Eine Frau mit Weit­blick und Tiefgang

Eine Frau mit Weit­blick und Tiefgang

Sprich­wör­ter 31Eine tüch­ti­ge Frau, wer fin­det sie? Sie über­trifft alle Per­len an Wert. Das Herz ihres Man­nes ver­traut auf sie, und es fehlt ihm nicht an Gewinn. Sie tut ihm Gutes und nichts Böses alle Tage ihres Lebens. Sie sorgt für Wol­le und Flachs und arbei­tet voll Lust mit ihren Hän­den … Sie öff­net ihre Hand für den Bedürf­ti­gen und reicht ihre Hän­de dem Armen … eine Frau, die den Herrn fürch­tet, sie allein soll man rühmen.Ein­heits­über­set­zung 2016 

Eine Frau mit Weit­blick und Tiefgang

Ein­mal im Jahr schrei­be ich mei­ner gleich­alt­ri­gen, in Genf leben­den Cou­si­ne eine Kar­te. Sie heisst Fran­çoi­se und hat am 9. März Namens­tag. Es ist der Tag der hei­li­gen Fran­zis­ka von Rom, Fran­ce­s­ca Roma­na.Als ich in Rom stu­dier­te, gewann ich die­se Frau lieb, eine Zunei­gung, die sich im Lau­fe der Jah­re mit wach­sen­der Hoch­ach­tung ver­band. Fran­ce­s­ca gehört zu Rom wie Romu­lus und Remus, wie das Kolos­se­um und der hei­li­ge Petrus. Sie leb­te mit­ten in der Stadt, am Fuss des Kapi­tol­hü­gels. In der nahe­ge­le­ge­nen Kir­che Maria Nova fand sie Kon­takt zu einem Kon­vent von Bene­dik­ti­ner­mön­chen. Hier grün­de­te sie 1421 eine Grup­pe von soge­nann­ten Obla­tin­nen. Das waren Frau­en, die in ihrem gewohn­ten Umfeld leb­ten, wohn­ten und wirk­ten, gleich­zei­tig aus der Klo­ster­re­gel des hei­li­gen Bene­dikts geist­li­che Nah­rung und Ori­en­tie­rung bezo­gen. Mit die­sen Frau­en wid­me­te sich Fran­ce­s­ca dem Dienst an den Kran­ken, Armen, Obdach­lo­sen, Ver­wahr­lo­sten. Von denen gab es in Rom damals unzäh­li­ge, war doch die Stadt infol­ge von Krie­gen, Hun­gers­nö­ten und Seu­chen und stän­di­gen Riva­li­tä­ten zwi­schen Päp­sten und Gegen­päp­sten arg her­un­ter­ge­wirt­schaf­tet, regel­recht ver­ödet. Dane­ben trug Fran­ce­s­ca, von deren sechs Kin­dern nur ein Sohn das Erwach­se­nen­al­ter erreich­te, die Ver­ant­wor­tung für ihr herr­schaft­li­ches Haus­halt­we­sen. Dazu gehör­ten eine auf­wen­di­ge Logi­stik, Per­so­nal­füh­rung und Vor­rats­hal­tung, Gebäu­de­un­ter­halt und Finanz­pla­nung.Nach dem Tod des Gat­ten rich­te­te sie in ihrem Palaz­zo zusam­men mit andern Obla­tin­nen ein klö­ster­li­ches Leben ein und wid­me­te sich weit­her­um der Lie­bes­tä­tig­keit. Zu ihrer Zeit war das höchst unge­wohnt, ja unge­hö­rig, denn from­me Frau­en gehör­ten nach land­läu­fi­ger Mei­nung hin­ter Klo­ster­mau­ern! Doch die­ses Frau­en­bild und Frau­en­ide­al war schon damals alt­backen und anti­quiert, geprägt von patri­ar­cha­len Denk­mu­stern. Statt­des­sen nahm sich Fran­ce­s­ca «die tüch­ti­ge Frau» zum Vor­bild, von der das Alte Testa­ment spricht. Ihr Ide­al ist nicht die per­fek­te Haus­frau, ihr Revier geht weit über «Kin­der, Küche, Kir­che» hin­aus. Das war schon damals nicht mehr zeit­ge­mäss. Nur dau­er­te es sehr, sehr lan­ge, bis die kirch­li­che Obrig­keit das begrif­fen hat. Die him­mel­schrei­en­de Not, das hilf­lo­se Lei­den der Men­schen vor der Haus­tür waren ein Appell Got­tes, auf den tüch­ti­ge Frau­en wie Fran­ce­s­ca Roma­na gläu­big und glaub­wür­dig ant­wor­te­ten mit unmit­tel­ba­rer, gut orga­ni­sier­ter Hilfs­be­reit­schaft!Ein Fres­ken­zy­klus, der das römi­sche Stadt­klo­ster Tor de’ Spec­chi schmückt, hält vie­le Epi­so­den aus ihrem Leben fest. Die Bil­der erin­nern an die gros­se Ver­eh­rung und das kind­li­che Zutrau­en, das die Men­schen im dama­li­gen Rom Fran­ce­s­ca ent­ge­gen­brach­ten; trö­stend, hei­lend und oft Wun­der wir­kend war sie den Men­schen nahe. Dar­über hin­aus erzäh­len die Fres­ken von den geist­li­chen Erfah­run­gen und vom Ein­blick in über­ir­di­sche Wahr­hei­ten, die ihr zuteil wur­den, auch von ihrem ver­trau­ten Umgang mit dem Schutz­en­gel, dem sie sich tief ver­bun­den fühl­te.Fran­ce­s­ca, eine gereif­te, lebens­er­fah­re­ne Wit­we, stand mit bei­den Bei­nen auf dem Boden der har­ten Rea­li­tät, war daheim in den Sphä­ren des Gei­stes und bestens ver­traut mit den Ange­le­gen­hei­ten des Her­zens, öff­ne­te ihre Hän­de den Armen und Hilf­lo­sen und rich­te­te gleich­zei­tig die Anten­nen ihrer See­le him­mel­wärts. Eine tüch­ti­ge Frau, die ihre Aus­strah­lung bewahrt hat bis heu­te.Peter von Sury, Abt des Bene­dik­ti­ner­klo­sters Mariastein
Redaktion Lichtblick
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