200 Jahre Auflösung des Bistums Konstanz

200 Jahre Auflösung des Bistums Konstanz

Domherren sind als visionäre Vordenker gefordert

Im August 1821 löste der Papst das Bistum Konstanz auf

 200 Jahren nach der Auflö­sung des Bis­tums Kon­stanz leben einige Tra­di­tio­nen weit­er – etwa die starke Stel­lung der Domkapi­tel. Der Kirchen­his­torik­er Markus Ries erin­nert daran: Die Domher­ren haben auch eine geistliche Ver­ant­wor­tung. Sie soll­ten ihrer Auf­gabe gerecht wer­den und der Kirche aus der Krise helfen.Das Bis­tum Kon­stanz galt vor 200 Jahren als ver­gle­ich­sweise lib­er­al. Warum war das so? Markus Ries: Lib­er­al ist hier eine anachro­nis­tis­che Kat­e­gorie. Kor­rekt ist, dass die Kon­stanz­er Bis­tum­sleitung, viele Ange­hörige des Klerus und auch Ordensleute eine kon­struk­tive Rezep­tion der Aufk­lärung sucht­en. Und dass sie diese Hal­tung auch nach den grossen Ent­täuschun­gen und Ver­lus­ten der Rev­o­lu­tion­szeit beibehiel­ten.Eine der span­nend­sten Fig­uren vor 200 Jahren war Ignaz Hein­rich von Wessen­berg. Dem Gen­er­alvikar des Bis­tums Kon­stanz wurde vorge­wor­fen, gegen den Pflichtzöli­bat zu sein. Welche anderen Refor­mde­bat­ten von damals beschäfti­gen uns auch heute noch? Viele der damals wichti­gen The­men sind seit dem Konzil wieder in den Vorder­grund getreten: Beteili­gung der Gläu­bi­gen an der Liturgie, Aus- und Weit­er­bil­dung der Seel­sor­gen­den, kirch­liche Medi­en­ar­beit, per­sön­lich­es For­mat der Seel­sor­gen­den, Qual­ität von Predigt und Reli­gion­sun­ter­richt, ja ganz generell der Verkündi­gung.Wenn von Wessen­berg gemäs­sigter gewe­sen wäre: Hätte das Bis­tum Kon­stanz länger beste­hen kön­nen – oder wäre es früher oder später ohne­hin aufgelöst wor­den? In der Tat spielte der Kon­flikt zwis­chen Wessen­berg und dem Luzern­er Nun­tius, einem Teil des Klerus und der Klöster eine wichtige Rolle. Ich kann mir vorstellen, dass die Stadt Kon­stanz ohne diesen Stre­it immer noch Bischof­s­sitz wäre – und nicht Freiburg. Eine Abtren­nung der in Öster­re­ich und der Schweiz gele­ge­nen Teile wäre aber so oder so zu erwarten gewe­sen.Warum gab es nach dem Bis­tum Kon­stanz auf dem Schweiz­er Ter­ri­to­ri­um nicht ein gross­es Bis­tum? Stattdessen wurde ein Teil vom Stift­spropst von Beromün­ster und andere Teile von den Bistümern Basel und Chur ver­wal­tet. Ini­tianten der Reor­gan­i­sa­tion waren die Kan­ton­sregierun­gen. Sie strebten zunächst eine grosse Lösung an. Als sie damit beim Nun­tius auf Wider­stand stiessen, war es rasch vor­bei mit der Einigkeit – und jed­er Kan­ton suchte für sich eine opti­male, kostengün­stige Lösung.Die Bistümer Basel und St. Gallen haben eine weltweit einzi­gar­tige Bischof­swahl. In Basel dür­fen die Kan­tone mitre­den, in St. Gallen muss der Bischof aus St. Gallen kom­men und wird vor Ort gewählt. Wie kam es zu diesen beson­deren Priv­i­legien? His­torisch gese­hen sind es keine Priv­i­legien, son­dern es ist die Weit­er­führung der Tra­di­tion. Dies lag im Inter­esse der Römis­chen Kurie. Rom wollte nicht zulassen, dass die Kan­ton­sregierun­gen das angestrebte Recht zur Bischof­ser­nen­nung erhiel­ten.Welche damals ent­stande­nen Spez­i­fi­ka prä­gen uns noch heute – auss­er der öfter genan­nten Admin­is­tra­tions­ge­bi­ete im Bis­tum Chur und St. Gallen? Spez­i­fisch ist in den Deutschschweiz­er Bistümern die Ver­fas­sung der Domkapi­tel, die sich stark am kirch­lich Gewach­se­nen ori­en­tiert. Die Domkapi­tel übernehmen nicht ein­fach die kapi­tels- und tra­di­tions­feindlichen Grund­hal­tun­gen des Kirchen­rechts von 1918 und 1983. Spez­i­fisch ist auch der Name des Bis­tums Basel – es heisst anders als die Bischof­sstadt.Inwiefern ist die Ver­fas­sung der Domkapi­tel fortschrit­tlich­er als das Kirchen­recht? Die Ver­fas­sung unser­er Domkapi­tel ist nicht fortschrit­tlich­er als das Kirchen­recht, son­dern sie ist tra­di­tion­streuer. Die Domkapi­tel waren tra­di­tionell weit mehr als Wahlmän­nerver­samm­lun­gen: Es han­delte sich um geistliche Kör­per­schaften mit eigen­er Ver­ant­wor­tung, denen der Bischof im gewis­sen Sinne sog­ar Rechen­schaft schuldete.Fast schon eine Art schüchtern­er Anfang von Teilung der Gewalt.  Starb ein Bischof, so trat das Domkapi­tel in seine Funk­tion ein und leit­ete das Bis­tum. All das hat das Geset­zbuch des Kirchen­rechts, der Codex Iuris Canon­i­ci, in seinem monar­chie-ori­en­tierten Organ­i­sa­tionsver­ständ­nis ein­fach abgeschafft.Heute hat man den Ein­druck: Die Ernen­nung zum Domher­rn ist eine Art Ausze­ich­nung – auf der man sich aus­ruht bis zur näch­sten Bischof­swahl. Soll­ten die Domher­ren sich stärk­er ein­brin­gen? Ja. Domkapi­tel sind geistliche Kor­po­ra­tio­nen. Falls sie sich tat­säch­lich auf die Tra­di­tion besin­nen wollen, müssen sie eigen­ständig Ver­ant­wor­tung übernehmen. Sie haben die Möglichkeit, als Vor­denker zu wirken, Impulse zu geben und wesentlich die Zukun­ft mitzugestal­ten.Als Ivo Für­er Bischof von St. Gallen und Gen­er­alsekretär des Rates der europäis­chen Bischof­skon­feren­zen war, war die Schweiz­er Stimme in Europa stärk­er präsent. Täuscht der Ein­druck oder hat das nachge­lassen? Der Rat der Europäis­chen Bischof­skon­feren­zen hat seinen Sitz nach wie vor in St. Gallen. Seine Bedeu­tung verblasst aus drei Grün­den: Erstens: weil inzwis­chen die 1980 geschaf­fene Kom­mis­sion der Bischof­skon­feren­zen der Europäis­che Union in Brüs­sel die Ver­ant­wor­tung wahrn­immt. Zweit­ens: weil der Rat nach wie vor nur die Bis­chöfe verbindet, statt dass er die Teilkirchen ins­ge­samt repräsen­tiert. Und drit­tens: weil er medi­al nicht präsent ist. Inter­view: Raphael Rauch (leicht gekürzte Fas­sung)  
Regula Vogt-Kohler
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