«Wir wohnen im Kleid Jesu Christi»
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«Wir wohnen im Kleid Jesu Christi»

«Wir wohnen im Kleid Jesu Christi»

Nach 55 Jahren wurde ein Kunst­werk des Schweiz­er Kün­stlers Fer­di­nand Gehr in der römisch-katholis­chen Kirche in Mut­tenz restau­ri­ert.

Wer die Mut­ten­z­er Kirche Johannes Maria Vian­ney an einem strahlen­den Som­mertag betritt, wird sofort von angenehmer Küh­le und Dunkel­heit umfan­gen. Während man sich in der Däm­merung ori­en­tiert, find­et man schnell den Weg in den helleren Kirchen­raum. Um dor­thin zu gelan­gen, geht es rechts um eine Ecke, wobei sich link­er­hand ein Raum öffnet. An diesem geht es – vor allem, wenn man es eilig hat – meist zügig vor­bei, man kön­nte fast schon sagen in ein­er Art Unacht­samkeit. Und auf dem Rück­weg will man eben­so zügig nach Hause – oder zum Apéro.

Am Taufstein

Dabei bleibt ein Ele­ment oft genug unbe­merkt: Die Malerei von Fer­di­nand Gehr an den bei­den Wän­den hin­ter dem Tauf­stein. «Der Tauf­stein ste­ht unüberse­hbar beim Hauptein­gang. An ihm müssen die Gläu­bi­gen vor­bei, wenn sie sich zum gemein­samen Opfer um den Altar ver­sam­meln. Jedes Mal wird bewusst, welche Bedeu­tung dieser Ort für den Einzel­nen hat», ist in der Broschüre «Unsere Kirche» aus den 60er-Jahren zu lesen. Auch wenn das Wass­er im Tauf­brun­nen noch heute munter gluck­ert, war die Malerei von Fer­di­nand Gehr zulet­zt nur schw­er zu sehen. Ent­standen 1968, hat­te die Farbe sei­ther trotz ein­er zeitweili­gen Auf­frischung nachge­lassen, begün­stigt auch durch Wasser­schä­den.

Grosszügige Stiftung

«1968, 5. Feb­ru­ar: Die Kirchge­mein­de­v­er­samm­lung stimmt der Aus­malung der Taufkapelle durch Fer­di­nand Gehr zu und ver­dankt die grosszügige Stiftung von Dr. Wal­ter Mar­ti», so ste­ht es in der Chronik der Kirche, enthal­ten im Buch «Ver­gan­gen­heit, Gegen­wart, Zukun­ft» von 2006. «Die Kirche wurde ja 1966 gebaut und 1968 war mein Vater in der Kun­st-Kom­mis­sion», sagt seine Tochter Mar­i­anne Hecht-Mar­ti. Zusam­men mit ihren fünf Geschwis­tern hat sie – auch finanziell – dafür gesorgt, dass das Gemälde restau­ri­ert wird. «Mein Vater war von Fer­di­nand Gehr sehr fasziniert, bevor er ihn über­haupt ken­nen­gel­ernt hat­te.» Auch sie und ihre Geschwis­ter seien alle «Gehr-Fans».Hecht-Mar­ti erzählt und berichtet, dass der Architekt der Kirche, Max Schnetz, gesagt habe, das Gemälde müsse schlicht bleiben. Deshalb habe Gehr das Bild nicht in Farbe, son­dern nur in Weiss auf den grauen Unter­grund gemalt, passend zum Beton der Kirche. In «Unsere Kirche» ist zu lesen: «Die Taufe ist das The­ma: Die Ver­wand­lung des Täu­flings von einem natür­lichen in ein über­natür­lich­es Wesen.» Dann fährt die Broschüre fort: «Weiss ist die einzige Farbe – eine bewusste Beschränkung des Kün­stlers, eine Unterord­nung unter das ein­heitliche Grau der Kirche, damit sein Werk nicht Fremd­kör­p­er ist. Mit dem Weiss ver­sucht der Kün­stler, den Beton zum ‹Mitk­lin­gen› zu brin­gen.»Hecht-Mar­ti sitzt in ihrem Wohnz­im­mer und blät­tert in der Broschüre. Daneben liegen weit­ere Schriften und Büch­er zur Kirche und zum Kün­stler Gehr. «Sehen Sie, das ist die linke Seite, wenn man hineinkommt, dun­kle Gestal­ten auf Weiss», sagt Hecht-Mar­ti. «Auf der anderen Wand sind die Gestal­ten weiss, das ist nach der Taufe.» Also links das «kreatür­liche Leben» und rechts die «erlöste Welt». In der Broschüre ste­ht: «Auf der einen Wand Gebilde des Kos­mos, Pflanzen und Tiere, Mann und Weib, in die ein Blitz stösst und Bewe­gung bringt. Auf der anderen Wand vere­inte Men­schen­paare und Engel im alles umspan­nen­den Chris­tus.»

