«Ich plädiere für konstruktiven Ungehorsam»

«Ich plädiere für konstruktiven Ungehorsam»

Bar­bara Müller-Zwygart ist nicht nur freis­chaf­fende Schaus­pielerin, son­dern auch Mal- und Kun­st­ther­a­peutin, macht Coach­ing und Beratung sowie sys­temis­che Paarther­a­pie. Sie wurde in ein­er lebendi­gen reformierten Kirchge­meinde gross und erlebte die Ökumene als natür­liche Gegeben­heit. Später, als reformierte Pfar­rfrau, erfuhr sie die verbindende Gemein­schaft unter­schiedlich­ster Frauen. Am FrauenKirchen­Fest vom Fre­itag, 18. August 2017, ist Bar­bara Müller-Zwygart eine von drei «Tis­chred­ner­in­nen». Ihr Beitrag wird ein wenig aus der Rei­he tanzen: Sie hält keine Rede, son­dern ver­lei­ht in kurzen The­ater­szenen den Frauen des 16. Jahrhun­derts eine Stimme. Im Inter­view erk­lärt sie, warum sie vor dem Auftritt unbrauch­bar sein wird und welche Emo­tio­nen in ihr hochkochen.Bar­bara Müller-Zwygart, Sie lassen am Frauenkirchen­fest die Stimme der Frau des 16. Jahrhun­derts erleb­bar wer­den. Wie bere­it­en Sie sich auf diesen Auftritt vor? Bar­bara Müller-Zwygart: Ich habe eigentlich drei Auftritte, den ersten schon beim Apéro. Da werde ich mit den Frauen ins Gespräch kom­men. Es sollen kleine Dialoge entste­hen, in denen das Gesund­bleiben im Mit­telpunkt ste­ht. Denn das Gesund­bleiben und damit das Über­leben bes­timmten im Mit­te­lal­ter den All­t­ag. Das stellte ich bei der Lek­türe zahlre­ich­er Büch­er fest. Beim Apéro kom­men dann noch spezielle Hil­f­s­mit­tel zum Ein­satz, die ich auf einem Mit­te­lal­ter­markt in Zürich gefun­den habe. Mehr möchte ich aber noch nicht ver­rat­en.Was erwartet die Frauen bei Ihrem zweit­en Auftritt? Im Gottes­di­enst werde ich ein Gebet sprechen. Auch dafür habe ich viele Texte aus der Zeit der Ref­or­ma­tion gele­sen. Pos­i­tiv hat mich dabei die Sprache über­rascht, die gar nicht so alt­modisch daherkommt, wie ich erwartet hat­te. Auch der Kör­p­er, den wir heute oft vergessen, kommt vor. Die Gebete aus dieser Zeit berück­sichti­gen Geist, Seele und Kör­p­er. Im Moment ist das Gebet allerd­ings noch vier Seit­en lang. Ich werde ver­suchen, die Tat­sachen von damals mit Hil­fe der Sprache von heute zu for­mulieren.In ihrem drit­ten Auftritt geben Sie ein­er Frau aus der Refor­ma­tion­szeit eine Stimme. Woher nehmen Sie die Inspi­ra­tion? Auch da haben mir Büch­er geholfen, mich in die Leben­sum­stände der Frauen hinein zu fühlen. Wobei es gar nicht so ein­fach war, aus der ver­füg­baren Lit­er­atur die Per­spek­tive der Frauen her­auszu­fil­tern. Zum Beispiel sind die Briefe von Zwingli erhal­ten, die sein­er Frau jedoch nicht – oder nur, wo expliz­it Zwingli zur Sprache kommt. Der Besuch des Mit­te­lal­ter­mark­ts hat mir ermöglicht, diese Zeit auch mit den anderen Sin­nen zu erfassen. Das ist meine Vor­bere­itung in his­torisch­er Hin­sicht.Und in schaus­pielerisch­er Hin­sicht? Da habe ich Work­shops bei der deutschen Schaus­pielerin und Schaus­piel­coach Bet­ti­na Lohmey­er besucht. Im Früh­ling habe ich ihr gezeigt, was ich für das Frauenkirchen­fest entwick­le. Solche Work­shops mache ich regelmäs­sig, um mich weit­erzu­bilden, sie sind für mich See­len­nahrung. Dabei habe ich schon viele Ansätze ken­nen­gel­ernt und aus­pro­biert: Sprechthe­ater, Film, Impro­vi­sa­tion­sthe­ater, Pan­tomime, Clownthe­ater, Lesun­gen, das Spiel mit dem Sprachrhyth­mus oder Atem- und Sprechtech­nik. Die let­zte grosse Her­aus­forderung für mich war und ist die Meth­ode von Susan Bat­son «Wahrhaftigkeit im Schaus­piel», welche ich bei Bet­ti­na Lohmey­er ler­nen darf. Da geht es darum, das wahrhaftige, organ­is­che Leben eines Charak­ters auf die Bühne, beziehungsweise vor die Kam­era zu brin­gen.Was muss man sich darunter vorstellen? Man schaut in sein­er eige­nen