
«Was, du willst noch bis September bleiben…?!»
- Seit Beginn des Ukrainekrieges sind mehr als 50’000 MenÂschen aus der Ukraine in die Schweiz geflüchtet.
- Die meisÂten von ihnen sind ChrisÂten, die auch oder gerÂade an ihrem ZufluchtÂsort den Trost und das VerÂtraute ihres Glaubens suchen.
- Die drei einziÂgen, ukrainisÂchen griechisch-katholisÂchen Priester in der Schweiz haben alle Hände voll zu tun.
Pater Nazar Zatorskyy ist unterÂwegs. Viel unterÂwegs. Eigentlich nur unterÂwegs. Er ist der bisÂchöfliche Delegierte für die UkrainÂer in der Schweiz und AdminÂisÂtraÂtor der GemeinÂden in Basel und Zürich. AusserÂdem amtet der proÂmovierte TheÂologe auch noch als mitarÂbeiÂtÂenÂder Priester in der SeelÂsorgeeinÂheit St. Urban (Murten und Gurmels). ZusamÂmen mit seinen zwei PriesterkolÂleÂgen, P. Volodymyr Horoshko und P. SviÂatoslav HoretÂskyi, betreut er alle ukrainisÂchen griechisch-katholisÂchen ChrisÂten, die sich in der Schweiz aufhalÂten. «Vor dem Krieg waren das zwisÂchen 10’000 und 15’000 UkrainÂer, die wir in den sechs GemeinÂden LauÂsanne, Genf, Zürich, Basel, Bern und Lugano betreuten», erkÂlärt Pater Nazar. Diese Zahl habe sich aber seit AusÂbruch des Krieges in der Ukraine mehr als vervierÂfacht.
Kein WunÂder also, dass die drei ukrainisÂchen Priester fast pausenÂlos auf Achse sind. «Wir feiern Eucharistie mit den GläuÂbiÂgen, hören die Beichte und sind als SeelÂsorgÂer für die MenÂschen da, mit all ihren SorÂgen, ÄngÂsten und Nöten», sagt Pater Nazar. Dass dieser SeelÂsorgeaufÂtrag für 50’000 MenÂschen, verteilt auf nur drei Paar SchulÂtern einÂer HerkuleÂsaufÂgabe gleÂichkommt, steÂht aussÂer Zweifel. Neben seinen priesterÂlichen komÂmen bei Nazar Zatorskyy noch LeitungsaufÂgaben hinzu, denn er ist als bisÂchöflichÂer DelegiertÂer auch verÂantÂwortlich für die finanziellen und perÂsonÂellen Belange seinÂer MisÂsion. «Für mich bedeutet die aktuelle SitÂuÂaÂtion DauerÂstress und perÂmaÂnente AnspanÂnung», sagt der 43-Jährige, «aber mir hilÂft das Gebet, und wenn ich einÂseÂhen muss, dass ich es einÂfach nicht schaffe überÂall gleÂichzeitÂig zu sein, dann habe ich das VerÂtrauen, dass der Herr hilÂft, wo ich nicht sein kann.»
Mehrere tausend Gläubige
Gemäss VerteilschlüsÂsel des StaatssekreÂtariÂats für MigraÂtion (SEM) ist der KanÂton AarÂgau verpflichtet, gut acht Prozent der aus der Ukraine geflüchteten MenÂschen aufzunehmen. Laut KanÂtonÂsstaÂtisÂtik vom 19. Mai sind unserem KanÂton per data rund 4200 PerÂsoÂnÂen zugewiesen, und man rechÂnet damit, dass täglich 80 bis 100 neue ZuweisunÂgen erfolÂgen. Zwei DritÂtel der UkrainÂer bezeÂichÂneten sich in einÂer offiziellen ErheÂbung von 2010 als konÂfesÂsionÂsÂlos. Von denen, die sich zu einÂer GlaubenÂsrichÂtung bekenÂnen, gehören 71 Prozent zu einÂer der drei orthoÂdoxÂen Kirchen (ukrainisch-orthoÂdoxe Kirche des KiewÂer PatriÂarÂchats, ukrainisch-orthoÂdoxe Kirche des Moskauer PatriÂarÂchats, ukrainisÂche autokephale orthoÂdoxe Kirche). 15 Prozent bekanÂnten sich in der ErheÂbung zur ukrainisÂchen griechisch-katholisÂchen und zwei Prozent zur römisch-katholisÂchen Kirche ihres LanÂdes.
Die staÂtisÂtisÂchen Zahlen lassen den Rückschluss zu, dass nicht alle 50’000 in die Schweiz geflüchteten UkrainÂer die SeelÂsorge von Pater Nazar und seinen beiÂden MitÂbrüdern in Anspruch nehmen. Aber denÂnoch sind es, die vorher schon in der Schweiz ansäsÂsiÂgen UkrainÂer mit einÂberechÂnet, gut und gerne 3300 griechisch-katholisÂche GläuÂbige, die von drei Priestern an sechs StanÂdorten in der Schweiz seelÂsorgÂerisch betreut werÂden. Ihre GottesÂdiÂenÂstordÂnung folÂgt dem byzanÂtiÂnisÂchen RitÂus, also demÂjeniÂgen, dem auch die Anhänger der drei grossen orthoÂdoxÂen Kirchen in der Ukraine folÂgen. Somit dürfte sich die hochgerechÂnete Zahl der zu betreuenÂden GläuÂbiÂgen in den ukrainisÂchen GemeinÂden gleÂich wieder auf 15’300 erhöhen lassen.
