Der lange Schatten des I. Vatikanischen Konzils

Der lange Schatten des I. Vatikanischen Konzils

Die heutige Kirche im Schatten des Ersten Vatikanischen Konzils

Interview mit Prof. Peter Neuner zum Konzil, das das Dogma der Unfehlbarkeit verkündete

Vor 150 Jahren begann das Erste Vatikanis­che Konzil. Dieses block­iere die Kirche bis heute, sagt der Dog­matikpro­fes­sor Peter Neuner in seinem jüng­sten Buch.Was bringt die Aufar­beitung des Ersten Vatikanis­chen Konzils?Peter Neuner: Neben vie­len Erken­nt­nis­sen der The­olo­gie und der Geschichte erschliesst heute das Studi­um des Ersten Vatikanis­chen Konzils (1869/70) die Neuan­sätze des Zweit­en Vatikanis­chen Konzils (1962 bis 1965) und was noch fehlt an dessen Umset­zung in die Prax­is des kirch­lichen Lebens. Dazu gehört eine durchgängige Besin­nung auf die Kirche als Volk Gottes, inner­halb dessen der Papst, die Bis­chöfe, die Priester ihren Dienst ausüben. Das impliziert auch eine Begren­zung der Macht der Amt­sträger und eine Aufw­er­tung der Syn­oden und damit auch der Laien. Was den Men­schen unter den Nägeln bren­nt, muss ein Echo find­en in der Kirche. Es darf nicht mehr so gehen wie in der Frage nach der «Pille», wo Papst Paul VI. mit unter­schiedlichen Kom­mis­sio­nen lange gerun­gen und dann aus eigen­er Voll­macht eine prob­lema­tis­che Entschei­dung getrof­fen hat, die wei­thin nicht angenom­men wurde. Dieses Ver­fahren hat der Glaub­würdigkeit der Kirche sehr geschadet.Das Erste Vatikanis­che Konzil verkün­dete die soge­nan­nte «Unfehlbarkeit des Pap­stes», die der Schweiz­er The­ologe Hans Küng mit dem «Verbleiben der Kirche in der Wahrheit» umschrieb. Wie ist diese Unfehlbarkeit zu ver­ste­hen? Es geht keineswegs um eine moralis­che Qual­ität des Pap­stes als Per­son. Er ist und bleibt sündi­ger Men­sch. Schon im Ersten Vatikanum ist das primäre Sub­jekt der Unfehlbarkeit nicht der Papst, son­dern die Kirche. Der Kirche gilt die Zusage, dass sie nicht defin­i­tiv in die Irrlehre fällt und den Glauben ver­rät. Unter eng umris­se­nen Bedin­gun­gen kann der Papst den Glauben der Kirche for­mulieren, aber dies kann nur immer der Glaube der Kirche sein. Also: Nicht die Kirche ist unfehlbar, weil sie einen unfehlbaren Papst hat, son­dern der Papst kann unter bes­timmten, eng umris­se­nen Bedin­gun­gen unfehlbar sprechen, wenn er den Glauben der Kirche als Volk Gottes zum Aus­druck bringt.Weshalb wurde Hans Küng 1979 die Lehrerlaub­nis in Tübin­gen ent­zo­gen?Hans Küng wurde ange­lastet, dass er die Inde­fek­tibil­ität der Kirche, also die Glauben­saus­sage, dass die Kirche in der Wahrheit gehal­ten wird, für kom­pat­i­bel erk­lärte mit irri­gen Dog­men. Dabei war nicht umstrit­ten, dass auch dog­ma­tisch verbindliche Aus­sagen his­torisch bed­ingt sind, ein­seit­ig sein kön­nen und gegebe­nen­falls ergänzungs­bedürftig sind. Den­noch sind sie nach kirch­lich­er Überzeu­gung nicht ein­fach­hin irrig. Es war eine sehr begren­zte Kon­tro­verse, deretwe­gen Küng die Lehrbefug­nis ent­zo­gen wurde.Das zweite Dog­ma des Konzils bet­rifft die rechtliche Stel­lung des Pap­stes, den soge­nan­nten Juris­dik­tion­spri­mat. Was ver­ste­ht man darunter?Der Juris­dik­tion­spri­mat ist wesentlich umfassender umschrieben als die Unfehlbarkeit. Die For­mulierun­gen sind so gewählt, dass der Ein­druck entste­ht, alle Voll­macht und Gewalt in der Kirche geht vom Papst aus und wird von ihm den Amt­strägern, ins­beson­dere den Bis­chöfen, durch Del­e­ga­tion ver­liehen.Fall­en der Pflichtzöli­bat und das Kom­mu­nion­ver­bot für Nichtkatho­liken unter den Juris­dik­tion­spri­mat? Das sind Beispiele, die in der kirch­lichen Öffentlichkeit beson­dere Beach­tung find­en. Darüber hin­aus ist der Papst zufolge des Kirchen­rechts frei, wie er den Rat der Bis­chöfe auf­greift und in seine Entschei­dun­gen zur Ord­nung des kirch­lichen Lebens ein­bezieht. Ein wichtiges Beispiel war die Enzyk­li­ka «Humanae vitae» über die Geburten­regelung, die Papst Paul VI. 1968 gegen die mehrheitliche Überzeu­gung der Kirche und der Bis­chöfe ver­fügte. Auch die Tat­sache, dass der Papst die Bis­chöfe nach sein­er freien Wahl ernen­nen kann und dass die Diöze­sen