5G auf Aargauer Kirchtürmen?

5G auf Aargauer Kirchtürmen?

  • Von den rund 900 Handyan­ten­nen im Aar­gau ste­ht nur ein knappes Prozent auf einem Kirch­turm.
  • Weil es für die Ein­führung von 5G nun mas­siv mehr Anten­nen­stan­dorte braucht und Kirchtürme aus Sicht der Net­z­be­treiber als ide­al­er Ort für Mobil­funkan­ten­nen gel­ten, sind ver­mehrt Anfra­gen an Kirchge­mein­den zu erwarten.
  • Die Lan­deskirchen hal­ten sich mit Empfehlun­gen zurück, während «oeku und Kirche» durch den «exzes­siv­en Aus­bau des Mobil­funks» die Kern­the­men Kli­maschutz und Bio­di­ver­sität betrof­fen sieht.
«Zwiespältig» ist wohl das Wort, mit dem sich das Ver­hält­nis der Schweiz­er Bevölkerung zum neuen Mobil­funk­stan­dard am besten beschreiben lässt. Lange angekündigt und teil­weise sehn­lich erwartet, ist 5G trotz­dem sel­ten vor­be­halt­los willkom­men. Wo eine 5G-Anlage hinkommt – oder bess­er: hinkom­men soll – hagelt es Ein­sprachen. Noch wird das The­ma in der Kirche im Aar­gau kaum disku­tiert. Doch Beispiele aus anderen Kan­to­nen zeigen, dass sich die Kirche auch hier mit 5G wird auseinan­der­set­zen müssen.

70 Antennen auf Kirchtürmen

Rund 50 ihrer Anten­nen seien auf Kirchtür­men platziert, gibt die Swiss­com an. Die Medi­en­stelle der Konkur­rentin Sun­rise sagt, dass rund 20 ihrer Anla­gen auf Kirchtür­men oder Kirchenge­bäu­den ste­hen. Wie viele dieser ins­ge­samt 70 Anten­nen sich auf Aar­gauer Kirchtür­men befind­en, wollen die bei­den Fir­men zwar nicht sagen. Aber das kan­tonale Departe­ment für Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) gibt an, von den über 900 Mobil­funkan­la­gen im Aar­gau stün­den «max­i­mal 5 bis 10» auf Kirchtür­men. Das entspricht einem Anteil von etwa einem Prozent.

«Kirchtürme sind ideal»

Der geringe Anteil an Mobil­funkan­la­gen auf Kirchtür­men ver­wun­dert. Denn sowohl von Seit­en der Net­z­be­treiber wie auch des Kan­tons heisst es: «Kirchtürme eignen sich ide­al als Mobil­funk­stan­dorte.» Das BVU erk­lärt: «Die Kirchen ste­hen meis­tens mit­ten im Dorf und ver­fü­gen über eine gewisse Höhe, so dass von dort aus die Umge­bung opti­mal ver­sorgt wer­den kann.» Ausser­dem brauche die Tech­nik immer weniger Platz, so dass die Anten­nen im Turm ver­steckt wer­den kön­nen und das Orts­bild nicht stören. Die Ein­nah­men durch eine Anlage kön­nten für eine Kirchge­meinde dur­chaus inter­es­sant sein, heisst es beim Kan­ton weit­er.  Net­z­be­treiberin Sun­rise führt auch gesund­heitliche Argu­mente für den meist zen­tral gele­ge­nen Kirch­turm an: «Anten­nen müssen dort ste­hen, wo Leute ihr Handy brauchen. Das reduziert ins­beson­dere auch die Strahlung der Handys, welche den Grossteil der indi­vidu­ellen Belas­tung durch Mobil­funk aus­macht.»

