Wie im Himmel, so im Aargau

Wie im Himmel, so im Aargau

  • Nicht nur die römisch-katholis­che Kirche bemüht sich um eine Erneuerung von innen her­aus, auch ihre reformierte Schwest­erkirche hat die Zeichen der Zeit erkan­nt und reagiert.
  • Im August dieses Jahres hat die Reformierte Kirche im Aar­gau ihr Pro­jekt «Kirchen­re­form 26/30» lanciert, um die Kirche in der heuti­gen Gesellschaft neu zu posi­tion­ieren.
  • Das Pro­jekt heisst «Wie im Him­mel, so im Aar­gau» und will nicht weniger, als den vorherrschen­den Mega­trends mit ein­er glaub­haften Verkündi­gung des Evan­geli­ums ent­ge­gen­treten.

Während Papst Franziskus und seine Bis­chöfe die katholis­chen Gläu­bi­gen rund um den Globus dazu auf­fordern, sich an der Syn­ode 2023 zu beteili­gen (Hor­i­zonte berichtet fort­laufend), bleibt auch die reformierte Schwest­erkirche nicht untätig; zumin­d­est im Aar­gau. Die «Kirchen­re­form 26/30» der Reformierten Lan­deskirche wurde im August dieses Jahres als Pro­jekt offiziell ges­tartet. Der ganze Prozess läuft unter dem Namen «Wie im Him­mel, so im Aar­gau». Dieses klin­gende Mot­to kam Kirchen­rat­spräsi­dent Christoph Weber in den Sinn, als sich der Kirchen­rat bei sein­er Retraite über die Ziele ein­er solchen Kirchen­re­form unter­hielt: «Nach­dem das erste Gelächter über meinen Vorschlag abgek­lun­gen war, wurde uns bewusst, dass es genau darum gehen muss in diesem Reform­prozess: Was will Gott mit dieser Kirche und nicht, was wollen wir mit dieser Kirche.»

Megatrends als Stein des Anstosses

Die Aus­lös­er für dieses Pro­jekt waren diesel­ben, die auch die katholis­che Kirche dazu zwin­gen, in Sachen Erneuerung aktiv zu wer­den. Weber spricht von «tief­greifend­en gesellschaftlichen Verän­derun­gen», von denen bei­de Kirchen betrof­fen sind. «Mega­trends» nen­nt die Zukun­fts­forschung solche Verän­derun­gen, die die Entwick­lung ein­er Gesellschaft auf Jahrzehnte hin­aus mass­ge­blich bes­tim­men. Agilität, Indi­vid­u­al­isierung, Mobil­ität, Dig­i­tal­isierung und Säku­lar­isierung heis­sen die Mega­trends, die heute mit dazu beitra­gen, dass mit Tra­di­tio­nen gebrochen wird und sich die Bindun­gen zu religiösen Insti­tu­tio­nen auflösen.

[esf_wordpressimage id=35309 width=half float=right][/esf_wordpressimage]Megatrends lassen sich nicht ein­fach stop­pen, geschweige denn umkehren. Was aber will die Reformierte Kirche im Aar­gau tun, um mit ihrem Reform­prozess angesichts dieser starken Strö­mungen nicht Schiff­bruch zu erlei­den? Dazu sagt Marc Zöll­ner, oper­a­tiv­er Leit­er der «Kirchen­re­form 26/30» und seit August Mit­glied des Teams Gemein­deleitung bei der Lan­deskirche: «Die Kirchen­re­form soll die Kirche neu posi­tion­ieren, ger­ade im Wis­sen um die Mega­trends.» Und Christoph Weber ergänzt: «Dieser Prozess soll, vor allem jet­zt am Anfang, ergeb­nisof­fen sein. Der Kirchen­rat gibt keine Ziele vor, son­dern mod­eriert diesen ergeb­nisof­fe­nen Prozess in der Absicht, einen Dia­log mit der Basis zu führen. Wir wollen hören, wie sich die Men­schen diese Kirche vorstellen, welche Erwartun­gen und Wün­sche sie haben. So wie der Papst auf den Plakat­en der Syn­ode 2023, nur mit dem Unter­schied, dass bei uns alle Papst sind.»

«Quick Wins» auf dem Weg zur Reform

In einem zweit­en Schritt gehe es dann darum, den Rah­men abzusteck­en, inner­halb dessen die notwendi­gen Reform­schritte for­muliert und vor­angetrieben wür­den. Als Drittes fol­gt dann die Anpas­sung der rechtlichen Grund­la­gen, etwa der Kirchenord­nung, um die Refor­men auch umset­zen zu kön­nen. Wichtig sei ihnen, so Weber weit­er, dass auf diesem Reformweg auch immer soge­nan­nte «Quick Wins» (zu Deutsch: schnelle Gewinne, Erfolge oder Ergeb­nisse) möglich seien. Die reformierte Kirchenord­nung ken­nt heute schon das Instru­ment des «Exper­i­men­tier­ar­tikels». Dieser ermöglicht es dem Kirchen­rat, ein­er Kirchge­meinde für die Umset­zung ein­er Inno­va­tion oder neuen Idee grünes Licht zu geben, auch wenn das Exper­i­ment sich ausser­halb der gel­tenden Kirchenord­nung bewegt. Wenn der Ver­such gelingt und die Kirchge­meinde das in ihrem Bericht nach­weisen kann, beste­ht die Möglichkeit, die neue Prax­is in die Kirchenord­nung zu übernehmen.

