle Spuren unkoscher­er Lebens­mit­tel und deren Geschmack zu beseit­i­gen. «Kasch­ern nen­nen wir das», erk­lärt Kohn. «Das ist keine spir­ituelle Hand­lung mit wohlriechen­den Räuch­er­stäbchen, son­dern eine prak­tis­che und effiziente Reini­gung mit heis­sem Dampf.» Thar­ma­lingam kon­tert: «Ich weiss, du magst keine Räuch­er­stäbchen, aber auch ihr habt Sym­bol­hand­lun­gen, die ich nicht ganz nachvol­lziehen kann. Son­st müsste nicht jeden Tag ein Mit­glied der jüdis­chen Gemeinde ins «Vanakam» kom­men, um den Reiskocher anzuschal­ten.» Der Rab­bin­er erk­lärt: «Wir wollen damit zeigen, dass wir Wert darauf leg­en, in irgen­dein­er Form am Koch­prozess beteiligt zu sein.»

Kulinarischer Teamgeist

Der Priester und der Rab­bin­er schätzen und ver­trauen einan­der. Mit ihren Ansicht­en liegen sie jedoch zuweilen weit auseinan­der. Etwa bei der Frage nach der Bedeu­tung des gemein­samen Essens in ihren jew­eili­gen Reli­gio­nen. «Nur wer zum sel­ben Team gehört, sitzt auch am sel­ben Tisch», meint der Rab­bi. Für eine Gemein­schaft sei es wichtig zu wis­sen, wer dabei sei und wer nicht. «Wenn alle im Team wären, gäbe es keine Gemein­schaft, son­dern nur Beliebigkeit.» Sasi hat eine grundle­gend andere Mei­n­ung zum kuli­nar­ischen Teamgeist. Wenn er für den Tem­pel koche, seien alle Men­schen ein­ge­laden mitzuessen, egal welchen Hin­ter­grund sie hät­ten. Auch was die Essen­sregeln bet­rifft, find­et er die Kaschrut let­ztlich etwas allzu streng. Rab­bin­er Kohn rel­a­tiviert: «Kaum jemand befol­gt diese kuli­nar­ischen Leitlin­ien zu hun­dert Prozent.» Viel wichtiger sei, dass man sich darum bemühe, sie zu befol­gen. «Kein­er wird krank, wenn er sich nicht an alles hält, oder wird am Ende von Gott bestraft. Gott ist ver­mut­lich mit wichtigeren Din­gen beschäftigt», erk­lärt er. «Doch man ver­passt eine gute Gele­gen­heit, seine eigene Iden­tität zu stärken.»

Kompromisse sind wichtig

Doch bei allen Dif­feren­zen sind sich die bei­den Geistlichen einig: Inter­re­ligiös­er Dia­log funk­tion­iert am besten, wenn man auch mal während ein­er Mahlzeit beisam­men­sitzt und nicht nur bei Podi­ums­diskus­sio­nen miteinan­der spricht. «Reden ist gut», sagt Thar­ma­lingam. «Doch noch wesentlich bess­er finde ich, wenn man, wie wir es immer wieder tun, Kom­pro­misse sucht. So leben Reli­gio­nen nicht nur neben‑, son­dern auch miteinan­der.» «Aber bei den Kaschrutregeln gibt es keine Kom­pro­misse, nur ein kluges Umset­zen», hält Michael Kohn ver­schmitzt fest. Und bedauert, dass er Sasi und das «Vanakam» nicht an seinen neuen Wirkung­sort in der jüdis­chen Gemeinde in Oslo mit­nehmen kann.

Marie-Christine Andres Schürch
mehr zum Autor
nach
soben