Die Kanti Baden entdeckt Afghanistan

Die Kanti Baden entdeckt Afghanistan

  • Nahe bei der Kan­ton­ss­chule Baden liegt die Flüchtling­sun­terkun­ft im ehe­ma­li­gen Restau­rant «Metropol». Seit Feb­ru­ar 2018 tre­f­fen sich Kan­tis­chü­lerin­nen und ‑schüler regelmäs­sig mit Asyl­suchen­den zum Deutschler­nen.
  • Um mehr über das Herkun­ft­s­land der Asyl­suchen­den zu erfahren, hat die Kan­ti Baden eine «Afghanistan­woche» organ­isiert. Heute Don­ner­stag, 29.11, und mor­gen Fre­itag, 30.11, laufen die let­zten Ver­anstal­tun­gen.
 Ter­ror und Tal­iban. Das fällt vie­len als erstes ein, wenn von Afghanistan die Rede ist. Doch  Simon Hof­mann, Geschicht­slehrer an der Kan­ton­ss­chule Baden, begin­nt seine Afghanistan­lek­tion mit Polo Hofer. Der gemein­same Nen­ner zwis­chen Polo und Afghanistan heisst – wenig schme­ichel­haft für den ver­stor­be­nen Musik­er – «Dro­gen». Eine Liedzeile im Song «Sum­mer 68» lautet: «Mir hei’s begriffe, si wägem Kiffe nach Kab­ul». Simon Hof­mann erzählt vom Hip­pie-Trail, der aus­ländis­che Touris­ten durch Afghanistan führte. 700’000 Aus­län­der kamen in den 1970er-Jahren jährlich nach Kab­ul, viele wegen der Dro­gen. Heute pro­duziert Afghanistan schätzungsweise 85 Prozent des weltweit­en Opi­ums, aus dem Hero­in hergestellt wird. Die Hälfte des afghanis­chen Brut­toin­land­pro­duk­ts stammt aus der Dro­gen­pro­duk­tion. Also doch: Ter­ror, Tal­iban, Dro­gen und Anar­chie?

Weder romantisieren noch verachten

Als Gegen­bild zeigt Simon Hof­mann den ersten Band des Reise­führers «Lone­ly Plan­et» aus dem Jahr 1973. «Across Asia on the Jeep» heisst das Buch. Es zeich­net ein roman­tis­ches Bild von Afghanistan. Von ein­er Land­schaft mit ursprünglich­er Schön­heit und ural­ten Städten ist die Rede. Schwärmerisch erzählt das Buch von den stolzen Afgha­nen, Inbe­griff der «Edlen Wilden». Aber Simon Hof­mann betont: «Wed­er Roman­tisierung noch Ver­ach­tung wer­den Afghanistan gerecht.»

Der Plan hat funktioniert

Sarah Knecht und Ben­jamin Ruch unter­richt­en bei­de an der Kan­ton­ss­chule Baden. Von ihnen stammt die Idee, dass Kan­tis­chü­lerin­nen und ‑schüler den Bewohn­ern des nahen Asyl­heims Deutschstun­den geben kön­nten. Aus eigen­er Erfahrung weiss Sarah Knecht, dass viele Schüler sich gerne sozial engagieren. Die Biolo­gielehrerin erin­nert sich, dass sie sel­ber als Schü­lerin solche Möglichkeit­en sehr schätzte. Neben ihrem Beruf hat sie schon ver­schiedentlich frei­willig mit Flüchtlin­gen gear­beit­et, auch im Aus­land. Ben­jamin Ruch ist Kan­tonaler Beauf­tragter der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche an der Kan­ti Baden, er unter­richtet Reli­gion und organ­isiert Pro­jek­te mit kirch­lichem Bezug. Sarah Knecht und er hät­ten den Schülern anfangs bei der Koor­di­na­tion der Deutschlek­tio­nen mit ihren afghanis­chen Schülern geholfen, inzwis­chen organ­isierten sich die Grup­pen via What­sapp-Chat jedoch selb­ständig, erk­lärt Ben­jamin Ruch. «Das war von Anfang an unser Plan und es freut mich, dass er so gut funk­tion­iert hat», sagt Sarah Knecht.

Voller Ehrgeiz am Sporttag

Aus den Deutschlek­tio­nen hat sich ein guter Kon­takt zwis­chen Kan­tis­chülern und Asyl­suchen­den ergeben. Viertk­läss­lerin Maja Buri erzählt von einem WM-Fuss­ball­spiel, das sie zusam­men mit den afghanis­chen Flüchtlin­gen im «Foy­er» der Kan­ti geschaut haben: «Ein super Abend! Wir haben den Match geschaut, zusam­men disku­tiert, gefeiert und danach auch gemein­sam geputzt und aufgeräumt». Auch beim Sport­tag der Kan­ti waren einige Asyl­suchende dabei. «Wir fragten sie an, ob sie bei uns in der Mannschaft mit­spie­len. Sie waren mit vollen Ein­satz und richtig viel Ehrgeiz dabei, so dass wir am Schluss sog­ar gewon­nen haben», erzählt eine Schü­lerin. Mit dem inten­siv­eren Kon­takt ist auch das Inter­esse am Herkun­ft­s­land der Flüchtlinge gewach­sen. Wie sieht es in Afghanistan aus? Wie lebt man dort? Warum haben die jun­gen Män­ner ihr Land ver­lassen?

