Eine Stimme Gottes in unserer Zeit
Jesaja 49,8–11So spricht der Herr: Zur Zeit der Gnade habe ich dich erhört, am Tag des Heils habe ich dir geholfen. Und ich forme dich und mache dich zum Bund mit dem Volk, um das Land aufzurichten und das verödete Erbe zu verteilen, den Gefangenen zu sagen: Kommt heraus! und denen, die in der Finsternis sind: Zeigt euch! An den Wegen weiden sie, auf allen kahlen Hügeln ist ihre Weide. Sie leiden weder Hunger noch Durst, Hitze und Sonnenglut treffen sie nicht. Denn der sich ihrer erbarmt, leitet sie und führt sie zu sprudelnden Quellen. Alle meine Berge mache ich zu Wegen und meine Strassen werden gebahnt sein.Einheitsübersetzung 2016 Eine Stimme Gottes in unserer Zeit
Letzten Oktober waren wir mit der Familie für eine Woche in Rom und besuchten zahlreiche Sehenswürdigkeiten. Wir waren in der Nähe von «San Paolo fuori le mura» untergebracht. Dort besichtigten wir natürlich auch einmal diese neuzeitliche Basilika mit der reich verzierten Kassettendecke und den Mosaikportraits der Päpste. Unweigerlich entfuhr es unserem Jüngsten: «Papa, da sind ja nur Männer, keine Frauen!» Tatsächlich, ausser Maria war in der gesamten Kirche keine weitere Frau abgebildet! Das stimmte mich nachdenklich.Aus diesem Grund hielt ich für den heutigen Beitrag Ausschau nach einer Frau und wurde fündig mit Thea Bowman, deren Todestag am 30. März gefeiert wird. Eigentlich ist sie (noch) gar keine Heilige, könnte es aber noch werden. Ihre Seligsprechung wurde vor vier Jahren in die Wege geleitet. Wer jedoch auf ihr Leben schaut, wird von ihr beeindruckt sein.Sie ist eine Frau unserer Zeit, eine starke Frau. Auf den Bildern wirkt sie aufgestellt und tatenfroh. Ihre Begeisterungsfähigkeit und Fröhlichkeit steckten andere Menschen an, und ihre ausgezeichnete Singstimme konnte alle begeistern. Als hervorragende Rednerin setzte sie sich ein Leben lang für die unterdrückte afroamerikanische Bevölkerung in den USA ein. Legendär ist ihre
Rede vor der US-Bischofskonferenz zum Thema «Rassismus und katholische Kirche». Ihre Rede unterbrach sie mit einem gesungenen Gebet und beeindruckte mit ihrem Charisma die ganze Aula.Thea Bowman war eine Frau, welche die Frohe Botschaft des Propheten Jesaja in die heutige Zeit übersetzte. Gott richtet die Unterdrückten auf, befreit die Gefangenen und kümmert sich um das Wohlergehen der Schwächsten. Der Jesajatext des heutigen Tages ist rund 2500 Jahre alt. Man könnte hoffen, dass doch irgendwann einmal Schluss damit sein sollte, dass es nicht mehr opportun und notwendig ist, solche Trosttexte hören zu müssen. Doch wir werden – auch gerade wieder gegenwärtig! – eines Besseren belehrt und müssen zusehen, wie Menschen einander Leid zufügen und sich die Lebensgrundlage entziehen und zerstören.Wir brauchen Gottes Botschaft, die von aussen an uns herantritt, uns ermahnt und erbaut. Und wir brauchen Menschen wie Thea Bowman, die uns mit ihrer Begeisterung anstecken und ermutigen, einen Beitrag zu mehr Solidarität und damit zu einem friedvollen Zusammenleben zu leisten. Gerade jetzt, wo auf europäischem Boden wieder Krieg das Leben bedroht, brauchen wir diese Zeichen der Solidarität und des Zusammenhalts. Auch die flüchtenden Menschen werden unsere Hilfsbereitschaft und Unterstützung brauchen.Auf der anderen Seite, das wissen wir auch, fängt Unfriede und Unheil bereits im kleinsten Kreis an, in der Familie, unter Freunden, im Quartier oder Dorf. Wenn es uns gelingt, im Kleinen den Weg zu ebnen und Stolperfallen zu beseitigen, dann leisten wir damit sehr wohl einen Beitrag zu einem friedvollen Miteinander, im Kleinen wie im Grossen!
Mathias Jäggi, Theologe und Sozialarbeiter, arbeitet als Berufsschullehrer