Der Begriff Altersseelsorge ist missverständlich

Der Begriff Altersseelsorge ist missverständlich

  • Mit einem inno­v­a­tiv­en deutschschweizweit­en Aus­bil­dungsange­bot reagiert das Pas­toralin­sti­tut an der The­ol­o­gis­chen Hochschule Chur auf den Umstand, dass sich die Gesellschaft und damit auch die Sozialgestalt von Kirche verän­dert: Immer mehr Men­schen wer­den bei guter Gesund­heit immer älter.
  • Im Jan­u­ar 2019 startet der erste the­ma­tis­che CPT-Kurs, der sich an alle Vollthe­olo­gen und Reli­gion­späd­a­gogen wen­det, die in Pfar­reien und Ein­rich­tun­gen mit dem The­ma Seel­sorge mit alten Men­schen in Kon­takt kom­men. Eine Anmel­dung ist noch möglich, es gib noch freie Plätze.
 Das The­ma Alter und Seel­sorge beschäftigt die kirch­lichen Kreise. In der Zürcher Kan­ton­alkirche wurde vor rund vier Jahren der Bedarf nach Aus- und Weit­er­bil­dung so gross, dass eine Anfrage an das Pas­toralin­sti­tut der The­ol­o­gis­chen Hochschule Chur gelangte. In der Folge entwick­elte man einen Praxiskurs mit dem Titel «Seel­sorge mit alten Men­schen im Hor­i­zont ein­er ‚Gesellschaft des lan­gen Lebens‘». Mitkonzip­iert wurde dieser Kurs von der geschäfts­führen­den Lei­t­erin des Pas­toralin­sti­tutes, Bir­git Jeg­gle-Merz.

Eine erste Frage an Birgit Jeggle-Merz:

«Bir­git Jeg­gle-Merz, Sie haben den Kurs mit­gestal­tet, der 2019 zum ersten Mal durchge­führt wird. Ab wann ist ein Men­sch denn alt? Bir­git Jeg­gle-Merz: Nach der Lit­er­atur begin­nt Alt-sein etwa mit 50 Jahren. Da gehöre ich beispiel­sweise dazu, auch wenn ich mich nicht so füh­le. Wenn ich die Lebenser­wartung in unser­er Gesellschaft anschaue, werde ich fast 50 Prozent meines Lebens als alt definiert. Alt assozi­ieren wir oft mit Rol­la­tor, Stock, ander­er Klei­dung, ver­schiede­nen Gebrechen oder mit Heimen. Doch die wenig­sten 60-Jähri­gen gehen mit Stock oder Rol­la­tor. Ich glaube, es muss vor allem darum gehen, einen neuen Zugang zum The­ma zu bekom­men und es pos­i­tiv zu for­mulieren: Die Gesellschaft verän­dert sich demografisch und damit ist auch die Sozialgestalt der Kirche im Fluss. Es gibt tausend Auf­brüche und gle­ichzeit­ig keine ein­heitliche Entwick­lung mit ein­er benennbaren Rich­tung. Neg­a­tivbeschrei­bun­gen sind immer sehr ein­fach, doch wir glauben, dass wir die jet­zige Sit­u­a­tion, die Form, wie sich Kirche im Jet­zt darstellt, wahrnehmen soll­ten. Es geht deshalb in der Aus­bil­dung auch nicht um fer­tige Rezepte. Es geht um die Pro­fes­sion­al­isierung von Per­so­n­en, die sich in der Jet­zt-Zeit mit dem The­ma auseinan­der­set­zen und für ihr jew­eiliges Umfeld im Heim oder in der Pfar­rei Lösungswege und Wege des Umgangs damit find­en wollen. Das ver­suchen wir, mit dem CPT-Kurs aufzu­greifen.»

