Wach sein in der ungewissen Stunde

Wach sein in der ungewissen Stunde

Lukas 12,35–38Jesus spricht: Eure Hüften sollen gegürtet sein und eure Lam­p­en bren­nen! Seid wie Men­schen, die auf ihren Her­rn warten, der von ein­er Hochzeit zurück­kehrt, damit sie ihm sogle­ich öff­nen, wenn er kommt und anklopft! Selig die Knechte, die der Herr wach find­et, wenn er kommt! Amen, ich sage euch: Er wird sich gürten, sie am Tisch Platz nehmen lassen und sie der Rei­he nach bedi­enen. Und kommt er erst in der zweit­en oder drit­ten Nachtwache und find­et sie wach – selig sind sie.Ein­heit­süber­set­zung 2016 

Wach sein in der ungewissen Stunde

«Nichts ist gewiss­er als der Tod, nichts ungewiss­er als seine Stunde.» So brachte der Kirchen­lehrer Anselm die Lebensweisheit auf den Punkt, in mit­te­lal­ter­lichem Latein selb­stver­ständlich. Aber er beg­nügte sich nicht mit dieser ein­fachen Beschrei­bung. Es ging ihm um die Hal­tung der Wach­heit in der Ungewis­sheit der Stunde des Todes. Denn für den glauben­den Men­schen ist der Tod nicht nur das Ende des irdis­chen Lebensweges. Im Tod, unserem sicheren Schick­sal, wer­den wir eins mit Chris­tus in der Ewigkeit der Aufer­ste­hung.Neulich habe ich Cecile getrof­fen. Cecile ist über 80 Jahre alt und tief in einem ver­trauensvollen Glauben ver­wurzelt. Sie hat schon viele Men­schen in ihrer Todesstunde begleit­et, und sie scheut sich nicht, über ihren eige­nen Tod zu sprechen. Allerd­ings macht sie sich da keine Sor­gen, denn sie ist überzeugt, dass für sie gesorgt sein wird, wenn ihr Herz aufhört zu schla­gen, ihr Gehirn aufhört zu denken und ihre Hände nichts mehr tun. Bere­its jet­zt, dur­chaus sehr lebendig, hat sie sich der Güte Gottes anver­traut. Darum macht ihr der Tod keine Angst, auch wenn sie die Stunde seines Ein­tretens nicht ken­nt. Sie ist bere­it.Ich höre Wider­spruch: The­o­retisch weiss ich, dass ich ster­ben werde. Aber erstens denke ich nicht gern daran, dass es auch mich tre­f­fen kön­nte, und zweit­ens lässt sich mein Ster­ben gar nicht ver­mei­den. Es trifft mich sowieso zur Unzeit.Die Mah­nung Jesu zur Wach­samkeit ist lange Zeit ver­nach­läs­sigt wor­den, meine ich. Immer wieder ist sie auf die Wiederkun­ft Christi am Ende der Weltzeit bezo­gen wor­den, auf ein glob­ales Ereig­nis. Das kann noch lange dauern. Da muss man ja müde wer­den. Es ist vernün­ftig, nicht jed­erzeit mit dem Wel­tende zu rech­nen. Die Welt wird mich/uns/die Men­schheit über­leben, das ist wohl sich­er. Allerd­ings kann uns bewusst wer­den, dass die «Welt» immer unsere eigene Welt ist und damit der «Wel­tun­ter­gang» unser Tod. Die Wieder­begeg­nung mit Chris­tus ist mein und dein Ein­tauchen in das Geheim­nis der Aufer­ste­hung am Ende unser­er Tage. Und damit ist sehr wohl zu rech­nen.Darum ist es wichtig, sich Gedanken um die eigene Wach­samkeit zu machen. Das bedeutet, den Tod nicht zu ver­drän­gen, ihn vielmehr vorzu­bere­it­en. Dies geschieht äusser­lich mit Tes­ta­ment und Patien­ten­ver­fü­gung, sozial vielle­icht mit Ver­söh­nung und Loslassen. Im Glauben aber bedeutet Wach­samkeit die Vor­bere­itung auf die Begeg­nung mit dem Aufer­stande­nen, der uns die Hand reicht. Da ist die gewisse Bangigkeit nicht auszuschliessen, denn schliesslich wer­den wir vor der Wahrheit unseres Lebens ste­hen. Gröss­er als die Bangigkeit aber darf die Oster­freude sein, wenn tief in unserem Glaubens­be­wusst­sein ver­ankert ist: Gottes Liebe ist stärk­er als der Tod. Möge uns der Herr wach und bere­it vorfind­en, wenn er kommt, zu ungewiss­er Stunde, aber ganz gewiss.Lud­wig Hesse, The­ologe und Autor, war bis zu sein­er Pen­sion­ierung Spi­talseel­sorg­er im Kan­ton Basel­land  
Christian von Arx
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