Bis zu 15’000 neue Standorte müssen her

Um die nöti­gen Kapaz­itäten für neuen Mobil­funk­stan­dard 5G zu schaf­fen, müssen zusät­zlich zu den schweizweit beste­hen­den 18’000 Anla­gen weit­ere Anten­nen gebaut wer­den. In städtis­chen Gebi­eten seien heute 90 Prozent der Sender am Lim­it der erlaubten Leis­tung, schreibt die Swisscom.Bleiben die geset­zlichen Strahlen­gren­zw­erte so beste­hen, benötigt es laut Branchen­ver­band der Mobil­funkan­bi­eter lan­desweit 15’000 zusät­zliche Anten­nen. Für diese müssen Stan­dorte gefun­den wer­den. Deshalb kön­nte sich das BVU vorstellen, dass die Anfra­gen an Kirchge­mein­den für die Mon­tage ein­er Antenne auf dem Kirch­turm zunehmen.

Antenne auf dem Kirchturm in Leuggern

So dürften auch Aar­gauer Kirchge­mein­den Anfra­gen von Telekom­fir­men erhal­ten haben oder noch erhal­ten. Eine dieser Kirchge­mein­den ist Leug­gern. Auf die Anfrage durch die Swiss­com reagierte die Kirchenpflege gemäss Präsi­dent Beat Elsen­er pos­i­tiv. Nach einem öffentlichen Bewil­li­gungsver­fahren ist die Anlage inzwis­chen auf dem Turm der Kirche St. Peter und Paul instal­liert. Die Instal­la­tion erfol­gte in enger Zusam­me­nar­beit mit den Vertretern des lokalen Naturschutzvere­ines, damit sich die unter Schutz ste­hen­den Dohlen weit­er­hin im Kirch­turm wohl fühlen.

Unbemerkte Aufrüstung in «Bagatellverfahren»

Die Antenne auf dem Kirch­turm in Leug­gern sendet mit 4G. Sun­rise erk­lärt, sie betreibe zur Zeit keine 5G-Antenne auf Kirchenge­bäu­den. Doch die drei Konkur­rentin­nen Swiss­com, Sun­rise und Salt treiben ihren Plan, 5G in der Schweiz möglichst bald flächen­deck­end zu instal­lieren, mit Hochdruck voran. In einem ersten Schritt wer­den die bere­its beste­hen­den Anla­gen, welche noch freie Kapaz­ität aufweisen, auf 5G umgerüstet. Dafür braucht es laut Recherchen der Aar­gauer Zeitung nicht zwin­gend eine Baube­wil­li­gung. Mobil­funk­stan­dorte, die tech­nolo­gien­eu­tral bewil­ligt wur­den, kön­nen im soge­nan­nten Bagatel­lver­fahren auf 5G aufgerüstet wer­den. Das kan­tonale Departe­ment BVU bestätigte auf Anfrage der Aar­gauer Zeitung, dass die Mobil­funk­be­treiber dabei ihre Anpas­sun­gen im Sinne ein­er Selb­st­dekla­ra­tion melden. Weil es laut Swiss­com bei einem Drit­tel der Bau­vorhaben Ein­sprachen gibt, ist das Bagatel­lver­fahren für Telekom-Anbi­eter inter­es­sant.

«Irgendwo muss sie ja hin!»

Im Aar­gau sind neben dem Leug­ger­mer Kirch­turm auch die Kirche St. Mar­tin in Rohrdorf sowie die Kirche in Abtwil mit Mobil­funkan­la­gen bestückt. Aus anderen Pfar­reien sind «Hor­i­zonte» keine laufend­en Ver­hand­lun­gen mit Net­z­be­treibern bekan­nt. Hans-Peter Frey, ver­ant­wortlich­er Kirchenpfleger für Bau und Liegen­schaften in Muri, erk­lärt: «Nach meinem Wis­sens­stand – ich bin seit 20 Jahren in der Kirchenpflege – hat­ten wir in dieser Zeit noch nie eine Anfrage.» Deshalb gebe es kein offizielles State­ment der Kirchenpflege, wie sie dem Bau ein­er Antenne gegenüber­ste­hen würde. Der Kirchenpfleger ver­mutet: «Käme eine solche Anfrage, wür­den wir Vor- und Nachteile, Kosten und Nutzen sich­er genau abwä­gen.» Er sel­ber würde voraus­sichtlich eine solche Vari­ante gutheis­sen, nach dem Mot­to: «irgend­wo muss sie ja hin!» Ob dies auch die Kirchen­bürg­er so sähen, könne er schw­er ein­schätzen.

