Im Flow – ​aus der Zeit tanzen
Gabriela Richiger leitet das meditative Tanzen in Baden seit zwanzig Jahren.
Bild: © Manuela Matt

Im Flow – ​aus der Zeit tanzen

In einer Tätigkeit vollkommen aufzugehen, ist der Schlüssel zu tiefem Glück.

Der Flow ist ein Zustand, den wir auf verschiedenen Wegen erreichen. Unsere Kollegin hat es mit meditativem Tanzen in der Sebastianskapelle in Baden versucht.


«Seit­en­schritt, hin­ten kreuzen, Seit­en­schritt – und schliessen», sagt Gabriela Richiger im Takt. Laut- und müh­e­los bewegt sie sich im Kreis, und die anderen Tänz­erin­nen tun es ihr gle­ich. Sie set­zen ihre Schritte san­ft und präzis. Ich hinge­gen habe meine liebe Mühe und bin immer eine halbe Sekunde zu spät. Meine Bewe­gun­gen hinken denen der anderen hin­ter­her, es dauert ein­fach zu lange, bis meine Augen das Gezeigte ans Hirn geleit­et und das Gehirn den richti­gen Befehl an Beine und Arme gegeben hat. Das Tanzen läuft nicht flüs­sig. Med­i­ta­tiv habe ich mir anders vorgestellt.

Aufrecht und stolz

Vor zwanzig Jahren hat der katholis­che Frauen­bund Baden-Ennet­baden Gabriela Richiger gebeten, ein Tan­zange­bot weit­erzuführen. Sei­ther leit­et die aus­ge­bildete Kindergärt­ner­in, Lehrerin, Heilpäd­a­gogin und Tan­zlehrerin ein­mal im Monat das med­i­ta­tive Tanzen in der Sebas­tian­skapelle in Baden. «Wir teilen uns die Freude am Tanzen, am Bewe­gen zur Musik, find­en bei­de Pole – die Ruhe und die Beschwingth­eit», ste­ht in der Auss­chrei­bung, die mich neugierig gemacht hat.

Die Mehrheit der acht Frauen, die an diesem Abend da sind, tanzen seit vie­len Jahren. Ihre Kör­per­hal­tung ist aufrecht und stolz. «Tanzen ist das Beste für den Kopf», sagt Tere­sa, «man muss näm­lich auch das Gehirn anstren­gen.» Die anderen pflicht­en ihr bei: «Tanzen tut gut, weil die Bewe­gun­gen vom Kopf in den Kör­p­er und dann ins Herz gehen», erk­lären sie mir. Das for­muliert auch Gabriela Richiger so: «Das kommt schon noch vom Kopf in die Beine», sagt sie zu ein­er anderen Teil­nehmerin, die an diesem Abend wie ich zum ersten Mal dabei ist und auch noch mit den Tanzschrit­ten kämpft.

Gedanken verschwinden

Und wirk­lich. Nach einige Wieder­hol­un­gen wer­den die Fehlschritte und Stolper­er weniger, die Bewe­gun­gen wer­den präzis­er. Auf ein­mal bin ich im Takt mit meinen Mit­tänz­erin­nen. Noch bess­er wird es mit der Musik. Ich höre, wann der näch­ste Bewe­gungszyk­lus begin­nen muss. Und als sich pünk­tlich mit dem Schlus­sakko­rd meine Füsse mit dem let­zten Seitschritt schliessen, ist das ein super Gefühl: Es ist aufge­gan­gen. Musik und Kör­p­er sind im Ein­klang. Weil mein Gehirn mit dem Abspe­ich­ern der Seit‑, Kreuz- und Nach­stellschritte beschäftigt ist, ver­schwinden andere­ ­Gedanken. Der Kopf wird frei. Er ist ganz beim Kör­p­er, ganz im Hier und Jet­zt.

Alles fliesst

Die Zeit vergessen, im Jet­zt sein: Das erin­nert mich an ein Konzept, das ich vor Jahren in der Aus­bil­dung zur Turn- und Sportlehrerin ken­nen­gel­ernt habe. Der Psy­chologe mit dem kom­plizierten Namen Mihá­ly Csík­szent­mi­há­lyi prägte in den 1990er-Jahren den Begriff «Flow». Als Flow beze­ich­nete er den Zus­tand, den wir erre­ichen, wenn wir in ein­er Tätigkeit vol­lkom­men aufge­hen. Wir haben das Gefühl, mit dem, was wir ger­ade tun, zu ver­schmelzen und kom­men in eine tiefe Konzen­tra­tion. Die aktuelle Tätigkeit ver­drängt alles andere aus dem Bewusst­sein, wir vergessen die Zeit, ver­spüren wed­er Hunger noch Müdigkeit. Eine grosse Klarheit, was zu tun ist, und das Gefühl, für diese Auf­gabe kom­pe­tent zu sein, kennze­ich­nen diesen Zus­tand.

