Weniger ist oft mehr

Weniger ist oft mehr

Matthäus 19,27–29In jen­er Zeit sagte Petrus zu Jesus: Siehe, wir haben alles ver­lassen und sind dir nachge­fol­gt. Was wer­den wir dafür bekom­men? Jesus erwiderte ihnen: Amen, ich sage euch: Wenn die Welt neu geschaf­fen wird und der Men­schen­sohn sich auf den Thron der Her­rlichkeit set­zt, werdet auch ihr, die ihr mir nachge­fol­gt seid, auf zwölf Thro­nen sitzen und die zwölf Stämme Israels richt­en. Und jed­er, der um meines Namens willen Häuser oder Brüder oder Schwest­ern oder Vater oder Mut­ter oder Kinder oder Äck­er ver­lassen hat, wird dafür das Hun­dert­fache erhal­ten und das ewige Leben erben.Ein­heit­süber­set­zung 2016 

Weniger ist oft mehr

«Du weisst, wir haben alles ver­lassen und sind dir nachge­fol­gt.» Heute würde man die Jünger Jesu wohl als «Aussteiger» beze­ich­nen. Aussteiger gehen auf Dis­tanz zum bürg­er­lichen Leben, suchen die Abgeschieden­heit, leben alter­na­tiv und brechen mit den nor­malen Kon­ven­tio­nen.Auch der heilige Wen­delin ist so ein «Aussteiger». Als iro-schot­tis­ch­er Königssohn ver­lässt er sein Eltern­haus, sein Hab und Gut und seine Heimat und entschei­det sich für ein Leben als Ein­siedler. Doch neben der Bewe­gung des Aussteigens, des «Sich-Abwen­dens» von der Welt, ist vor allem die andere Bewe­gung, das «Sich-Zuwen­den» von gross­er Bedeu­tung. In ein­er beson­ders inten­siv­en Weise wen­det er sich Gott zu. Indem er seinen Leben­sraum stark reduziert, begin­nt er ein Leben zu leben, welch­es sehr konzen­tri­ert ist und dadurch an Inten­sität gewin­nt.Das ist eine Pro­voka­tion für uns heutige Men­schen, die wir auf keinen Fall eingeschränkt und reduziert wer­den wollen. Es ist eine Pro­voka­tion für Men­schen, die ihre Leben­squal­ität oft danach bemessen, möglichst über­all dabei zu sein, möglichst viel zu haben, möglichst viel mitzubekom­men oder möglichst viel zu kon­sum­ieren. «Nur ja nichts ver­passen» scheint oft das Mot­to zu sein.Ein Ein­siedler­leben ist das Gegen­mod­ell. Es sagt uns, dass wir im Leben nicht dadurch glück­lich wer­den, dass wir möglichst viel mit­nehmen und an allem fes­thal­ten. Nicht die Menge an Erleb­nis­sen bes­timmt die Qual­ität unseres Lebens, son­dern die Inten­sität. Inten­siv leben kann ich vor allem dann, wenn es mir gelingt, hinge­bungsvoll bei ein­er Sache zu sein.Bei Kindern ist das immer beson­ders schön zu beobacht­en, wenn sie die Welt um sich herum total vergessen und ganz in ihrem Spiel aufge­hen:Bei meinem kleinen Nef­fen war let­zte Woche im Kinder­garten «Wald-Tag». In Zweier­rei­he – aus­gerüstet mit Über­ho­sen und Stiefeln – sind die Kinder bis zum vorge­se­henen Platz im Wald marschiert, wo sie dann ganz frei herum­tollen, im Dreck wühlen und Laub­hüt­ten bauen durften. Die Kindergärt­ner­in erk­lärte, dass bewusst keine Spiel­sachen und Mate­ri­alien mitgenom­men wer­den, damit die Kinder ler­nen, auch ohne die Über­fülle an Din­gen zu spie­len. Und die Kleinen haben hinge­bungsvoll gespielt, die Zeit vergessen und ein­fach nur den Moment gelebt.Ja, weniger ist manch­mal mehr. Vielle­icht eine Ein­ladung an uns, zwis­chen­durch mal bewusst «auszusteigen» – aus Überzeu­gung, dass dies unser Leben nicht ärmer, son­dern reich­er macht!Wie den meis­ten Ein­siedlern, so ist es auch Wen­delin ergan­gen: Er hat sich zurück­ge­zo­gen, aber die Men­schen sucht­en den Kon­takt zu ihm. Er wurde zu einem begehrten, gefragten Rat­ge­ber. Er ist zwar nicht in die Welt aus­ge­zo­gen, um die Men­schen zu bekehren, aber die Men­schen sind zu ihm hinge­zo­gen. Und so ist er zum Mis­sion­ar gewor­den. Das Leben aus sein­er inneren Quelle her­aus hat um ihn herum etwas wach­sen lassen. Es hat Frucht getra­gen und auch andere Men­schen zum Auf­blühen gebracht.Nadia Miri­am Keller, The­olo­gin, arbeit­et als Spi­talseel­sorg­erin i.A. am St. Claraspi­tal in Basel und als Pfar­reiseel­sorg­erin i.A. im Seel­sorge­ver­band Angen­stein 
Redaktion Lichtblick
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