Keine Massenware

Fer­di­nand Gehr (1896–1996) ist durch seine sakralen Bildthe­men bekan­nt gewor­den. «Er ver­suchte, sein christlich­es Selb­stver­ständ­nis in zeit­gemäss­er Kun­st auszu­drück­en. Dazu gestal­tete er mon­u­men­tale Wandgemälde und zahlre­iche Kirchen­fen­ster», schrieb Ger­hard Mack über den Kün­stler unter dem Titel «Religiös und unbe­quem» (NZZ am Son­ntag, 18.12.16). Wal­ter Mar­ti lernte den unbe­que­men, weil mod­er­nen Kün­stler Gehr auf ein­er Ägypten­reise ken­nen. «Das gab eine grosse Fre­und­schaft mit der Fam­i­lie und auch mit uns Kindern», so Hecht-Mar­ti. «Fer­di­nand hat keine Massen­ware gemacht und er hat nie auf Befehl gemalt. Jedem Bild gin­gen manch­mal Monate oder Wochen voraus, die er in Gedanken und Med­i­ta­tion ver­brachte, dann durfte man ihn in seinem Ate­lier nicht stören.»Dass nun das Wandgemälde in Johannes Maria Vian­ney in frischen Kon­trasten erstrahlen kann, ist auss­er den Mar­ti-Kindern und der Kirche selb­st auch der Fir­ma Fontana & Fontana AG, Werk­stät­ten für Malerei, aus Rap­per­swil-Jona zu ver­danken. Wie Hecht-Mar­ti von Franziska Gehr, der Tochter des Kün­stlers, weiss, ist die Fir­ma spezial­isiert auf die Restau­rierung von Fer­di­nand Gehrs Bildern. Sylvia Fontana, bei der Fir­ma Mit­glied der Geschäft­sleitung und zuständig für Kon­servierung und Restau­rierung, sagt: «Bere­its zu Lebzeit­en von Fer­di­nand Gehr durften wir seine Werke pfle­gen und restau­ri­eren. Wir ken­nen so seine Inten­tio­nen, die ver­wen­de­ten Tech­niken und Farb­mit­tel.» Im Jahr 2020 hät­ten sich die bemal­ten Wand­flächen in einem ver­schmutzten Zus­tand sowie mit diversen Beschädi­gun­gen im Beto­nun­ter­grund präsen­tiert.

Anspruchsvolle Arbeit

«Die Ober­flächen waren durch Russ und Gebrauch sehr stark ver­schmutzt und dadurch die Les­barkeit der Malerei geschmälert», so Fontana. «Durch das ein­drin­gende Wass­er dif­fundierte die Ver­schmutzung tief in den Unter­grund und hin­ter­liess zudem sicht­bare Schmut­zläufer. Die ver­schiede­nen Ein­wirkun­gen beförderten ein het­ero­genes Erschei­n­ungs­bild. Auf­grund dessen waren die Reini­gung und die Behe­bung der vie­len Schä­den eine Her­aus­forderung.» Beachtet wer­den musste laut der Spezial­istin das von Fer­di­nand Gehr ver­wen­dete rein min­er­alis­che Farb­sys­tem. «Dies galt es auch für die far­blichen Retuschen beizube­hal­ten, sodass sich diese bau­physikalisch gle­ich ver­hal­ten wie das Orig­i­nal und sich wed­er im Glanz­grad noch in der Hap­tik davon unter­schei­den.» Für die Restau­rierung sei das gle­iche Farb­ma­te­r­i­al ver­wen­det wor­den, wie es Fer­di­nand Gehr 1968 für sein Werk ein­set­zte, näm­lich Keim’sche Min­er­al­farbe. «Die Aus­führung war anspruchsvoll; für uns aber ein­mal mehr auch eine grosse Freude und Ehre, ein Werk von Fer­di­nand Gehr restau­ri­eren zu dür­fen», sagt Fontana und fügt an: «Wün­schenswert ist, dass die bish­erige dichte Raum­nutzung des Ein­gangs­bere­ichs und der Taufkapelle über­dacht und reduziert wird und so die Wandbe­malung der Taufkapelle zukün­ftig unver­stellt und damit gesamthaft ungeschmälert betra­chtet wer­den kann.»

Unverstellte Sicht

Diesem Wun­sch ist Pfar­rer René Hügin, qua­si als ein­er sein­er let­zten Amt­shand­lun­gen, an der Kirchge­mein­de­v­er­samm­lung am Mon­tag der Vor­woche nachgekom­men. «Fer­di­nand Gehr ist zweifel­sohne der bedeu­tend­ste religiöse Maler der zweit­en Hälfte des 20. Jahrhun­derts gewe­sen. Er war eine Kapaz­ität, sehr provozierend und klar. Damit die Taufkapelle zum Strahlen kommt und strahlend bleibt, wird kein Gegen­stand mehr vor dem Wandgemälde ste­hen.» Dann präsen­tierte er den Ver­sam­melten eine Spon­sor­ing-Idee für die Taufkapelle: Nun kann man die Wand quadrat­meter­weise kaufen, bei 20 Franken geht es schon los. «Es wäre schön, wenn wir das als Gemein­schaftswerk zusam­men­tra­gen kön­nen.»Auch Pfar­rer Hügin hat es das Kunst­werk ange­tan: «In der Ein­fach­heit find­en wir eine starke Taufthe­olo­gie. In der Urkirche wurde bei der Taufe klar her­vorge­hoben; der alte Men­sch (Hei­den­tum, das sündi­ge Leben) wurde abgelegt und das neue Leben, das weisse Taufk­leid, ange­zo­gen. Der Apos­tel Paulus sagt es schön: ‹In der Taufe habt ihr Chris­tus ange­zo­gen.› Wir wohnen im Kleid Jesu Christi!»Axel Man­nigel Dieser Text erschien zuerst im Mut­ten­z­er Anzeiger. Alle Rechte beim Autor.
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