«Im Zentrum steht immer der Mensch»

«Im Zentrum steht immer der Mensch»

  • «Der Men­sch ste­ht immer im Zen­trum, nicht das Hand­i­cap», sagen Isabelle Deschler und Sarah Bütler.
  • Deschler arbeit­et in der katholis­chen Spezialseel­sorge Pas­toral bei Men­schen mit Behin­derung, Bütler beim reformierten Pen­dant Fach­stelle für Men­schen mit Hand­i­cap.
  • Die Zusam­me­nar­beit zwis­chen den bei­den Fach­stellen ist eng, und bald soll der Fach­bere­ich öku­menisch ver­ant­wortet sein.

Wer den bei­den Mitar­bei­t­erin­nen zuhört, die seit über zehn Jahren in ihren Stellen tätig sind, erken­nt: Men­schen mit einem Hand­i­cap sind so unter­schiedlich wie es alle Men­schen in der Gesellschaft sind. Sarah Bütler sagt: «Wir begeg­nen in unser­er Tätigkeit Men­schen mit kör­per­lichen oder kog­ni­tiv­en Behin­derun­gen, Men­schen, die an psy­chis­chen Erkrankun­gen lei­den oder Sucht­prob­leme haben.» Wichtig ist für die bei­den Frauen: «Der Men­sch ste­ht immer im Zen­trum und nicht die Erkrankung oder das Hand­i­cap.» Die öku­menisch ver­ant­wortete Gehör­losenseel­sorge Nord­westschweiz gehört eben­falls zum Fach­bere­ich. Dafür sind die Ani­ta Hin­ter­mann und Adri­an Bolz­ern zuständig.

Serie zur Spezialseelsorge

Die Fach­stelle Spezialseel­sorge der Römisch-katholis­chen Lan­deskirche Aar­gau umfasst die Gefängnis‑, Polizei- und Spi­talseel­sorge, die Pas­toral bei Men­schen mit Behin­derung und Pal­lia­tive Care. Hor­i­zonte stellt die fünf Bere­iche im Rah­men ein­er Serie vor.

Teilhabe für alle

Die Ange­bote der bei­den Fach­stellen für Men­schen mit Beein­träch­ti­gun­gen laufen mehrgleisig: Zum einen, so Isabelle Deschler, ste­he die Inklu­sion im Zen­trum der Ange­bote. «Men­schen mit ein­er Behin­derung sollen in Pfar­reien und Kirchge­mein­den ein Teil der Gemein­schaft sein», betont sie. Hier arbeite sie eng mit den Seel­sor­geteams von Kirchge­mein­den zusam­men, damit die Ange­bote so gestal­tet wer­den, dass alle daran teil­nehmen kön­nen. Als Beispiel nen­nt sie den Mite­nand-Gottes­di­enst in Pfar­reien für Men­schen mit und ohne Behin­derun­gen.

Jew­eils an Pfin­g­sten und am Bet­tag find­et ein kan­tonaler öku­menis­ch­er Mite­nand-Gottes­di­enst für Men­schen mit und ohne Behin­derung statt. «Für viele ist das eine schöne und wichtige Tra­di­tion, und einige nehmen seit Jahren daran Teil», sagt Sarah Bütler. «Eigentlich», meint Isabelle Deschler, «sollte jed­er Gottes­di­enst ein Mite­nand-Gottes­di­enst sein. Aber die Gesellschaft ist noch nicht so weit.»

Tagung im September 2023

Eine Aktiv­ität des Fach­bere­ichs sind die zwei Aus­flüge zu einem religiös und kul­turell inter­es­san­ten Ort in der Schweiz. Ein Aus­flug davon wird mit Hören­den und Gehör­losen zusam­men durchge­führt. Am 23. Sep­tem­ber organ­isiert der gesamte Fach­bere­ich eine Tagung «Inklu­sion in Kirche und Gesellschaft», um gemein­sam mit allen Beteiligten, Men­schen mit und ohne Behin­derung, Gehör­lose und Hörende, weit­ere Schritte zur Inklu­sion zu erar­beit­en. Schon das Fra­gen und Suchen nach Antworten soll gemein­sam, inklu­siv geschehen.[esf_wordpressimage id=43086 width=half float=right][/esf_wordpressimage]