CPT — In der Seelsorgesituation steckt immer der ganze Mensch

CPT — das ist die Abkürzung für Clin­i­cal Pas­toral Train­ing, die Klin­is­che Seel­sorgeaus­bil­dung, die seit 1971/72 jährlich als prax­is­na­he und kirch­liche Seel­sorgeaus­bil­dung in der Schweiz ange­boten wird. Eine zweit­eilige Artikelserie in der Schweiz­erischen Kirchen­zeitung SKZ aus dem Jahr 2016 beschreibt detail­liert das Ver­ständ­nis von CPT. Klin­isch meint nicht, dass die Absol­ventin­nen und Absol­ven­ten eines solchen Kurs­es zwin­gend in einem Spi­tal arbeit­en müssen. CPT ist für die Seel­sorge in der Pfar­rei eben­so bere­ich­ernd. Den­noch besuchen bish­er vor allem vollthe­ol­o­gisch aus­ge­bildete Spi­talseel­sor­gende die CPT-Kurse. Darin will sich der neue CPT-Kurs aus­drück­lich von den bish­eri­gen Kursen unter­schei­den.Im CPT find­en  ver­schiedene Meth­o­d­en aus ver­schiede­nen Schulen der Sozial­wis­senschaften ihre Anwen­dung. Es geht um eine umfassende Befähi­gung zum Gespräch und zur Inter­ak­tion mit dem Gegenüber. Der Grundgedank­te der CPT-Aus­bil­dung ist, dass in ein­er Gesprächssi­t­u­a­tion immer der ganze Men­sch anwe­send ist. Jede Seel­sorg­erin, jed­er Seel­sorg­er sitzt zwar in sein­er Rolle, jedoch auch mit sein­er gesamten Biogra­phie einem anderen Men­schen gegenüber. Diese Biogra­phie ist ein­er­seits ein Reich­tum, ander­er­seits kön­nen einzelne Episo­den zum Stolper­stein für den Seel­sor­gen­den wer­den. Die eigene Per­son ist das wichtig­ste Instru­ment für die Seel­sor­gen­den, deshalb ist Seel­sorgeaus­bil­dung per­sön­lichkeit­sori­en­tiert: Seel­sorge braucht reife Per­sön­lichkeit­en, die sich selb­st ken­nen und ihr Gegenüber wirk­lich ken­nen­ler­nen möcht­en.  Den­noch ist die CPT-Aus­bil­dung  – so ein oft geäussertes Vorurteil – keine Ther­a­pie.

Eine zweite Frage an Birgit Jeggle-Merz:

«Frau Jeg­gle-Merz, oft spricht der Inhalt ein­er Aus­bil­dung inter­essierte Men­schen an, doch dann kom­men Hem­mungen auf, weil man glaubt, nicht qual­i­fiziert genug zu sein. Wie sieht das bei dem neuen CPT-Kurs aus? Bir­git Jeg­gle-Merz: Der CPT-Kurs hier in Chur, der auch für Men­schen aus den Bistümern Basel und St. Gallen offen ist, richtet sich an Vollthe­olo­gen aber aus­drück­lich auch an Reli­gion­späd­a­gogen und let­ztlich an alle, die mit dem The­ma Alter in ihrer Arbeit in der Pfar­rei kon­fron­tiert wer­den, ihre Kom­pe­ten­zen stärken wollen und im kirch­lichen Kon­text fest ver­ankert sind. So hat ein Pfar­rer eine engagierte Frau aus sein­er Gemeinde, die sich the­ol­o­gisch eben­falls weit­er­bildet, für die Aus­bil­dung angemeldet. Er und wir trauen ihr das zu! Die pas­toralen Mitar­bei­t­en­den, die es gibt, reichen nicht, um den Bedarf zu deck­en, deshalb gehen wir da neue Wege. Das heisst, eine gewisse the­ol­o­gis­che Bil­dung sollte vorhan­den sein. Doch die grosse Stärke unseres Ange­botes ist, dass wir hier flex­i­bel auf die Bedürfnisse der Teil­nehmerin­nen und Teil­nehmer reagieren kön­nen. Wenn sich her­ausstellt, dass ein­er Gruppe noch the­o­retis­ches Wis­sen zu einem The­ma fehlt, kön­nen wir hier die entsprechen­den Fach­leute von der The­ol­o­gis­chen Hochschule für Frage- und Antwort­stun­den dazu holen. Zudem ist der Kurs so angelegt, dass die Vollthe­olo­gen und die anderen Teil­nehmenden viele Inhalte getren­nt voneinan­der erar­beit­en. Gle­ichzeit­ig gibt es immer wieder Zeit­en, in denen sich die bei­den Grup­pen tre­f­fen und aus­tauschen kön­nen. Deshalb wäre es toll, wenn bei­de Kurs­grup­pen zus­tande kämen.»