Im August und Sep­tem­ber fan­den in sechs Aar­gauer Kirchen die regionalen Auf­bruchver­anstal­tun­gen zum Prozess «Kirchen­re­form 26/30» statt. Fast 350 Per­so­n­en, grössten­teils Ehre­namtliche und Mitar­bei­t­ende der Kirchge­mein­den, nah­men an diesen Anlässen aktiv teil. Das Inter­esse am Reform­prozess ist im reformierten Kirchenaar­gau gross. Marc Zöll­ner schildert das weit­ere Vorge­hen so: «Der Kirchen­rat hat eine Steuerungs­gruppe einge­set­zt, die den Gesamt­prozess leit­et. Ihr zur Seite ste­hen acht the­men­spez­i­fis­che Arbeits­grup­pen, die Sachthe­men wie zum Beispiel Dien­ste, Struk­turen, Finanzen, Immo­bilien et cetera erforschen. Dabei suchen sie das Gespräch mit Experten aus anderen Branchen, um zu erfahren, wie die mit densel­ben Prob­le­men umge­gan­gen sind. Je weit­er weg das von Kirche ist, umso gröss­er ist die Chance, dass wir eine kreative Lösung find­en, die wir bish­er noch gar nicht kan­nten.»

Um auf diesem Weg den Bezug zur Basis nicht zu ver­lieren, sollen die Arbeits­grup­pen, je nach Notwendigkeit, wieder eigene Res­o­nanz­grup­pen ein­set­zen, um Erfahrun­gen und Inputs aus den Expertenge­sprächen und der eige­nen Prax­is auch immer wieder zu besprechen. «Es sollen eben keine ein­samen Entschei­de am grü­nen Tisch gefällt wer­den», sagt Zöll­ner, «son­dern es soll auch immer wieder über­prüft wer­den: Wie kommt das an, was wir pla­nen?»

Evangelium glaubhaft vertreten

[esf_wordpressimage id=35307 width=half float=left][/esf_wordpressimage]Wenn alles läuft wie geplant, dann sollen die für die Reform notwendi­gen geset­zlichen Bes­tim­mungen bis ins Jahr 2026 von der Syn­ode ver­ab­schiedet und bis im Jahr 2030 auch umge­set­zt sein. Kirchen­rat­spräsi­dent Christoph Weber macht sich und auch den Gläu­bi­gen nichts vor: «Dass wir eng mit der Basis zusam­me­nar­beit­en heisst noch nicht, dass auch jed­er einzelne Wun­sch und jede einzelne Erwartung der­jeni­gen, die hier mitar­beit­en dann auch eins zu eins in dieser Reform sicht­bar wer­den.» Aber den­noch ste­he über allem die Überzeu­gung, dass «eine reformierte Kirche nur reformiert ist, wenn sie reform­fähig ist, wenn sie sich entwick­elt.»

Es gehe darum, das Evan­geli­um im Kon­text der Gegen­wart, in der man ste­he, glaub­haft zu vertreten. Und noch eines betont Christoph Weber im Hin­blick auf die Ziele der Kirchen­re­form 26/30: «Ich will nicht mehr nur von der Krise sprechen. Wir ver­lieren Mit­glieder, wir ver­lieren Kasu­alien, wir ver­lieren Gottes­di­en­st­teil­nehmer, jawohl, das ist wahr. Aber das Ziel ein­er solchen Reform kann es nicht sein, diese Trends zu wen­den. Dann müssen wir gar nicht anfan­gen. Wir kön­nen das nicht wen­den. Ich glaube aber, dass wir damit aufhören müssen, trau­rig, niedergeschla­gen oder gar schuld­be­wusst oder frus­tri­ert Kirche zu sein, son­dern wir müssen damit anfan­gen, zu sagen: Das Evan­geli­um ist eine gute Botschaft. Wir müssen uns fra­gen: Wie ste­hen wir zu dieser guten Botschaft? Wir müssen sehen, welche Chan­cen in der Verän­derung liegen und nicht immer nur mit dem Kopf zwis­chen den Schul­tern herum­laufen. Wir wollen jet­zt freudig und überzeugt für das Evan­geli­um ste­hen, und ob wir die Trends jet­zt wen­den kön­nen oder nicht, ist eigentlich eher Neben­sache.»

Christian Breitschmid
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