Wo die Römer Schwei­zer­deutsch sprechen

  • Der Vati­kan und, als Beson­der­heit, die Schwei­zer­gar­de fas­zi­nie­ren Tou­ri­sten aus aller Welt.
  • Vier Aar­gau­er Erst­kom­mu­ni­kan­ten haben den Vati­kan und das Quar­tier der Schwei­zer­gar­de besucht.
  • Nun wis­sen sie, wie man eine Hel­le­bar­de rich­tig hält, wo Obdach­lo­se im Vati­kan duschen kön­nen und was die Kan­tons­fähn­chen am Ein­gang des Gar­de­quar­tiers verraten. 

[esf_wordpressimage id=35112 width=half float=left][/esf_wordpressimage]Eine Rei­se nach Rom. Das Erst­kom­mu­ni­on-Geschenk der Gross­el­tern an ihre vier älte­sten Enkel. Vor­freu­de und Auf­re­gung sind gross, denn gleich am ersten Mor­gen steht der Besuch im Vati­kan auf dem Pro­gramm. «Früh auf­ste­hen ist immer eine gute Idee», hat­te ein ehe­ma­li­ger Schwei­zer­gar­dist im Hin­blick auf den Vatik­an­be­such und die dort übli­cher­wei­se vor­han­de­nen Tou­ri­sten­scha­ren geraten. 

So steht das Rei­se­grüpp­chen mor­gens kurz nach Acht auf dem lee­ren Peters­platz. 551 Trep­pen­stu­fen erwar­ten die Früh­auf­ste­her. Die Aus­sicht von der Kup­pel auf die Stadt und die Vati­ka­ni­schen Gär­ten ist grandios.[esf_wordpressimage id=35115 width=half float=right][/esf_wordpressimage]

Auch der Peters­dom ist fast leer und wirkt dadurch noch grös­ser. St. Peter sei gar nicht wie eine Kir­che, fin­det eines der Kin­der. Eher wie ein Muse­um oder eine Aus­stel­lungs­hal­le. Wie um das Gegen­teil zu bewei­sen, tritt aus einer der Säu­len eine Prie­ster-Grup­pe und beginnt in einer Nische, Got­tes­dienst zu feiern.

Im Quar­tier der Schweizergarde

Dass der blau-schwarz Uni­for­mier­te am Ein­gang St. Anna sie auf Bern­deutsch begrüsst, beein­druckt die vier Kin­der fast stär­ker als der rie­si­ge Peters­dom. «End­lich Römer, die Schwei­zer­deutsch kön­nen!» Im Ein­gangs­be­reich des Schwei­zer­gar­de-Quar­tiers ste­hen die Kan­tons­flag­gen im Mini­for­mat. Vor jedem Fähn­chen hängt ein Schild mit einer Zahl. Der Gar­dist am Emp­fang erklärt: Die Zah­len geben an, wie vie­le Gar­di­sten aus einem Kan­ton gera­de in der Gar­de aktiv sind. Auf­ge­li­stet sind jedoch nicht die Wohn­kan­to­ne, son­dern die Hei­mat­kan­to­ne der Gardisten.

Lebens­ret­ten­der Korridor

Hel­le­bar­dier Mat­ti­eu Hüging führt die Grup­pe mit den vier Kin­dern in den Ehren­hof der Schwei­zer­gar­de, zeigt auf das Denk­mal an der Schmal­sei­te und erzählt kurz zusam­men­ge­fasst die Geschich­te des älte­sten Korps der Welt. Die Schwei­zer­gar­de wur­de im Jahr 1506 durch Papst Juli­us II. als Leib- und Palast­wa­che gegrün­det. Wäh­rend der Plün­de­rung Roms durch die Trup­pen Karls V. am 6. Mai 1527, die als «Sac­co di Roma» in die Geschich­te ein­ging, star­ben 147 von 189 Schwei­zer­gar­di­sten. Den rest­li­chen gelang es, Papst Cle­mes VII. durch den «Pas­set­to di Bor­go» vom Vati­kan in die Engels­burg zu ret­ten. Der 6. Mai gilt des­halb als Gedenk­tag der Schwei­zer­gar­de, an dem jedes Jahr die neu­en Gar­di­sten ver­ei­digt werden.