Dankbar für Schweizer Solidarität
Fakt ist, dass hinÂter jedÂer einzelÂnen Zahl ein MenÂsch steÂht. Ein MenÂsch mit seinen SorÂgen, ÄngÂsten, HoffÂnunÂgen und BedürfnisÂsen. «Was die Flüchtlinge in der Schweiz am meisÂten beschäftigt, ist natürÂlich der VerÂlauf des Krieges in der Ukraine», sagt Pater Nazar. «GleÂich an zweitÂer Stelle kommt aber immer die Frage, wann sie wieder nach Hause zurückÂkehren könÂnen. Das ist für die meisÂten von ihnen ihr sehnÂlichÂster WunÂsch.» Als er vor kurzem einÂer GottesÂdiÂenÂstÂbeÂsucherin von einem ProÂjekt erzählt habe, das im SepÂtemÂber in St. Gallen statÂtfindÂen soll, fragte deren Töchterchen mit grossen Augen: «Was, du willst hier noch bis SepÂtemÂber bleiben…?!»
Nazar Zatorskyy macht sich und seinen GemeinÂdemitÂgliedern nichts vor. Er rechÂnet für die Geflüchteten aus seinÂer Heimat mit minÂdestens einem Jahr und ergänzt: «Dass der SchutzsÂtaÂtus S, den die MenÂschen aus der Ukraine in der Schweiz erhalÂten, jährlich verÂlängert werÂden kann, zeigt, wie realÂisÂtisch die SchweizÂer Regierung die Lange einÂschätzt.» ÜberÂhaupt windet der junge Priester der Schweiz und ihren KirchgeÂmeinÂden ein Kränzchen: «Wir haben ja keine eigeÂnen RäumÂlichkeitÂen für unsere GottesÂdiÂenÂste und die weitÂeren seelÂsorgÂerischen AngeÂbote, aber wir dürÂfen in den katholisÂchen Kirchen an unseren sechs StanÂdorten die Messe feiern und auch die PfarÂreiräume vor Ort werÂden uns für die SonÂntagssÂchule oder für ZusamÂmenkünÂfte nach der Messe unentÂgeltlich zur VerÂfüÂgung gestellt. Das ist ein grossÂes Zeichen der VerÂbunÂdenÂheit und der SolÂiÂdarÂität, die wir sehr zu schätzen wisÂsen.»
Jeden Sonntag ein Stück Zuhause
Gerne würde Pater Nazar auch in anderen Städten, respekÂtive AgglomÂerÂaÂtioÂnen der Schweiz den ukrainisÂchen KathoÂliken die BilÂdung eigenÂer GemeinÂden ermöglichen, aber dazu bräuchte er mehr Priester. «Diese Priester müssen sehr zuverÂläsÂsig sein», sagt der bisÂchöfliche Delegierte, «und natürÂlich müssen sie die ErlaubÂnis haben, in der Schweiz arbeitÂen zu dürÂfen.» Erste Gespräche mit den diversen KanÂtonÂalkirchen sind bereÂits im Gange. VorÂerst könÂnte sich Pater Nazar weitÂere GemeinÂden in St. Gallen, Chur, Olten und SitÂten vorstellen. «Eventuell auch noch an anderen Orten…»
Die ukrainisÂchen Griechisch-KathoÂliken aus dem KanÂton AarÂgau müssen also noch etwas warten, bis sie ein eigenes SeelÂsorgeangeÂbot quaÂsi vor der Haustüre erhalÂten. Aber bis dahin sind sie jedÂerzeit in den GemeinÂden von Zürich und Basel willkomÂmen, wo jewÂeils am 1. und 3. SonÂntag des Monats, um 14 Uhr, in der KrypÂta der Liebfrauenkirche Zürich und am 2. und 4. SonÂntag des Monats, um 15 Uhr, in der Kirche St. Marien Basel die Liturgie gefeiert wird. «So könÂnen alle GläuÂbiÂgen jeden SonÂntag den GottesÂdiÂenst feiern, die KomÂmuÂnion erhalÂten und, wenn sie möchtÂen, auch zur Beichte gehen», betont Pater Nazar. «Die Beichte ist ein vielÂgenutztes AngeÂbot, denn in diesem geschützten RahÂmen könÂnen die GläuÂbiÂgen ihr Herz aussÂchütÂten. Zudem treÂfÂfen sich die Leute nach der Kirche immer zum Tee. Dieser AusÂtausch ist sehr wichtig, um KonÂtakÂte zu pfleÂgen und neue FreÂundÂschaften zu knüpfen. Auf diese Weise fängt die Gemeinde viele Leute auf. Für die Kinder ist es schön, weil sie dann in ihrer MutÂterÂsprache sprechen und miteinanÂder spieÂlen könÂnen.»
Nach einÂer Liturgie kam eine UkrainerÂin zu Pater Nazar und dankÂte ihm für seine DienÂste: «Sie hatÂte TräÂnen in den Augen und sagte, sie hätte solchÂes Heimweh, aber durch die Möglichkeit, fern der Heimat den ukrainisÂchen GottesÂdiÂenst besuchen zu könÂnen, fühÂle sie sich in diesen Momenten wie zu Hause.» Alle InforÂmaÂtioÂnen zur ukrainisÂchen griechisch-katholisÂchen Kirche in der Schweiz findÂen sich auf der WebÂsite der GemeinÂschaft.