Wirtegottesdienst: Warme Ermutigung

Wirtegottesdienst: Warme Ermutigung

  • Jedes Jahr am Dien­stag vor Ostern find­et im Aar­gau ein Wirte­gottes­di­enst statt. Und dies schon seit den 1950er Jahren.
  • Wirtin­nen und Wirte schätzen das Ange­bot, weil der Kirch­gang am Woch­enende in der Regel wegen der Arbeit nicht möglich ist.
 Unter dem Mot­to «Der Men­sch lebt nicht vom Brot allein», begrüssten die reformierte Gas­troseel­sorg­erin Corinne Dobler (siehe auch im Hor­i­zonte-Porträt) und der katholis­che Zirkusp­far­rer Adi Bolz­ern am Dien­stag über 120 Wirtin­nen und Wirte in der barock­en Klosterkirche von Muri. Jedes Jahr am Dien­stag vor Ostern wird im Aar­gau ein öku­menis­ch­er Wirte­gottes­di­enst gefeiert.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein

Musikalisch bere­ichert wurde die diesjährige Feier vom Wirte­chor Brem­garten. Dieser Män­ner­chor wurde 1951 von sanges­freudi­gen Wirten gegrün­det. Die vor­ge­tra­ge­nen Lieder ern­teten in der eiskalten Kirche war­men Beifall. Auf die Kälte kamen auch die bei­den Zel­e­bran­ten immer wieder zu sprechen – sog­ar der Atem war während der Feier sicht­bar, während draussen schon fast früh­ling­shafte Tem­per­a­turen herrscht­en.«Was nährt uns denn im Leben?», fragte Corinne Dobler im Anschluss an die Ver­lesung des Matthäus-Evan­geli­ums, die von der Ver­suchung Jesu durch den Teufel han­delte. Dabei führte sie in einem Dia­log mit Adi Bolz­ern durch die Predigt­se­quenz. «Ich gebe zu, ich bin handysüchtig», bekan­nte die Gas­troseel­sorg­erin. «Und du, Adi? Was hast du zu beicht­en?» « Einiges, da wären wir am Mon­tag noch hier, antwortete dieser und hat­te die Lach­er sofort auf sein­er Seite.Jesus lässt sich wed­er von Macht, noch von Reich­tum ver­führen und von seinem Weg abbrin­gen», stellte Corinne Dobler fest. «Wie stark lassen wir uns von denn von Ver­lock­un­gen ablenken von unserem Weg?«, fragte die reformierte Pfar­rerin. «Ein­fach nur kon­sum­ieren macht mich leer, auch wenn es ver­lock­end erscheint», bekan­nte Corinne Dobler. «Bere­ich­ernd sind erfül­lende Momente, in denen wir zusam­men trinken und essen und füreinan­der da sein, einan­der begleit­en auf dem Lebensweg.

«Wirte sind wie Seelsorger»

Im Wis­sen darum, dass die Sit­u­a­tion viel­er Gas­tronomen in der gegen­wär­ti­gen Zeit alles andere als ein­fach ist (Hor­i­zonte berichtete), bat Adi Bolz­ern bei den Für­bit­ten darum, dass die Wirtin­nen und Wirte auch immer wieder Moment der Erhol­ung find­en kön­nen.Geri Keller von Gas­tro Aar­gau bracht in ein­er kurzen Ansprache noch einen weit­eren Aspekt ins Spiel: «Wir Wirte sind ab und zu auch Seel­sorg­er», so das Vor­stand­mit­glied von Gas­tro Aar­gau. «Ihr habt mit Hochzeit­en zu tun und richtet auch Lei­dmahle aus. Da seid ihr immer wieder mit schwieri­gen Sit­u­a­tio­nen kon­fron­tiert.»1’200 Betriebe seien Gas­tro Aar­gau angeschlossen, erk­lärte das Ehep­aar Keller gegenüber Hor­i­zonte im Anschluss an den Gottes­di­enst. Die Bei­den wirten in Hot­twil im Gasthaus Bären. Dank dem Wirte­gottes­di­enst könne man an einem Gottes­di­enst zusam­menkom­men. Am Sam­stagabend und am Son­ntag, wenn für gewöhn­lich die Men­schen in die Kirchen gehen, sei man bei der Arbeit, wusste Esther Keller zu bericht­en. Und die Atmo­sphäre in der Klosterkirche Muri sei halt schon schön, meint sie. Auch wenn es kalt sei.

Das Angebot findet Anklang

Am anschliessenden Apéro fan­den die Anwe­senden nur lobende Worte. Er sei zum ersten Mal dabei gewe­sen, erk­lärte Toni Peter­hans gegenüber Hor­i­zonte. Früher habe er das Restau­rant Ober­stadt in Lenzburg geführt, jet­zt sei er pen­sion­iert und habe Zeit «für so etwas. Dass ich früher nicht schon mal zum Wirte­gottes­di­enst gekom­men bin, war wohl ein Fehler.»Auch Josi und Alfons Keller genossen den Gottes­di­enst. Das Ehep­aar aus Muri hat Bekan­nte begleit­et, die ein Restau­rant führen. «Der Herr Bolz­ern und Frau Dobler haben das sehr schön gemacht», erk­lärten sie. Das Ange­bot find­et Anklang, bestätigten die bei­den Seel­sorg­er. 128 Per­so­n­en hät­ten sich dieses Jahr einge­fun­den, weiss Corinne Dobler. «So viele, wie seit Jahren nicht mehr», freut sich Adi Bolz­ern.

Ohne Konzept und Leidenschaft geht es nicht

Einige ältere Gäste am Apéro mocht­en sich noch an die Geschichte der Wirt­gottes­di­en­ste erin­nern. In den 1950er Jahren seien diese als soge­nan­nte «Einkehr-» oder «Besin­nungstage» erst­mals durchge­führt wor­den und hät­ten an drei ver­schiede­nen Orten stattge­fun­den: Im Chap­pel­er­hof in Wohlen, im Emaus bei Brem­garten sowie im Frick­tal.Ob es die Wirte wirk­lich so streng haben, wie immer wieder behauptet wird? Hor­i­zonte fragte den eben­falls am Gottes­di­enst anwe­senden Manuel Meier, der in der ganzen Schweiz Restau­ra­tions­be­triebe mit Wein beliefert und einen Brud­er hat, der eben­falls als Wirt arbeit­et. «Dieser Beruf war schon immer hart», erk­lärte der Weinzulief­er­er. In der Regel hast an sechs Tagen in der Woche geöffnet und stehst am Wirteson­ntag für diverse andere Auf­gaben in der Beiz.» Auch Geri Keller von Gas­to Aar­gau bestätigte: «Heute musst du ein gutes Konzept haben und viel Lei­den­schaft auf­brin­gen. Son­st geht es nicht mehr.»

Gesegnete Gewürzstreuer für ein gepfeffertes Leben

Angesichts der dieses Jahr in der Kirche vorherrschen­den Tem­per­a­turen dürfte zum Ende hin die Ver­gabe eines guten Schluck­es Wein bei der öku­menis­chen Abendmahls­feier über­aus wohltuend gewe­sen sein. Zudem gab’s als Erin­nerung noch geseg­nete Gewürzstreuer. «Damit eur­er Leben nie ver­salzen und stets gut gepf­ef­fert ist», erk­lärte Adri­an Bolz­ern zum Abschluss mit dem ihm eige­nen Schalk.
Andreas C. Müller
mehr zum Autor
nach
soben