Reif für die Insel?

Reif für die Insel?

Sprich­wörter 2,1–5 Mein Sohn, wenn du meine Worte annimmst und meine Gebote beherzigst, der Weisheit Gehör schenkst, dein Herz der Ein­sicht zuneigst, wenn du nach Erken­nt­nis ruf­st, mit lauter Stimme um Ein­sicht bittest, wenn du sie suchst wie Sil­ber, nach ihr forschst wie nach Schätzen, dann wirst du die Furcht des Her­rn begreifen und Gotte­serken­nt­nis find­en.Ein­heit­süber­set­zung 2016 

Reif für die Insel?

«Ich füh­le mich reif für die Insel» – mit dieser bekan­nten Phrase wollen wir zum Aus­druck brin­gen, dass wir drin­gend Ferien, Pause oder Erhol­ung brauchen. Aber sind wir, wenn wir «ferien­reif» sind, auch wirk­lich «reif» für die Ferien? Bei­des hört sich so ähn­lich an – und doch … Es ist span­nend, dass dieses kleine Wörtchen «reif» in der deutschen Sprache einen dop­pel­ten Sinn hat.«Ich bin ferien­reif» – damit will man sagen, dass man drin­gend Pause braucht, dass man ein biss­chen genug hat von allem und drin­gend ein­fach weg und raus möchte.«Ich bin reif» dage­gen meint, eine gewisse Vol­len­dung erre­icht zu haben, wie zum Beispiel bei ein­er Frucht, die voll entwick­elt und zum Essen bere­it ist.Ja, ich bin «ferien­reif», aber – bin ich auch «reif» für die Ferien? Oder, mit anderen Worten: Habe ich die Kun­st des Ferien­machens über­haupt gel­ernt? Denn Ferien sollen ja keine Flucht aus dem All­t­ag sein oder dazu führen, dass wir das «Leben» nur noch auf diese Tage und Wochen des Jahres reduzieren. Es gibt Leute, die nur noch für ihre Ferien arbeit­en und darauf warten, auszureis­sen, um abzuschal­ten und sich von der Arbeit zu dis­tanzieren.Und dann gibt es die anderen, die sich gegen Ferien wehren, die das unnötig find­en, die lieber zur Arbeit gehen, weil es ihnen dort am wohlsten ist oder weil sie aus ihrem Ham­ster­rad gar nicht mehr rauskom­men. Und bes­timmt gibt es noch viele andere Gründe, warum die einen Ferien machen und andere nicht.Eine gesunde Bal­ance zu find­en, klar für sich zu wis­sen, was man wirk­lich braucht und wie man seine Zeit gestal­ten will, ist manch­mal gar nicht so ein­fach. Ein­er, der in allen Bere­ichen des Lebens stets um das rechte Mass bemüht war, war der hl. Benedikt. Er strebte für seine Mönche einen aus­ge­wo­ge­nen Lebensstil an, der wed­er unter- noch über­forderte.Gelingt es uns, mit den Ferien sehr bewusst ein Gegengewicht zum All­t­ag zu set­zen, ohne diesen dadurch entwerten zu wollen, haben wir wohl etwas von der «Kun­st des Ferien­machens» ver­standen. Wer zum Beispiel in seinem All­t­ag viel mit Men­schen zu tun hat, der ist in den Ferien vielle­icht auch gerne mal ein biss­chen alleine. Wer viel alleine ist, dem tut in den Ferien bes­timmt die men­schliche Nähe ganz gut. Wer sehr ver­plant nach Ter­minkalen­der lebt, braucht in den Ferien viel Freies und Spon­tanes. Wer eher geord­net lebt, sucht vielle­icht den Ner­venkitzel, und wer im All­t­ag genug Aufre­gung hat, ist wohl für Ruhe und Entspan­nung dankbar. So kön­nen All­t­ag und Ferien­zeit sich ergänzen und gemein­sam zu einem gelun­genen Leben beitra­gen.In der Benedik­t­sregel war das Kri­teri­um für ein gelun­ge­nes Mönch­sein (und bes­timmt auch Men­sch­sein) die «Suche nach Gott». Hier kommt eine bedeu­tende Dimen­sion dazu: So schön die Ruhe auf ein­er paradiesis­chen Insel in der Karibik oder bei der Wan­derung in den Bergen auch sein mag, die richtige Ruhe find­en wir let­ztlich nur in Gott. Und er gibt sie uns auch, wenn wir ihn darum bit­ten und nach ihm suchen … auch (oder ger­ade!) in den Ferien.Nadia Miri­am Keller, The­olo­gin, arbeit­et als Spi­talseel­sorg­erin i.A. am St. Claraspi­tal in Basel
Regula Vogt-Kohler
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