oder die betr­e­f­fend­en Bischof­skon­feren­zen kein Mit­spracherecht haben, ist hier von erhe­blichem Belang, und das bis heute.Inwiefern block­iert das Erste Vatikanis­che Konzil die Kirche bis heute, wie Ihr Buchti­tel besagt?Das Erste Vatikanum stand im Zeichen der Abwehr eines Angriffs auf die Kirche, während das Zweite Vatikanum die Fen­ster öffnete und neue Luft herein­lassen wollte. Allerd­ings ent­stand hier die Schwierigkeit, dass Konzilien Ein­mütigkeit anstreben. Um auch die kon­ser­v­a­tiv­en Bis­chöfe zu gewin­nen und ihnen die Zus­tim­mung zu den Doku­menten zu ermöglichen, hat man die entschei­den­den Sätze des Ersten Vatikanums im Zweit­en Vatikanum zitiert und sie dort wieder­holt. Fak­tisch haben kon­ser­v­a­tive Kreise vor allem der römis­chen Kurie sich auf jene Texte bezo­gen, die das II. Vatikanum aus dem I. Vatikanum über­nom­men hat. Diese For­mulierun­gen kamen auch in das kirch­liche Geset­zbuch – den Codex Iuris Canon­i­ci – von 1983, und bes­tim­men das kirch­liche Leben bis heute. Trotz aller Erneuerun­gen, die das II. Vatikanum selb­stver­ständlich gebracht hat.Sind in der Kirche Entschei­dungs­find­un­gen durch demokratis­che Mehrheit­sentschei­de über­haupt möglich?Wenn Demokratie besagt, dass 51 Prozent der Stim­men über 49 Prozent dominieren, oder wenn sie ver­langt, «one man one vote» (eine Per­son, eine Stimme), ist sie für kirch­liche Entschei­dung­sprozesse nicht anwend­bar. Aber auch in Demokra­tien gibt es Grun­dentschei­dun­gen, die nicht durch ein­fache Mehrheit geän­dert wer­den kön­nen oder die ein­er Verän­derung grund­sät­zlich ent­zo­gen sind. Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., hat ein­mal ein Sys­tem als Muster kirch­lich­er Demokratie beze­ich­net, in dem die Bis­chöfe, ein­schliesslich des Bischofs von Rom, die Klerik­er und das ganze Volk Gottes gehört und in die Entschei­dun­gen ein­be­zo­gen wer­den und kein­er dieser drei Part­ner über­gan­gen wird. Wenn die Kirche nicht ein­fach­hin als Demokratie im poli­tis­chen Sinn ver­fasst sein kann, fol­gt daraus keines­falls, dass sie abso­lutis­tis­chen Denkmustern fol­gen dürfte.Die christkatholis­che Kirche hat sich den Dog­men des Ersten Vatikanis­chen Konzils nicht angeschlossen. Unter welchen Bedin­gun­gen kön­nte sich eine Ein­heit zwis­chen der römisch-katholis­chen und der christkatholis­chen Kirche bilden?Fak­tisch ist die the­ol­o­gis­che Annäherung zwis­chen der römisch-katholis­chen Kirche und der christkatholis­chen schon weit fort­geschrit­ten. Viele der Refor­men, die die Christkatho­liken nach 1870 durchge­führt haben, hat auch das II. Vatikanum vol­l­zo­gen. Die Sorge der Kri­tik­er nach dem I. Vatikanum, nun werde eine Flut von «unfehlbaren» Glaubensentschei­dun­gen über die Kirche here­in­brechen, hat sich jeden­falls nicht erfüllt. Fak­tisch haben die Päp­ste nur ein einziges Mal den Anspruch auf Unfehlbarkeit erhoben, bei der Dog­ma­tisierung der leib­lichen Auf­nahme Mariens in den Him­mel. In der Prax­is rech­net heute nie­mand mehr mit der Verkündi­gung neuer Dog­men.Zurzeit wird die Frauen­frage in der Kirche kon­tro­vers disku­tiert. Braucht es dazu ein neues Konzil oder kön­nte der Papst in Absprache mit den Bischof­skon­feren­zen neue Wege eröff­nen? Das Prob­lem konzen­tri­ert sich auf die Zulas­sung von Frauen zu den kirch­lichen Ämtern. Hier hat Papst Johannes Paul II. zwar defin­i­tiv, aber nicht «unfehlbar» gesprochen. Die Gründe, die gegen eine Ordi­na­tion von Frauen ange­führt wer­den, sind von unter­schiedlichem Gewicht, unwider­sprech­lich und zwin­gend sind sie nicht. Die Sit­u­a­tion wird heute in den ver­schiede­nen Regio­nen der Kirche sehr unter­schiedlich gese­hen. The­ol­o­gisch ist in dieser Frage mehr möglich, als in der Kirche derzeit fak­tisch ver­wirk­licht wird. Inter­view für kath.ch: Stephan Leim­gru­ber, emer­i­tiert­er Pro­fes­sor für Reli­gion­späd­a­gogik und Didak­tik des Reli­gion­sun­ter­richts an der Katholisch-The­ol­o­gis­chen Fakultät der Uni­ver­sität München und ehe­ma­liger Spir­i­tu­al des Priestersem­i­nars St. Beat in Luzern.      
Christian von Arx
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