Die Rechnung ohne den Wirt gemacht

In den ver­gan­genen Monat­en wur­den in der Schweiz mehrere Fälle pub­lik, in denen die Kirchenpflege die Rech­nung ohne die Bevölkerung gemacht hat­te. In Alp­nach hat­te der Kirchge­mein­der­at den Ver­trag mit dem Provider schon abgeschlossen, als die Pläne öffentlich wur­den und für einen Auf­s­tand im Obwald­ner Dorf sorgten. Wie die Neue Zürcher Zeitung berichtete, führten die Geg­n­er vor allem ethis­che Gründe an. Mit der 5G-Tech­nolo­gie könne beispiel­sweise von der Schweiz aus Kriegs­ma­te­r­i­al in anderen Län­dern pro­duziert wer­den. Zudem sei keineswegs garantiert, dass Swiss­com langfristig in Schweiz­er Hand bleibe und den Zugang zum Turm ermögliche. Dort hän­gen Glock­en, von denen die älteste aus dem Jahr 1458 stammt und damit wichtiges Kul­turgut darstellt. Auf mas­siv­en Druck aus der Bevölkerung musste der Kirchge­mein­der­at den Ver­trag mit der Swiss­com wieder kündi­gen.

Zurückkrebsen

Im solothur­nischen Krieg­stet­ten argu­men­tierten die Geg­n­er ähn­lich. Auch dort hat­te der Kirchen­rat eine Handy-Antenne ohne Ein­bezug der Öffentlichkeit bewil­ligt. Die Ein­nah­men hätte er gut für den Bau eines neuen Pfar­reizen­trums brauchen kön­nen. Doch auch in Krieg­stet­ten musste der Kirchen­rat zurück­kreb­sen und den Ver­trag kündi­gen. Ein Mitar­beit­er der Pfar­rei erk­lärte gegenüber der Solothurn­er Zeitung, vom the­ol­o­gis­chen Stand­punkt aus gese­hen gehöre eine Mobil­funkan­lage nicht in einen Kirch­turm: «Dort gehören Glock­en hin, mit denen wir zu Gott sprechen.»

Installation einer Antenne als Zweckentfremdung?

Es scheinen also weit mehr als gesund­heitliche Bedenken zu sein, welche den Vor­be­hal­ten gegenüber Handyan­ten­nen auf Kirchen zugrunde liegen. Dies lässt sich auch aus einem Empfehlungss­chreiben an die Kirchge­mein­den im Gebi­et der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn her­ausle­sen, das zwar aus dem Jahr 2004 stammt, doch sehr aktuell klingt: «Es ist nicht Auf­gabe der Kirche, eine umstrit­tene Tech­nik zu fördern, deren Auswirkun­gen auf die Gesund­heit der Men­schen zumin­d­est langfristig noch nicht genü­gend erforscht ist; dies ste­ht in einem gewis­sen Wider­spruch zum diakonis­chen Auf­trag und zum sozialen Engage­ment der Kirche», heisst es da. Aber auch: «Allerd­ings kann sich im Einzelfall auch ergeben, dass die Instal­la­tion ein­er Antenne auf dem Kirch­turm für die Strahlen­be­las­tung der Bevölkerung das kleinere Übel ist […]» und weit­er: «[…] so ist doch auf das Empfind­en der Gläu­bi­gen Rück­sicht zu nehmen, welche die Kirche als Ort der Besin­nung, der Trauer und des Trostes wahrnehmen und sich durch die Nähe ein­er Mobil­funk-Basis­sta­tion beein­trächtigt fühlen. Tat­säch­lich stellt die Instal­la­tion ein­er Antenne eine Zweck­ent­frem­dung dar.»