Biografie: wann und wo habe ich Ähn­lich­es erlebt wie meine Fig­ur? Dann geht es darum, sich zu erin­nern, was man in dieser Sit­u­a­tion gehört, gerochen, gese­hen und gespürt hat. Das Ziel ist, die Emo­tio­nen der Fig­ur während des Spiels sel­ber zu empfind­en. Während des Auftritts bin ich inner­lich ver­bun­den mit den eige­nen erlebten Emo­tio­nen. Damit das funk­tion­iert, muss ich schon in den Tagen vor dem Auftritt die Gefüh­le der Fig­ur in mir hochkom­men lassen.Das klingt nach Aus­nah­mezu­s­tand. Das ist es auch. Der Ansatz des authen­tis­chen The­aters fordert mehr von mir als andere The­ater­for­men. Auch die Vor­bere­itung ist viel, viel inten­siv­er. Vor einem Auftritt bin ich nicht brauch­bar, das weiss inzwis­chen auch meine Fam­i­lie. Ich bin dann ver­bun­den mit dieser Suppe, die da in mir köchelt.Und nach dem Auftritt sind Sie fix und fer­tig? Man sagt ja, Schaus­piel­er soll­ten nach dem Auftritt nicht Aut­o­fahren, sie seien dann nicht sich sel­ber. Früher habe ich das nicht geglaubt, heute kann ich es bestäti­gen. Man ist dann in einem anderen Zus­tand, hellwach. Ich kann nach einem Auftritt meist nicht gut ein­schlafen. Deshalb halte ich es so, dass ich am fol­gen­den Tag alles ein wenig ruhiger ange­he.Welche Gefüh­le kochen vor dem Auftritt am Frauenkirchen­fest in Ihnen hoch? Ich suche nach den Ambivalen­zen dieser Refor­ma­tion­szeit. Ein­er­seits gab es auf ein­mal neue Wahl- und Bil­dungsmöglichkeit­en für Frauen. Ander­er­seits gab es noch immer Hex­en­ver­bren­nun­gen. Frauen wur­den immer bevor­mundet, zuerst vom Vater, dann vom Ehe­mann oder vom Kloster­vorste­her. Ich stellte mir Fra­gen wie: Wie fühlt sich das an, wenn eine Mut­ter Tag und Nacht um das Über­leben der Kinder kämpft? Wie fühlt es sich an, als ledi­ge ehe­ma­lige Nonne geächtet zu sein? Mich da hineinzu­ver­set­zen erschüt­tert mich zum Teil sehr. Ich empfinde grossen Respekt für die Frauen dieser Zeit. Diese Urkraft, die in diesen Frauen gewe­sen sein muss!Ein Vor­bild auch für Frauen heute? Was mich beson­ders beein­druckt ist, dass viele dama­lige Frauen es geschafft haben, nicht in die Opfer­hal­tung hineinzukom­men, son­dern hand­lungs­fähig zu bleiben. Getrof­fen hat mich vor allem ein Satz, den die Autorin Chris­tine Brück­n­er Katha­ri­na Luther in den Mund legt: «Es ist schw­er genug, dich immer zu lieben… aber ver­lange nicht auch noch Gehor­sam.» Auch ich möchte nicht gehorchen, son­dern das, was ich tue, mit Liebe tun. Ich plädiere für kon­struk­tiv­en Unge­hor­sam. Das bed­ingt, dass man nicht die Opfer­rolle wählt, son­dern lernt, für sich einzuste­hen. In meinem per­sön­lichen Leben hat dieser Unge­hor­sam dazu geführt, dass ich meine Traum­berufe gewählt habe.Und ein Vor­bild für die Kirche? Unsere Kirche – damit meine ich bei­de Kon­fes­sio­nen – kön­nte den Unge­hor­sam so inter­pretieren, dass sie loslassen kann, was nicht mehr passt und damit lebendig bleibt. Ich wün­sche mir eine Kirche, die offen ist für neue, mod­erne For­men. Eine, die sich traut, etwas auszupro­bieren. Luther hat vor seinem The­se­nan­schlag ja auch nicht gefragt, ob er da Nägel ein­schla­gen dürfe. Auch Luther und seine Frau waren unge­hor­sam, eben­so das Ehep­aar Zwingli.Und natür­lich wün­sche ich mir eine Kirche, in der Frauen ihre Stimme erheben dür­fen. Wer etwas zu sagen hat, soll die Stimme erheben dür­fen. Und wer nichts zu sagen weiss, soll nicht bloss schweigen, son­dern zuhören. 22. öku­menis­ches FrauenKirchen­Fest Aar­gau Fre­itag, 18. August 2017, 17 bis 22 Uhr, reformierte Kirchge­meinde Brem­garten-Mutschellen, Bel­likon­er­strasse 210, Widen. Hier bis Fre­itag, 11. August anmelden. www.frauenkirchenfest.ch
Marie-Christine Andres Schürch
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