
«Ich bin kein Freund von Fusionen»
- Die Gesamterneuerungswahlen der AarÂgauer KirchenÂbeÂhörÂden haben gezeigt, dass es immer schwieriger wird, neue KanÂdiÂdatÂen zu findÂen.
- Es scheint, als dürften die AltgeÂdiÂenÂten dürÂfen einÂfach nicht aufhören.
- EinÂer dieser UnenÂtwegten ist Linus HüssÂer, der im InterÂview erkÂlärt, warum er im Amt bleiben muss.
Noch sind nicht alle WahlergebÂnisse der kirchenÂbeÂhördlichen Gesamterneuerungswahlen im KanÂton AarÂgau ausÂgewÂertet, aber von SeitÂen der LanÂdeskirche kann die negÂaÂtive EntwickÂlung der verÂganÂgenen Jahre leiÂder nur bestätigt werÂden: Die KirchenpfleÂgen findÂen kaum mehr neue MitÂglieder. Das führt dazu, dass altgeÂdiÂente BehörÂdenÂmitÂglieder immer wieder verÂlängern müssen, wenn sie ihre KirchgeÂmeinde vor einÂer SachÂwalÂterÂschaft durch die LanÂdeskirche bewahren wollen. EinÂer dieser UnenÂtwegten ist Linus HüssÂer aus Ueken.
Herr HüssÂer, an der KirchgeÂmeinÂdeÂvÂerÂsammÂlung von HerzÂnach-Ueken wurÂden sie vor einem Jahr geehrt für 20 Jahre als Kirchenpfleger. Eigentlich hatÂten Sie ja vor, auf Ende dieses Jahres zurückÂzutreten. Aber am 27. NovemÂber wurÂden sie für weitÂere vier Jahre als KirchenpflegepräsiÂdent wiedergewählt. Was ist passiert?
Linus HüssÂer: Ich bin seit 21 Jahren MitÂglied der KP und 20 Jahre deren PräsiÂdent. In dieser Zeit konÂnten wir RückÂtritte jewÂeils ohne grossen Aufwand ersetÂzen. In der verÂganÂgenen AmtspeÂriÂode umfasste das GremiÂum sogÂar eine PerÂson mehr als der SollbeÂstand von fünf MitÂgliedern. Wir waren zu dritt, die zurückÂtreten wollÂten. Mit der Suche von NeuÂmitÂgliedern haben wir schon 2021 begonnen. Mehrfache Aufrufe im PfarÂrblatt «HorÂiÂzonte» sowie unter den amtlichen PubÂlikaÂtioÂnen der GemeinÂden HerzÂnach und Ueken zeigten keine Wirkung, auch nicht die aufgelegten FlyÂer in der Kirche. EbenÂso blieb die direkÂte Anfrage von PerÂsoÂnÂen erfolÂgÂlos – erfahrungsÂgemäss die beste AnwerÂbung. LetÂzÂtendlich haben zwei BishÂeriÂgen sich entschÂieden, nochmals zu kanÂdiÂdieren, obwohl beiÂde schon über 20 Jahre im Amt sind.
Man kann ja nieÂmanÂden zu einem öffentlichen Amt zwinÂgen in unserem MilizsysÂtem. Warum haben Sie nicht einÂfach gesagt: «JetÂzt reicht’s, ich will nicht mehr.» Andere tun das ja auch.
NatürÂlich darf man das sagen, vor allem wenn man schon fünf und mehr AmtspeÂriÂoÂden hinÂter sich hat. Es war uns jedoch ein Anliegen, keine auf drei MitÂglieder geschrumpfte KP zurückÂzuÂlassen. Ein gewissÂes PflichtÂgeÂfühl trug zum Entscheid bei. Dass wir ein gutes Team sind und die KP gut funkÂtionÂiert haben diesen Entschluss erleÂichtert. Aber ich muss ehrlicherÂweise sagen, dass diese SitÂuÂaÂtion alles andere als optiÂmal ist, wird doch das ProbÂlem, keine NachÂfolÂger zu findÂen, vor sich her geschoben.
Warum haben Sie sich vor nunÂmehr 21 Jahren überÂhaupt dazu entschlossen, sich in der Kirchenpflege zu engagieren?
Ich bin der Ansicht, dass jedÂer BürgÂer und jede BürgÂerin sich in irgenÂdeinÂer Weise für die AllÂgeÂmeinÂheit engagieren soll, egal ob in einÂer Behörde, einÂer KomÂmisÂsion, als StimÂmenÂzähÂler, in der Kirche, in einem VereÂinsvorÂstand und so weitÂer. Als unsere KP bei der Suche nach einem neuen MitÂglied auf mich zukam, sagte ich nach einÂer «SchnupÂperÂsitzung» zu.
Haben Sie Ihren Entschluss, Kirchenpfleger zu werÂden, je bereut, und wenn ja, warum oder bei welchÂer GeleÂgenÂheit?
Nein.