Gegen das pfannenfertige Rezept – jede Erfahrung zählt

Im Gespräch mit Hans Niggeli, Fach­stel­len­leit­er Spital‑, Klinik- und Heim­seel­sorge der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche im Aar­gau, wird deut­lich, welche Knack­punk­te es beim Praxi­sein­satz geben kann: «Ein­mal geht es um struk­turelle Dinge. Wenn ich in einem Pas­toral­raum unter­wegs bin, bin ich let­ztlich kon­fes­sionell gebun­den, denn ich bin als Vertreter ein­er katholis­chen regionalen Form unter­wegs. Im Spi­tal bin ich im Auf­trag der Lan­deskirche auf dem Weg und begleite alle, unab­hängig von Kon­fes­sion oder Reli­gion. Und es kön­nen the­ma­tis­che Her­aus­forderun­gen auftreten. Entwed­er, weil im Heim jemand aus ein­er Pfar­rei ist und mich von daher ken­nt und gute oder weniger gute Erfahrun­gen mit mir gemacht hat; es gibt dann eine gemein­same Geschichte. Oder, weil ich in einen anderen Kon­text einge­bun­den werde: Beispiel­sweise Pal­lia­tive Care und dann wieder als insti­tu­tioneller Seel­sorg­er wahrgenom­men werde».

Eine letzte Frage an Birgit Jeggle-Merz:

«Frau Jeg­gle-Merz, wie geht ein Kurs mit den ver­schiede­nen Set­tings um, aus denen die Teil­nehmenden kom­men. Stadt oder Land, Pfar­rei oder Insti­tu­tion? Bir­git Jeg­gle-Merz: Der Wert des CPT ist, dass wir nicht the­o­riefokussiert arbeit­en, son­dern dass wir die Teil­nehmenden befähi­gen, gute Prax­is­ar­beit zu machen. Die Praxis­er­fahrung in ganz unter­schiedlichen Kon­tex­ten brin­gen die Frauen und Män­ner bere­its mit. Das Kerngeschäft des CPT ist nun die Reflek­tion der je eige­nen Erfahrun­gen aus den Blick­winkeln der ver­schiede­nen Meth­o­d­en und im Spiegel der eige­nen Biografie. Die Stärke dieses neuen CPT-Kurs­es zum grossen The­ma Seel­sorge mit altern­den Men­schen ist, dass wir sowohl auf die verän­derte kirch­liche Sit­u­a­tion reagieren als auch auf die Bedürfnisse der­jeni­gen Men­schen, die vor Ort bere­its im The­ma arbeit­en. Wir sind für diejeni­gen Men­schen da, die beglei­t­end arbeit­en und offen sind, für das, was in Kirche grade The­ma ist. Wir gehen weg aus der Neg­a­tivbeschrei­bung und der Man­gelver­wal­tung und schauen, was schon da ist und wie man damit die Kirche, die wir alle sind, verän­dern kann. Das ist im Prinzip ein Par­a­dig­men­wech­sel.»Der CPT-Kurs find­et ab Anfang Jan­u­ar 2019 an ins­ge­samt sieben (Block)terminen in Chur statt. Eine Anmel­dung ist bis Ende Dezem­ber 2018 möglich. Mehr Infor­ma­tio­nen und Kon­tak­tangaben find­en Sie auf www.pastoralinstitut.ch 
Anne Burgmer
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