So find­en Sie den Flow

Um die Tätigkeit zu find­en, die Sie erfüllt und glück­lich macht, ver­suchen Sie, diese Fra­gen zu beant­worten:

  • Bei welch­er Aktiv­ität habe ich zum let­zten Mal die Zeit vergessen?
  • Welche Tätigkeit hat mir als Kind so richtig Freude bere­it­et?
  • Welche Aktiv­ität gibt mir Energie?

Ein Dasein voller Konzentration

Auch andere Psy­cholo­gen glauben, dass Flow-Zustände der Schlüs­sel zum Erre­ichen von tiefem Glück sind, weil man sich auch nach dem Erleben eines Flow-Zus­tands ruhiger, erfüll­ter und zufrieden­er fühlt. Auch med­i­ta­tive Tech­niken kön­nen zu einem Flow-Erleben führen. Nicht nur beim med­i­ta­tiv­en Tanzen, son­dern beispiel­sweise auch beim Yoga find­en Men­schen zu einem Dasein ganz im Moment. Die Chore­o­gra­phien des med­i­ta­tiv­en Tanzes sind im Ein­klang mit der Musik. Sie sind so ver­schieden wie die Stim­mungen in unserem Leben: von fröh­lich-beschwingt bis zu ruhig-andächtig. Gabriela Richiger sagt: «Ich erlebe meinen Kör­p­er in dieser Schön­heit von Bewe­gung und Musik: Hingabe. Eine Ver­bun­den­heit mit dem grossen Ganzen, mit der Schöp­fung entste­ht, ich spüre Tiefe und Weite. Aus diesem Erleb­nis schöpfe ich Kraft für den All­t­ag und bin unendlich dankbar für diese Quelle.»

Fröhlich und erfüllt

Ich trete hin­aus in die kalte Nacht. Mein Herz ist leicht, mein Kopf ist klar. Fröh­lich schwinge ich mich aufs Velo und radle nach Hause. «Obwohl ich nicht mit­ge­tanzt habe, bin ich ganz fröh­lich und erfüllt nach Hause gefahren», schreibt mir die Fotografin einige Tage später. Wir haben ihn bei­de gefun­den, den Flow.

Med­i­ta­tion des Tanzes

Die deutsche Chore­o­graphin Friedel Kloke-Eibl (Jg. 1941) prägte die «Med­i­ta­tion des Tanzes – Sacred Dance». Diese erschliesst die religiöse Dimen­sion des Tanzes, ermöglicht einen Ein­stieg in die Stille und die Samm­lung im Geist. Der Tanz wird im Ein­klang mit der Musik zum Gebet. In Deutsch­land etablierte Kloke-Eibl das «Aus­bil­dungsin­sti­tut Med­i­ta­tion des Tanzes – Sacred Dance» mit Grup­pen in Deutsch­land, Irland, Brasilien und der Schweiz. Kloke-Eibl sam­melte Kreis- und sakrale Folk­loretänze und veröf­fentlichte sie zusam­men mit Tan­zan­leitun­gen. www.sacreddance.de

Meditatives Tanzen in Baden

Die Gruppe in Baden trifft sich monatlich am Don­ner­stagabend von 20–22 Uhr in der Sebas­tian­skapelle. Es sind keine Vorken­nt­nisse nötig. Brin­gen Sie Ihre Freude an Musik und Bewe­gung mit. Dat­en: 13. Feb­ru­ar, 13. März, 24. April, 15. Mai, 12. Juni, 14. August, 18. Sep­tem­ber, 16. Okto­ber, 13. Novem­ber, 11. Dezem­ber.

Meditatives Tanzen
Der Med­i­ta­tion des Tanzes liegt der Gedanke zugrunde, dass der Men­sch Der Med­i­ta­tion des Tanzes liegt der Gedanke zugrunde, dass der Men­sch sich mit der Welt im gle­ichen Tanzschritt bewegt, wenn sich Kör­p­er und Seele im Gle­ich­takt befind­en. | Bild: © Manuela Matt
Meditatives Tanzen
Die Tänz­erin­nen sind mit Leib und Seele dabei. Bild: © Manuela Matt
Marie-Christine Andres Schürch
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