Dann also gerne posÂiÂtiv forÂmuliert: Was hat Ihnen besonÂdere Freude bereÂitÂet und gefällt Ihnen heute noch an Ihrer AufÂgabe als Kirchenpfleger?
Man trägt zum FunkÂtionÂieren einÂer PfarÂrei und einÂer Gemeinde, in diesem Fall einÂer KirchgeÂmeinde, bei. Schon dies gibt eine gewisse BefriediÂgung. Hinzu kommt, dass man als Kirchenpfleger immer auch neue MenÂschen kenÂnenÂlernt und Neues lernt, was den perÂsönÂlichen HorÂiÂzont erweitÂert. Wir haben eine barocke Kirche, eine Kapelle mit einÂer ungeÂmein interÂesÂsanÂten VerÂganÂgenÂheit und ein für die Lokalgeschichte wertvolles Archiv. Als im ArchivweÂsen tätiger HisÂtorikÂer gefällt mir natürÂlich der Umgang diesen KulÂturÂobÂjekÂten.
Broschüre der Landeskirche
Die Römisch-KatholisÂche Kirche im AarÂgau erläutert in ihrer neuen Broschüre «Eine starke Basis für eine starke Kirche» gut nachvolÂlziehbar die verÂschiedeÂnen AufÂgaben einÂer Kirchenpflege. Die Broschüre lässt sich direkt von der WebÂsite der LanÂdeskirche runÂterÂladen oder auch in gedruckÂter Form über die Mailadresse bestellen.
HorÂiÂzonte hat im Laufe dieses Jahres immer mal wieder die WerÂbeÂtromÂmel gerührt, um Leute zu interÂessieren für die MitarÂbeit in der Kirchenpflege (siehe Artikel unten). Das scheint wenig gefruchtet zu haben. Was müsste man Ihrer MeiÂnÂung nach tun, um neue MitÂglieder zu rekruÂtieren?
Diese Frage stellt sich vielerorts etwa auch bezüglich der NeubeÂsetÂzung von GemeinÂderÂatssitzen und VereÂinsvorstänÂden. KürÂzlich habe ich geleÂsen, dass in der Schweiz mehreren hunÂdert VereÂinen die AuflöÂsung droÂht, unter anderem, weil sich nieÂmand mehr im VorÂstand engagieren oder das PräÂsidÂiÂum ausüben möchte – offenÂsichtlich eine ZeitÂerÂscheiÂnÂung. Was die KP betÂrifft: Wie vorhin erwähÂnt, brinÂgen Aufrufe selÂten etwas. Und dass «das Volk» KanÂdiÂdatinÂnen oder KanÂdiÂdatÂen sucht und portiert, wie dies in einÂer Demokratie eigentlich sein sollte, geschieht, wenn überÂhaupt, nur noch in weniÂgen KirchgeÂmeinÂden. Vor ein paar Jahren haben wir auch einen Infoabend für InterÂessierte angeÂboten, an dem wir die KP und ihre AufÂgaben vorstellen wollÂten. GekomÂmen ist nieÂmand. Ehrlich gesagt: Ich kann Ihre Frage nicht beantÂworten.
Es wird nachÂweisÂlich immer schwieriger, Leute zu findÂen, die sich für öffentliche Ämter oder auch nur schon in VereÂinen engagieren, respekÂtive VerÂantÂworÂtung übernehmen wollen. Worin sehen Sie die Ursache?
Da gibt es mehrere Ursachen. AngeÂführt werÂden könÂnen etwa BequemÂlichkeit, der verÂmehrte RückÂzug ins PriÂvate, verÂbunÂden mit InterÂessenÂlosigkeit, EgoÂisÂmus und IndiÂvidÂuÂalÂisÂmus. WahrscheinÂlich haben die CoroÂnaÂmassÂnahÂmen dies alles noch beschleÂuÂnigt. GrundÂsätÂzlich spielt sichÂer der WohlÂstand eine Rolle. ÜberÂspitz kann man von einÂer WohlÂstandsÂdeÂgenÂerÂaÂtion sprechen. Diese wird in ZukunÂft noch zunehmen. AufÂfalÂlÂend ist, dass es stets die gleÂichen PerÂsoÂnÂen sind, die sich in der Öffentlichkeit und für die AllÂgeÂmeinÂheit engagieren, obwohl es unzähÂlige andere gibt, die durÂchaus fähig wären und auch die Zeit dazu hätÂten.
VieÂlen KirchgeÂmeinÂden droÂht infolge UnterbeÂsetÂzung der Kirchenpflege eine SachÂwalÂterÂschaft. Dieser kostenÂinÂtenÂsive Schritt lässt sich verÂmeiÂden, wenn KirchgeÂmeinÂden innerÂhalb eines PasÂtoralÂraums oder eines KirchgeÂmeinÂdeÂverÂbanÂdes fusionÂieren und eine gemeinÂsame Kirchenpflege einÂsetÂzen. Was halÂten Sie von dieser Lösung?