Mat­ti­eu Hüging deu­tet auf die Mau­er, die den Innen­hof zur Vati­kan­sei­te hin begrenzt. Sie ist ein Teil des Geheim­gan­ges, durch den Papst Cle­mens VII. geflo­hen war. Heu­te befän­den sich hier die Zim­mer eini­ger Schwei­zer­gar­di­sten, ver­rät Hüging. Die Kin­der fra­gen nach und erfah­ren, dass die Gar­di­sten zu zweit oder zu dritt in einem Zim­mer woh­nen und alle Zim­mer ein wenig anders auf­ge­teilt seien.

Zwei Stun­den ohne sich zu rühren

[esf_wordpressimage id=35114 width=half float=left][/esf_wordpressimage]Der Besuch in der Waf­fen­kam­mer wur­de von den jun­gen Rom­rei­sen­den mit Span­nung erwar­tet. Sie inter­es­sie­ren sich zwar für die kost­bar geschmie­de­ten Brust­pan­zer und Hel­me, fra­gen aber auch kri­tisch nach, ob die Gar­di­sten im Not­fall wei­te­re Waf­fen zur Ver­tei­di­gung hät­ten. Wie­der draus­sen im Hof instru­iert Hel­le­bar­dier Hüging die Kin­der in der rich­ti­gen Hal­tung beim Wache­ste­hen: Arm auf Schul­ter­hö­he, Bei­ne schul­ter­breit, die Hel­le­bar­de steht vor der Spit­ze des rech­ten Fus­ses. Die Kin­dern sind sich einig: unmög­lich, zwei Stun­den ohne Bewe­gung so zu ste­hen. Was, wenn es einen juckt? Wenn jemand etwas fragt? Wenn man lachen muss?

Ver­git­ter­tes Kasernenfenster

Hin­ter den Kolon­na­den, den Säu­len­rei­hen, die den Peters­platz umschlies­sen, zeigt Mat­ti­eu Hüging einer Mau­er ent­lang in die Höhe: «Hier woh­nen die Rekru­ten», erklärt er. Mit einer Mischung aus Schreck und Skep­sis stu­die­ren die Kin­der das ein­zi­ge Fen­ster auf hal­ber Höhe der Wand. Es ist sehr klein und ver­git­tert. «Wie lan­ge bleibt man denn Rekrut?», ent­schliesst sich einer der Buben zu fra­gen. Der Bescheid, dass die Aus­bil­dung zwei Mona­te daue­re – vier Wochen im Vati­kan, vier Wochen im Tes­sin – scheint ihn zu beru­hi­gen. «Kei­ne Angst», sagt Hel­le­bar­dier Hüging und lacht, «auf der Sei­te gegen­über hat es mehr Fenster.»

Dusche und Frühstück 

[esf_wordpressimage id=35129 width=half float=right][/esf_wordpressimage]Der Schwei­zer­gar­dist berich­tet den Kin­dern aber auch, dass Papst Fran­zis­kus ver­an­lasst habe, dass die Obdach­lo­sen der Stadt jeden Mor­gen in den nied­ri­gen Gebäu­den zwi­schen Kolo­na­den und Apo­sto­li­schem Palast die Toi­let­ten und Duschen benüt­zen dür­fen. Und dass sie hier ein Früh­stück bekom­men. Das bleibt den Kin­dern im Gedächt­nis und wird spä­ter, als sie an einem Mann vor­bei­ge­hen, der im Schlaf­sack in einem Haus­ein­gang schläft, wie­der zum The­ma. Die mit Gold geschmück­ten und mit wert­vol­len Kunst­wer­ken gefüll­ten Kir­chen ste­hen in schar­fem Kon­trast zu den Bett­lern vor ihren Por­ta­len. Eine Tat­sa­che, wel­che die Kin­der weit über die Rei­se hin­aus beschäftigt. 

Marie-Christine Andres Schürch
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