
Bild: © Felix Wey
Wie im Himmel, so im Aargau
Das Aargauer Kirchenfest der Reformierten Landeskirche präsentierte die vielen Facetten kirchlichen Wirkens
Der Himmel spannte sich septemberblau über die Pferderennbahn im Aarauer Schachen. Das Festgelände mit seiner Weite bot den perfekten Rahmen für das Aargauer Kirchenfest, das die Reformierte Landeskirche Aargau unter dem Motto «Wie im Himmel, so im Aargau» auf die Beine gestellt hatte.
Während zwei Tagen präsentierte die Reformierte Kirche Aargau am 13. und 14. September, gemeinsam mit ihren Partnerkirchen, der Römisch-Katholischen und der Christkatholischen Kirche im Aargau, das breite Spektrum kirchlichen Wirkens.

Markt der Möglichkeiten
Ein attraktives Bühnenprogramm, Kinder- und Familienangebote sowie ein Jugendprogramm und verschiedene Gottesdienste am Sonntagmorgen zogen unterschiedliche Altersgruppen an. Auf dem «Markt der Möglichkeiten» präsentierte die Reformierte Kirche Aargau ihre Vielfalt. Kirchgemeinden, Fachstellen und Partnerinstitutionen stellten sich und ihr Tun an interaktiven Ständen vor. Von den Hilfswerken HEKS und Mission 21 über den Innovationsfonds für zukunftsweisende Projekte bis zum gemeinsamen Singen und Tanzen mit «enchanté» und roundabout bot der Markt umfassende Information und anregende Unterhaltung.
Gut besuchtes Podiumsgespräch
Auf den ersten Blick schien das grosszügige Festgelände am Samstagnachmittag fast etwas leer – doch das hatte einen erfreulichen Grund. Viele Festbesucherinnen und ‑besucher hatten sich im Hauptzelt versammelt, um die Podiumsdiskussion zu verfolgen. Gegen 150 Personen wollten wissen, was die auf dem Podium versammelte Runde zum Thema «Christliche Werte in der Gesellschaft» zu sagen hat. Unter der Leitung von Stephan Degen-Ballmer diskutierten Martina Bircher, Vorsteherin Departement Bildung, Kultur und Sport BKS; Beat Schläfli, CEO der Psychiatrischen Dienste Aargau; Claudia Rohrer, Rechtsanwältin, Stadträtin in Rheinfelden und Grossrätin; Stephan Feldhaus, langjähriges Vorstandsmitglied bei Roche, heute Priester der Christkatholischen Kirche und Silja Burch, Kunsthistorikerin und Mitglied der Geschäftsleitung des Aargauer Kunsthauses.

Beim Podiumsgespräch diskutierten Stephan Degen-Ballmer (ganz links, Moderation), Claudia Rohrer, Stephan Feldhaus, Martina Bircher, Beat Schläfli und Silja Burch über das Thema «Christliche Werte in der Gesellschaft». | Bild: Marie-Christine Andres
Menschenwürde als höchster Wert
Auf die Eröffnungsfrage, welches der wichtigste Wert in unserer Gesellschaft sei, hatte Stephan Feldhaus eine klare Antwort: «Seit 30 Jahren lese ich die Evangelien. ‹Liebe deinen Nächsten wie dich selbst›, darin gipfelt alles. Der wichtigste Wert ist die Menschenwürde. Alle sind von Gott gleich geliebt. Das ist die Grundbotschaft der jesuanischen Verkündigung für mich.»
«Christlich motiviert»
Feldhaus hielt auch fest, dass es aus seiner Sicht keinen Unterschied zwischen christlichen und anderen Werten gebe: «Die Menschenwürde als höchster Wert lässt sich von verschiedenen Seiten begründen: mit Kant, utilitaristisch oder eben christlich. Der Unterschied liegt in der christlichen Motivation.» Die Runde einigte sich darauf, dass es präziser sei, von «christlich motivierten Werten» zu sprechen.
Auf die Schwächsten achten
Degen-Ballmer wandte sich an die beiden Politikerinnen in der Runde. In der Präambel der Aargauer Kantonsverfassung ist explizit die «Verantwortung vor Gott» festgehalten. Ob eine solche Formulierung noch zeitgemäss sei, wenn man bedenke, dass immer weniger Menschen einer Landeskirche angehörten, wollte der Moderator wissen. Claudia Rohrer, Grossrätin und Stadträtin in Rheinfelden, antwortete: «Christliche Werte sind menschliche Werte.» Man könne sie eine Sozialromantikerin mit Helferinnensyndrom nennen, sie sei aber überzeugt, dass es schiefgehen müsse, wenn sich die Gesellschaft auf die Stärksten ausrichte. Rohrer zog den Vergleich zu einer Seilschaft am Berg: «Um weiterzukommen, müssen wir auf den Schwächsten achten.»
Religionsfrei, aber christlich geprägt
Regierungsrätin Martina Bircher meinte, dass kein Wert wichtiger sei als ein anderer, weshalb sie auch keine Rangliste der Werte verkünden werde. Ihrem siebenjährigen Sohn gebe sie mit, dass Ehrlichkeit und Respekt für Andere wichtig seien, sowie das Bewusstsein dafür, dass nichts selbstverständlich sei. Und als Bildungsdirektorin betonte sie: «Obwohl unsere Schulen religionsfrei sind, ist es wichtig zu vermitteln, dass wir ein christlich geprägtes Land sind.»

