
Flüchtlinge aus der Ukraine — was sind und waren die Herausforderungen?
- Mit welchen HerÂausÂforderunÂgen sehen sich Geflüchtete sowie die BehörÂden und GastÂfamÂiÂlien in der Schweiz ein Jahr nach der rusÂsisÂchen InvaÂsion in der Ukraine konÂfronÂtiert?
- Die DiskusÂsionÂsrunde PfefÂferÂoni, organÂisiert vom AarÂgauisÂchen KatholisÂchen FrauenÂbund AKF, befasste sich mit dieser Frage.
- Die GeschäftsÂführerin der CarÂiÂtas, ein FlüchtlingsÂbeÂtreuer, eine geflüchtete ukrainisÂche MutÂter, ein StadÂtrat von RheÂinÂfelden und die Co-LeiÂtÂerin des SozialÂdienÂsts AarÂgau diskuÂtierten, in welchen SitÂuÂaÂtioÂnen der SchweizÂer PerÂfekÂtionÂisÂmus zum ProbÂlem wird und welche ModÂelle im AsylÂweÂsen ZukunÂft haben sollÂten.
Vor einem Jahr begann die InvaÂsion RusÂsÂlands in der Ukraine. Tausende MenÂschen verÂliessen fluchtarÂtig das Land, um sich in SicherÂheit zu brinÂgen. Auch im KanÂton AarÂgau suchtÂen seit März 2022 bereÂits zehn Mal mehr Flüchtlinge UnterÂschlupf als noch ein Jahr zuvor. Der AarÂgauisÂche KatholisÂche FrauenÂbund hat deshalb in einÂer DiskusÂsionÂsrunde im Hotel KetÂtenÂbrücke in Aarau die HerÂausÂforderunÂgen angeÂsprochen.
«Vsjo budet choroscho — Alles wird gut.» Ein UkrainisÂchÂer Satz, den FlüchtlingsÂbeÂtreuer Thomas HäfeÂli mehrmals täglich hört und inzwisÂchen auch selbÂst zum Besten gibt. HunÂderte Flüchtlinge betreut er in Gipf-OberÂfrick. Die meisÂten von ihnen sind MütÂter mit ihren Kindern oder ältere Leute. «Diese KonÂstelÂlaÂtion hat zu einÂer soforÂtiÂgen SolÂiÂdarÂität bei der SchweizÂer Bevölkerung geführt», erkÂlärt HäfeÂli. Von einem Tag auf den anderen sei der Krieg da geweÂsen, nieÂmand hatÂte so etwas erwartet. «Und alles war so nahe, in einem europäisÂchen Land gleÂich nebeÂnan», so HäfeÂli.
«Schutzstatus S»
Im März letÂzten Jahres wurde in der Schweiz erstÂmals der «SchutzsÂtaÂtus S» für Geflüchtete aus der Ukraine aktiviert. Er gilt für PerÂsoÂnÂen, welche vom BunÂdesrat aufÂgrund von besÂtimmten KriÂteÂrien für «schutzbedürftig» erkÂlärt werÂden. Ihre AufÂnahme in der Schweiz erfolÂgt ohne AsylverÂfahren, rasch, und bis der SchutzbeÂdarf wieder entÂfällt. So schreibt es das AsylgeÂsetz vor. Ein neuer StaÂtus, welchÂer KanÂtone und GemeinÂden vor HerÂausÂforderunÂgen stellte: «PlötÂzlich stand ich vor einem Berg ForÂmuÂlaÂre, frei nach dem MotÂto ‘Mach mal‘», erzählt Thomas HäfeÂli von seinen ErfahrunÂgen. Aber auch das HilÂfÂswerk CarÂiÂtas stand auf einÂmal vor unerÂwarteten ProbÂleÂmen:
Es haben alle Unterstützung nötig
«Wir hörten Sätze wie: ‘Die UkrainÂer sind echte Flüchtlinge, die komÂmen aus einem echtÂen Krieg‘», erzählt die GeschäftsÂführerin von CarÂiÂtas AarÂgau, FabiÂenne NotÂter. Hier in der Schweiz würÂden jedoch viele weitÂere Flüchtlinge leben, welche ebenÂfalls aus KriegsÂgeÂbiÂeten gefloÂhen sind: «Diese verÂsteÂhen dann natürÂlich nicht, weshalb die ukrainisÂchen Flüchtlinge mit ihrem «SchutzsÂtaÂtus S» beispielÂsweise gratis in den Zug steigen dürÂfen und sie nicht», erkÂlärt NotÂter. Klar gäbe es zu unterÂscheiÂden, ob es sich um junge eritreisÂche MänÂner hanÂdle oder um ukrainisÂche MütÂter mit ihren Kindern. «Die haben jedoch auch nicht dieselÂben Bedürfnisse», so NotÂter. TrotzÂdem findÂet sie: «Alle haben UnterÂstützung nötig. Da muss sich die Schweiz jetÂzt einÂfach öffÂnen und allen HilÂfe anbieten».[esf_wordpressimage id=42947 width=half float=right][/esf_wordpressimage]
Die Leute haben ihre Herzen geöffnet
Viel UnterÂstützung hat auch die UkrainerÂin MarÂiÂjana Tabarkevych erfahren. Vor einem Jahr ist sie mit ihren Kindern und ihrer SchwestÂer aus der Ukraine gefloÂhen. In der ZwisÂchenÂzeit arbeitÂet sie als Betreuerin in der AsyÂlunÂterkunÂft in Lenzburg. «Die MenÂschen hier in der Schweiz haben nicht nur ihre Türen geöffnet, sonÂdern auch ihre Herzen», erzählt die zweifache MutÂter dankbar. Jeden Tag seien aufs Neue Leute gekomÂmen und hätÂten sie gefragt, was sie noch brauchen könÂnen: «So haben wir zum Beispiel LapÂtops organÂisiert und sponÂtan Deutschkurse angeÂboten», erzählt Tabarkevych.
