Die Fra­ge nach der sym­bol­haf­ten Bedeutung

Die Fra­ge nach der sym­bol­haf­ten Bedeutung

Exodus 14,15–15,1Der Engel Got­tes, der den Zug der Israe­li­ten anführ­te, erhob sich und ging an das Ende des Zuges und die Wol­ken­säu­le vor ihnen erhob sich und trat an das Ende. Sie kam zwi­schen das Lager der Ägyp­ter und das Lager der Israe­li­ten. Die Wol­ke war da und Fin­ster­nis, und Blit­ze erhell­ten die Nacht. So kamen sie die gan­ze Nacht ein­an­der nicht näher. Mose streck­te sei­ne Hand über das Meer aus und der Herr trieb die gan­ze Nacht das Meer durch einen star­ken Ost­wind fort. Er liess das Meer aus­trock­nen und das Was­ser spal­te­te sich. Die Israe­li­ten zogen auf trocke­nem Boden ins Meer hin­ein, wäh­rend rechts und links von ihnen das Was­ser wie eine Mau­er stand. Die Ägyp­ter setz­ten ihnen nach; alle Pfer­de des Pha­rao, sei­ne Streit­wa­gen und Rei­ter zogen hin­ter ihnen ins Meer hin­ein. Um die Zeit der Mor­gen­wa­che blick­te der Herr aus der Feu­er- und Wol­ken­säu­le auf das Lager der Ägyp­ter und brach­te es in Verwirrung.(Ein­heits­über­set­zung gekürzt) 

Die Fra­ge nach der sym­bol­haf­ten Bedeutung

Ich erin­ne­re mich an die hef­ti­gen Som­mer­ge­wit­ter, die mir als Bau­ern­kind jeweils sehr bedroh­lich vor­ka­men. Ich wuss­te, dass sich Hagel kurz vor der Ern­te ver­hee­rend aus­wirk­te, oder dass ein Blitz­schlag im Nu unse­re gan­ze Scheu­ne in Brand set­zen konn­te. Nebst der kind­li­chen Auf­re­gung über den ohren­be­täu­ben­den Lärm eines Gewit­ters beschlich mich des­halb stets eine Furcht über bevor­ste­hen­des Unheil. Ich weiss noch, wie mir in sol­chen Situa­tio­nen das Ver­hal­ten mei­ner Gross­tan­te immer etwas son­der­bar vor­kam. Nah­te näm­lich ein Gewit­ter, dann goss sie Weih­was­ser in eine Scha­le und leg­te die­se auf den Fen­ster­sims. Manch­mal tauch­te sie ihre Fin­ger­spit­zen ins hei­li­ge Nass und bespreng­te damit den Platz vor dem Fen­ster, nicht ohne sich selbst und uns Kin­dern ein Kreuz auf die Stirn zu zeich­nen. Für mich als Kind war das jeweils sehr trost­voll, auch wenn ein mini­ma­ler Zwei­fel bestehen blieb, ob wir durch die­ses magi­sche Ver­hal­ten vom Gewit­ter nun wirk­lich ver­schont blei­ben wür­den oder nicht.Im obi­gen Bibel­text wird uns das geheim­nis­voll-magi­sche Ver­hal­ten des Mose vor Augen geführt. Die schüt­zen­de Wol­ken­säu­le bleibt selbst als Natur­phä­no­men obskur.Immer wie­der beschäf­tigt mich die Fra­ge, wie wir mit sol­chen Tex­ten umge­hen sol­len. Auf der einen Sei­te kön­nen wir, gegen unse­ren Ver­stand ankämp­fend, ver­su­chen, sie wört­lich und bild­lich zu neh­men. Dabei besteht jedoch die Gefahr eines Fun­da­men­ta­lis­mus, der kei­ne kri­ti­schen Fra­gen zulässt, son­dern blin­den Glau­bens­ge­hor­sam for­dert.Auf der ande­ren Sei­te kön­nen wir sie als unwahr, unrea­li­stisch und frei erfun­den in die Welt der Mär­chen kata­pul­tie­ren. Ähn­lich drück­te es der Theo­lo­ge Rudolf Bult­mann aus: «Man kann nicht elek­tri­sches Licht und Radio benut­zen, in Krank­heits­fäl­len moder­ne medi­zi­ni­sche und kli­ni­sche Mit­tel in Anspruch neh­men und gleich­zei­tig an die Gei­ster- und Wun­der­welt des Neu­en Testa­ments glau­ben.» In sei­nen Augen war der nai­ve Glau­be an die bibli­sche Wun­der­welt defi­ni­tiv erle­digt.Doch wel­che Bedeu­tung hat die bibli­sche Über­lie­fe­rung, und wie kön­nen wir heu­te mit ihren Erzäh­lun­gen umge­hen? In der Fol­ge von Bult­manns Äus­se­run­gen ent­stand dar­über eine hef­ti­ge Debat­te. Dem Sprach­phi­lo­so­phen Paul Ricœur ist die Über­le­gung zu ver­dan­ken, dass es eine zwei­te Annä­he­rung an den bibli­schen Text braucht, auch wenn die Nai­vi­tät im Sin­ne von Bult­mann auf­ge­ge­ben wur­de. In der von Ricœur gefor­der­ten «Zwei­ten Nai­vi­tät» geht es dar­um, kri­ti­sche Fra­gen und Zwei­fel an den Text zuzu­las­sen und nach der sym­bo­li­schen und sinn­haf­ten Bedeu­tung der Über­lie­fe­rung zu fra­gen. Dabei soll gezielt die Betrach­tungs­wei­se ein­ge­nom­men wer­den, als ob es tat­säch­lich so pas­siert wäre. So wird der theo­lo­gi­sche Sym­bol­ge­halt der bibli­schen Meta­phern erschlos­sen. Am Bei­spiel der Wol­ken­säu­le kann dies heis­sen, dass ich sie als Sym­bol dafür ver­ste­he, dass Gott ein Gott ist, der – beson­ders in bedroh­li­chen Situa­tio­nen – weg­wei­send und schüt­zend ins Leben der Men­schen ein­greift. Und damit kann ich per­sön­lich sehr wohl etwas anfan­gen!Mathi­as Jäg­gi, Theo­lo­ge und Sozi­al­ar­bei­ter in der Pfar­rei Hei­lig-Kreuz, Bin­nin­gen-Bot­t­min­gen, Berufs­schul­leh­rer und Fachhochschuldozent
Redaktion Lichtblick
mehr zum Autor
nach
soben