Ich bin grundÂsätÂzlich kein FreÂund von FusioÂnen, wenn sie nicht zwinÂgend sein müssen. Aber ich glaube schon, dass es aufÂgrund des zunehmenden PerÂsonalÂmanÂgels im amtÂskirchÂlichen wie auch bei den staatskirchenÂrechtlichen lokalen BehörÂden früher oder später auf solche GrosskirchengeÂmeinÂden hinÂausÂlaufen wird.
Das UrdemokratisÂche an unserem MilizsysÂtem ist es, dass jedÂer mündiÂge BürgÂer wählen und gewählt werÂden darf. Wenn allerdÂings die Auswahl fehlt und sich kaum noch genüÂgend StimmÂberechtige an GemeinÂdeÂvÂerÂsammÂlunÂgen und Wahlen beteiliÂgen, wie lässt sich dieses SysÂtem dann noch aufrechterÂhalÂten, geschweige denn rechtÂferÂtiÂgen?
Ich erachte es als wichtig, dass jene, die KirchenÂsÂteuern entrichtÂen, die Möglichkeit haben, über die VerÂwenÂdung der Steuergelder mitbesÂtimÂmen zu könÂnen. Dies setÂzt demokratisÂche StrukÂturen voraus. Von daher finde ich das jetÂzige SysÂtem gut. Wenn jemand nicht mitbesÂtimÂmen will, ist er selÂber schuld.
Was die ExekuÂtive, also die KP betÂrifft, bin ich schon lange der MeiÂnÂung, dass unser viel gelobtes MilizsysÂtem nicht überÂall, aber mancherorts an seine GrenÂzen stösst.
Mühe habe ich mit all jenen, die sich beklaÂgen, in der Kirche kein Gehör zu findÂen und dass «Rom» und die BisÂchöfe die Bedürfnisse und WünÂsche des KirchenÂvolks nicht ernst nehmen würÂden. Dass viele dieser PerÂsoÂnÂen in der KirchgeÂmeinde, also in der «Kirche vor Ort», wo man EinÂfluss nehmen kann, durch AbweÂsenÂheit glänzen, erachte ich als eine schizÂoÂphrene HalÂtung.
Ist dieses DesinÂterÂesse der KirchgeÂmeinÂdemitÂglieder Ihrer MeiÂnÂung nach ein ProbÂlem oder gar SelbÂstverÂschulden der Kirche oder ist es doch ein ganz allÂgeÂmeines ProbÂlem unserÂer Gesellschaft und deren offenÂsichtlichen Bestrebens, das IndiÂvidÂual- über das AllÂgeÂmeinÂwohl zu stellen?
Sowohl als auch. Dass die Kirche aus bekanÂnten GrünÂden an AnseÂhen verÂloren hat, minÂdert bei manchen KirchenangeÂhöriÂgen die BereÂitschaft, sich in einem staatskirchenÂrechtlichen GremiÂum zu engagieren. Doch auch auf der Ebene der poliÂtisÂchen GemeinÂden wird es immer schwieriger, Ämter zu besetÂzen, und immer mehr VereÂine leiÂden darunter, keine VorÂstandsmitÂglieder mehr zu findÂen. Was den zweitÂen Teil Ihrer Frage betÂrifft, kann ich nur wiederÂholen, was ich vorhin schon über die Ursachen für das fehlende EngageÂment der Leute gesagt habe.
Sie haben immer wieder verÂsucht, neue MitÂglieder für die Kirchenpflege zu gewinÂnen. Welche Gründe wurÂden Ihnen da angegeben, um sich nicht zur Wahl aufÂstellen zu lassen?
Da gab es natürÂlich einige: BereÂits anderÂweitÂig engagiert – zum Beispiel in einem VereÂin –, die Angst vor zuviel Zeitaufwand oder für das Amt ungeeignet zu sein. NatürÂlich hanÂdelte es sich bei diesen GrünÂden nicht immer nur um AusreÂden. Bei manchen spielte aber sichÂer hinÂterÂgründig die Unlust, sich in einem öffentlichen Amt zu engagieren, eine Rolle. Man schätzt es zwar, wenn es in einÂer Behörde oder einem VereÂin rund läuft, möchte aber selbÂst nichts dazu beitraÂgen beziehungsweise keine VerÂantÂworÂtung übernehmen.
Was meinen Sie, wird es diese weltweit einziÂgarÂtige, teildemokratisierte Form der KirchenorÂganÂiÂsaÂtion, wie wir sie hier in der Schweiz kenÂnen, das sogeÂnanÂnte duale SysÂtem, in 50 oder 100 Jahren noch geben?
Unsere Zeit wird immer schnelÂllebiger, der WanÂdel immer rasÂanÂter, die Gesellschaft veränÂdert sich schneller als uns lieb ist und uns gut tut, auch in den BereÂichen ReliÂgion und Kirche. Es ist davon auszugeÂhen, dass sich auch unsere duale KirchenorÂganÂiÂsaÂtion stark veränÂdern wird. Wie stark und auf welche Art und Weise, wage ich nicht zu prophezeien.