Pascal Gregor, Kirchenratspräsident der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau, sprach ein Grusswort und lobte die Zusammenarbeit mit der Reformierten Kirche Aargau: «Christoph Weber-Berg und ich, wir könnten gemeinsam die halbe Weltkirche reformieren – und die andere Hälfte katholisch machen», sagte er scherzend. | Bild: Marie-Christine Andres
Beat Schläfli antwortete auf die Frage, welche Werte in unserer Gesellschaft stärker gelebt werden müssten, damit weniger Menschen psychisch erkranken: «Wo wir wirklich alle mithelfen könnten: ein Umfeld bieten, das zuhört, nachfragt und psychische Probleme thematisiert.» Mitgefühl, Solidarität und Nächstenliebe seien die Zutaten für eine Gesellschaft, die Menschen psychisch gesund hält.
Der christkatholische Priester Stephan Feldhaus, der sich immer wieder pointiert äusserte und wiederholt Applaus erntete, verstärkte die Aussage von Schläfli mit einem biblischen Beispiel: «Als die Jünger Jesus darauf hinweisen, dass das Essen niemals für 5000 Menschen reicht, sagte Jesus nicht: ‹Wir brauchen mehr Mittel, der Staat soll mal die Verpflegung sichern, ich spreche mal mit dem Oberpharisäer›, nein, er sagt den Jüngern: ‹Gebt IHR ihnen doch zu essen›. Das sollte eigentlich über jeder Kirche stehen!» Diese Haltung erwarte er von Christinnen und Christen, ihre Verantwortung wahrzunehmen.
Neue Dimensionen erschliessen
Martina Bircher erwähnte, dass ein Besuch im Aarauer Kunsthaus und die Betrachtung mit fachkundigen Erklärungen ihr ganz neue Sichtweisen zeige. Silja Burch, Mitglied der Geschäftsleitung des Kunsthauses, ergänzte, dass die Kunst die Menschen zum Dialog einlade und die Reflexion darüber neue Räume erschliesse. Ähnlich gehe es ihr, wenn im Gottesdienst in der Predigt eine Bibelstelle ausgelegt werde. Auch die Kirche biete Raum für Reflexion und Austausch.
Kirche ist politisch
Zum Schluss stellte Degen-Ballmer die Frage, ob Kirche politisch sein dürfe. Claudia Rohrer antwortete: «Wenn Liebe politisch ist, darf Kirche politisch sein. Ich bin ein politischer Mensch und wünsche mir eine politische Kirche.» Das gleiche wünschte sich Beat Schläfli. Angesichts der weltpolitischen Krisen müsse die Kirche ihre Stimme erheben und sich in die Politik einbringen, wenn menschliche Grundwerte verletzt werden, forderte er.
Jesu Botschaft leben
Stephan Feldhaus wiederum erklärte: «Ich verstehe die Frage nicht. Jesu Botschaft war politisch. In der Nachfolge Christi ist jeder Christ politisch. Dass wir das diskutieren müssen, ist ein Zeichen dafür, dass sich die Kirchen von der Botschaft Jesu entfernt haben und sich nur noch mit sich selber befassen.»
Es brauche keinen Katalog unzähliger Werte, erklärt Feldhaus. Wenn die Menschenwürde als oberster Wert festgesetzt sei, folgen daraus die drei Werte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. «Ich bin auch dafür, auf wenige grundlegende Werte zu vereinfachen – und diese dann vor allem zu leben.» Diesem Statement stimmte Feldhaus zu: «Die Kirchen sollten aufhören, um sich selbst zu kreisen und sich selbst retten zu wollen. Sie sollten versuchen, die Botschaft Jesu’ zu retten und sie zu leben.»