GerÂade die deutsche Sprache sei sehr wichtig, betont die UkrainerÂin. Nur so bekäÂmen die Flüchtlinge rasch eine Arbeitsstelle: «Die Leute möchtÂen selbÂst Geld verÂdiÂenen, in WohÂnunÂgen ziehen und auch Miete dafür bezahlen.» Doch die OrganÂiÂsaÂtion der Sprachkurse lässt laut den anweÂsenden FlüchtlinÂgen etwas zu wünÂschen übrig: «Diese Bürokratie hier, es dauert einÂfach alles sehr lange», sagt Tabarkevych verÂwunÂdert.
Auch der Kanton wünschte sich mehr Flexibilität
Weshalb es mit den Deutschkursen so lange dauert, kann auch Pia-Maria BrugÂger, die Co-LeiÂtÂerin des SozialÂdienÂsts des KanÂtons AarÂgau, nicht beantÂworten. Dies liege nicht in ihrem ZuständigkeitsÂgeÂbiÂet. TatÂsächÂlich warten jedoch einige PerÂsoÂnÂen seit elf MonatÂen auf einen geeigneten Sprachkurs. BrugÂger gesteÂht: «Ehrlich gesagt wurÂden auch wir am Anfang ziemÂlich überÂranÂnt mit der SitÂuÂaÂtion». Zudem sei die Schweiz ein perÂfekt organÂisiertes Land und gerÂade dieser PerÂfekÂtionÂisÂmus bringe das SysÂtem manchÂmal an die GrenÂzen, wie BrugÂger mit einem Beispiel aus ihrem ZuständigkeitsÂgeÂbiÂet verÂanÂschaulicht: «SchickÂen wir beispielÂsweise Leute ohne proÂfesÂsionelle ukrainisÂche SprachkenÂntÂnisse mit den FlüchtlinÂgen zum Arzt, so könÂnte etwas falsch verÂstanden werÂden.» Auch gäbe es Ärzte, welche die PatienÂten ohne DolÂmetschÂer schlicht nicht empÂfanÂgen wollÂten. «Also organÂisieren wir dafür proÂfesÂsionelle ÜberÂsetÂzer, um uns abzuÂsichÂern, und das führt dann zu lanÂgen und teuren WartelisÂten», so BrugÂger.
Wunsch nach Frieden ist allgegenwärtig
Zum Schluss blickÂte ModÂerÂaÂtorin NoeÂmi LanÂdolt mit ihren Gästen noch etwas in die ZukunÂft. Was wünÂschen sie sich für 2023? «Frieden für meine Heimat und meine LandÂsleute und dass alle wieder ein glückÂlichÂes Leben führen könÂnen», antwortet die UkrainerÂin MarÂjiana Tabarkevych. Auch Dominik Burkhardt, StadÂtrat von RheÂinÂfelden, stimmt ihr zu. 450 Geflüchtete kann er in der ÜberÂbauÂung DianaÂpark in RheÂinÂfelden aufnehmen. Viele sind bereÂits letÂzten Juni eingeÂzoÂgen, noch hat es aber Plätze frei. Sein SchlussfazÂit: «Ich bin vorÂsichtig optiÂmistisch. So viel EngageÂment und so viel SolÂiÂdarÂität, wie wir im letÂzten Jahr erlebt haben, das wäre wohl in anderen SitÂuÂaÂtioÂnen nicht so geweÂsen. Es wird nicht einÂfach sein, solche UnterkunÂftsmodÂelle wie zum Beispiel die GastÂfamÂiÂlien in anderen Fällen aufrecht zu erhalÂten.» TrotzÂdem wünÂschen sich alle AnweÂsenden: «Wir müssen die ErfahrunÂgen in die ZukunÂft traÂgen und die neu geschafÂfeÂnen ModÂelle, wie die UnterkunÂftsmöglichkeitÂen, möglichst beibehalÂten.»