Entscheidung in der Kompetenz der Kirchgemeinden

Im Aar­gau hal­ten sich die reformierte und die römisch-katholis­che Lan­deskirche zurück mit Empfehlun­gen. Während die römisch-katholis­che Lan­deskirche bis Redak­tion­ss­chluss noch keine Stel­lung nahm, erk­lärt Frank Worbs, Kom­mu­nika­tionsver­ant­wortlich­er der reformierten Kirche im Aar­gau: «Die Entschei­dung über den Ein­bau von Mobil­funkan­ten­nen in kirch­lichen Gebäu­den liegt grund­sät­zlich in der Kom­pe­tenz der Kirchge­mein­den. Der Kirchen­rat hat dazu keine Richtlin­ien erlassen. Der 5G-Stan­dard verän­dert nichts an dieser Sit­u­a­tion.» Falls die Kirchenpflege eine Antenne auf dem Kirch­turm plane, stelle sie ein entsprechen­des Bauge­such an die poli­tis­che Gemeinde, das öffentlich aus­geschrieben wird. Wenn das Bauge­such bewil­ligt wird, muss es auch noch der Kirchge­mein­de­v­er­samm­lung vorgelegt wer­den. So sei zum Beispiel in der Kirchge­meinde Reit­nau eine Mobil­funkan­lage abgelehnt wor­den. Weil Bauge­suche von den Lan­deskirch­lichen Dien­sten geprüft wer­den müssen, erfährt die reformierte Lan­deskirche von solchen Vorhaben. Frank Worbs hält fest: In den let­zten acht bis zehn Jahren ist uns keine reformierte Kirchge­meinde im Aar­gau bekan­nt, die eine Antenne in den Kirch­turm einge­baut hat.»

Klima und Biodiversität indirekt betroffen

Der Vere­in oeku Kirche und Umwelt, das kirch­liche Beratung­sor­gan in ökol­o­gis­chen Fra­gen, hat sich nach eige­nen Angaben bish­er nicht ver­tieft mit dem neuen Mobil­funk­stan­dard befasst, sodass es nicht offiziell Posi­tion bezieht. Doch der The­ologe und Leit­er der oeku-Fach­stelle, Kurt Zaugg-Ott, sagt: «Unsere Schw­er­punk­te sind die Kli­makrise und der Ver­lust der Bio­di­ver­sität. Indi­rekt sind durch den exzes­siv­en Aus­bau des Mobil­funks bei­de The­men betrof­fen. Ein­er­seits wird der Energie­ver­brauch durch den Net­zaus­bau weit­er ansteigen. Zudem soll­ten keine Mobil­funkan­ten­nen in der Nähe von Nist­plätzen bedro­hter Arten ein­gerichtet wer­den.» In Kirchtür­men sind häu­fig Fle­d­er­mäuse, Alpen- und Mauersegler zu Hause. Prob­lema­tisch finde er per­sön­lich, dass auf dem Verord­nungsweg die bish­er in der Schweiz gel­tenden stren­gen Strahlungs­gren­zw­erte aufgewe­icht wer­den sollen. Er für sich würde den Kirchge­mein­den empfehlen, mit der Bewil­li­gung von neuen Anten­nen auf kirch­lichen Gebäu­den zurück­hal­tend zu sein, da der Wider­stand in der Bevölkerung beträchtlich sei.

Die Antenne bekämpfen, aber das Handy nutzen

Zum Schluss sei eine Pas­sage aus dem oben erwäh­n­ten Schreiben an die Kirchge­mein­den im Gebi­et der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn aus dem Jahr 2004 zitiert, welche die Zwiespältigkeit angesichts neuer Tech­nolo­gien auf den Punkt bringt: «Glaub­würdigkeit set­zt voraus, dass mit neuen Tech­nolo­gien generell ein ver­ant­wor­tungs­be­wusster Umgang gepflegt wird. Es ist deshalb wider­sprüch­lich, die Instal­la­tion von Basis­sta­tio­nen zu bekämpfen, gle­ichzeit­ig aber das Handy ohne jede Zurück­hal­tung einzuset­zen. Dies bedeutet, dass ger­ade mit der jün­geren Gen­er­a­tion, welche mit der neuen Tech­nolo­gie aufgewach­sen ist, über den sin­nvollen Umgang das kon­struk­tive, nicht belehrende Gespräch gesucht wer­den muss.»Auf der Über­sicht­skarte sind alle Mobil­funkan­la­gen in der Schweiz ersichtlich.
Marie-Christine Andres Schürch
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