Die Kurse sind gefragt

Die bei­den Fach­stellen bieten auch Kurse für Mitar­bei­t­ende in Kirchge­mein­den und Insti­tu­tio­nen an. Wie etwa Kurse zum The­ma Seel­sorgege­spräche und Spir­i­tu­al­ität. Wie führt man solche Gespräche mit Men­schen, die eine starke Beein­träch­ti­gung haben? Welche Möglichkeit­en gibt es, das The­ma Spir­i­tu­al­ität in ein solch­es Gespräch einzubrin­gen? Beim Kurs zum The­ma Tod und Trauer stellen sich Fra­gen wie: Was ist hier spez­i­fisch mit Men­schen mit Behin­derung? Wie kann man sie in ihrer Trauer um einen geliebten Men­schen unter­stützen? Sym­bole und Rit­uale, sagen die bei­den Frauen, spie­len dabei eine grosse Rolle.

Frühlings‑, Herbst- und Trauerfeiern

Sarah Bütler und Isabelle Deschler bear­beit­en beim Ange­bot der reformierten Lan­deskirche noch eine weit­ere Schiene: Sie suchen Insti­tu­tio­nen auf. Dort haben sie über viele Jahre ein Net­zw­erk mit Fach­leuten aufge­baut, die ihre Ange­bote unter­stützen. Sie bieten beispiel­sweise Rit­uale wie Früh­lings- oder Herb­st­feiern an. Auch die Wei­h­nachts­feier sei gefragt oder Trauer­feiern, wenn jemand in ein­er Insti­tu­tion gestor­ben ist.[esf_wordpressimage id=43083 width=half float=left][/esf_wordpressimage]

Balance zwischen Nähe und Distanz

Manche Men­schen, die sie antr­e­f­fen, erzählen ihnen auch sehr intime Sachen. Da ist es wichtig, acht­sam damit umzuge­hen. Auch wenn gross­es Leid spür­bar wird, ist es nicht immer ein­fach, richtig zu reagieren. Ist es ange­bracht jeman­dem die Hand zu hal­ten oder mit ein­er kurzen Umar­mung zu trösten? Denn eine beruhi­gende Berührung ist in manchen Fällen die einzige Sprache, die hil­ft. Hier gelte es, die richtig Bal­ance aus Nähe und Dis­tanz zu find­en. «Ich möchte nicht als Fre­undin gel­ten. Das zu zeigen, ohne zu ver­let­zten, ist eine Her­aus­forderung», meint Sarah Bütler.

Zu den Her­aus­forderun­gen zählt auch ein acht­samer Umgang mit der Sprache. Wie beispiel­sweise mit dem Begriff Behin­derung. Isabelle Deschler dazu: «Wir benutzen ver­schiedene Begriffe wie Hand­i­cap, Behin­derung oder Beein­träch­ti­gung. Je nach­dem, was die Men­schen, mit denen wir es zu tun haben, selb­st anwen­den.» Eine Frau im Roll­stuhl, die nie wieder gehen kann, habe ihr ein­mal gesagt: «Ich bin ein Men­sch mit Behin­derung, nicht ein­fach nur mit ein­er Beein­träch­ti­gung.»

«Die Gesellschaft braucht sie!»

Bei­de Frauen empfind­en die Arbeit mit Men­schen mit Hand­i­cap als erfül­lend. Isabelle Deschler sagt: «Bei ein­er Feier in Insti­tu­tio­nen kommt oft etwas aus dem tief­sten Innern auf. Etwas, was ich in einem Gottes­di­enst in ein­er Pfar­rei meis­tens ver­misse, weil die Leute zu stark in Bar­ri­eren der Per­fek­tion gefan­gen sind.» Darum sei sie so überzeugt vom Konzept der Inklu­sion. «Men­schen mit ein­er Beein­träch­ti­gung fehlen in der Gesellschaft. Die Gesellschaft braucht sie!»

Marie-Christine Andres Schürch
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