Spielball fremder Mächte

Auf die let­zte Frage bekom­men die mehr als 30 Besucherin­nen und Besuch­er der ersten Ver­anstal­tung der Afghanistan­woche Antworten. Simon Hof­mann zeigt, dass die Kon­stan­ten von Afghanistans Geschichte Kon­flik­te, poli­tis­che Insta­bil­ität und eine schwache Zen­tral­regierung sind. Das Land von der Grösse Frankre­ichs wurde im Lauf der Geschichte immer wieder zum Spiel­ball fremder Mächte. Die Briten schufen dann mit ihrer Grenzziehung von 1919 ein kolo­niales Kon­strukt, das enormes Kon­flik­t­po­ten­tial birgt. Im Land gibt es 49 Sprachen, 200 Dialek­te und über 50 Eth­nien. Die nationale Iden­tität ist schwach aus­geprägt, die wichtig­sten Iden­titäts­bezüge sind die Fam­i­lie, die Clans, die Stammes­grup­pen und die Dör­fer. So laden sich Kon­flik­te leicht religiös oder eth­nisch auf.

Das Ziel ist Frieden

40 Jahre Bürg­erkrieg hat Afghanistan hin­ter sich. Die Hälfte der Bevölkerung ist geflo­hen oder wurde ver­trieben. Noch immer herrscht im Land Bürg­erkrieg. Diverse Gebi­ete verteilt übers ganze Land sind von den Tal­iban statt von der offiziellen Regierung kon­trol­liert. Auch der soge­nan­nte Islamis­che Staat beansprucht ein Gebi­et für sich und ist im Land mit seinem Ter­ror präsent. Afghanistan hat 25 Prozent Arbeit­slosigkeit und über 60 Prozent Anal­pha­beten. Eine Lösung mit mil­itärischen Mit­teln hat sich über die Jahrzehnte als Trugschluss erwiesen. Die USA ver­suchen heute, mit den Tal­iban eine Ver­hand­lungslö­sung zu find­en. Das Ziel ist Frieden im Land. Simon Hof­mann schätzt vor­sichtig: «Es scheint wahrschein­lich­er als auch schon, dass eine Lösung der Kon­flik­te am Ver­hand­lungstisch möglich sein kön­nte».

Schotterpisten und Fladenbrot

Frieden in Afghanistan wün­scht sich auch Mar­tin Hon­gler. Dann kön­nte er endlich zu Fuss durch Kab­ul streifen und das «Gewusel» in den Strassen haut­nah erleben. Bei der momen­ta­nen Sicher­heit­slage ver­fol­gt er das Treiben in der Haupt­stadt jew­eils nur vom Auto aus. Der 62-jährige ehe­ma­lige Unternehmer engagiert sich als Frei­williger in der Afghanistan­hil­fe. Das ist eine von Frei­willi­gen geführte Organ­i­sa­tion mit einem Jahres­bud­get von etwa 900’000 Franken. Auf den Hin­weis eines Kan­ton­ss­chülers das sei ja «kein Betrag» ent­geg­net er munter: «Gegenrede: für dieses Geld kriegen sie in Afghanistan vier Schul­häuser». In der Aula der Kan­ti hielt Mar­tin Hon­gler am Dien­sta­gnach­mit­tag einen Vor­trag über die Arbeit der Afghanistan­hil­fe. Anhand viel­er Fotos schilderte er sowohl das Leben in den rasch wach­senden, schw­er zu regieren­den Städten als auch in der ein­samen, staubig-kar­gen und öden Berg­land­schaft. Die Afghanistan­hil­fe baut Schulen und Waisen­häuser und betreibt Kranken­sta­tio­nen in Zusam­me­nar­beit mit der afghanis­chen «Shuha­da Orga­ni­za­tion». Im Vor­trag von Mar­tin Hon­gler erfuhren die Schü­lerin­nen und Schüler, dass es in Afghanistan das weltbeste Fladen­brot gibt, dass der Handyemp­fang erstaunlich gut ist und die afghanis­chen Fahrer auf Schot­ter­pis­ten bess­er fahren als auf Teer­be­lag.

«Egoismus mit positivem Output»

Mar­tin Hon­gler erwäh­nte auch, dass viele junge Män­ner nach Europa wollen und er ab und zu nach Tipps gefragt werde. Aber sein Traum sei, diese jun­gen Leute zu eigen­er wirtschaftlich­er Tätigkeit im eige­nen Land zu ermuntern – was lei­der schwierig umzuset­zen sei. An Mar­tin Hon­glers Schilderun­gen erkan­nten die Zuhör­er, dass stets eine Prise Aben­teuer seine Pro­jek­treisen nach Afghanistan begleit­et. Den Kan­tis­chü­lerin­nen und –schülern gab er mit auf den Weg: «Ich helfe, weil es mir Spass macht. Insofern ist sich­er auch Ego­is­mus dabei. Aber Ego­is­mus mit pos­i­tivem Out­put ist mein­er Ansicht nach etwas Gutes».

Besuch im Asylheim

Nach so vie­len Infor­ma­tio­nen für Augen und Ohren stand am Mittwoch der Besuch im Asyl­heim im ehe­ma­li­gen Restau­rant «Metropol» auf dem Pro­gramm. Die zwölf jun­gen Afgha­nen zeigten den anwe­senden Schülern, Lehrern und weit­eren Inter­essierten ihre Unterkun­ft und erzählten — auf Deutsch — vom Leben in Afghanistan. Dann servierten die jun­gen Män­ner ein selb­st gekocht­es Reis­gericht. Einige Besucherin­nen assen auf der Treppe sitzend, andere im Schnei­der­sitz am Boden, denn es waren deut­lich mehr Leute gekom­men als Stüh­le vorhan­den waren. «Das ist doch genau richtig so», freute sich Sarah Knecht, «es zeigt, dass unsere Schüler solche Pro­jek­te schätzen. Ich finde, Schule und soziales Engage­ment passen gut zusam­men».Mehr zur Afghanistan-Woche der Kan­ton­ss­chule BadenInfos zur Afghanistan­hil­fe 
Marie-Christine Andres Schürch
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